Kündigung mit zu kurzer Frist künftig unwirksam?

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 06.12.2010

Bislang entsprach es ständiger Rechtsprechung, dass eine mit "falscher", weil zu kurzer Frist ausgesprochene Kündigung nicht unwirksam ist, sondern das Arbeitsverhältnis zu dem "richtigen", späteren Zeitpunkt beendet (z.B. BAG vom 18.4.1985 - 2 AZR 197/84, NZA 1986, 229, 230; vom 15.12.2005 - 2 AZR 148/05, NZA 2006, 791, 793). Dafür brauchte der Arbeitnehmer aber die dreiwöchige Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG nicht zu wahren. Mit einer verspäteten Klage konnte zwar die Unwirksamkeit der Kündigung nicht mehr gerügt werden, wohl aber die zu kurz gewählte Kündigungsfrist (BAG vom 15.12.2005 - 2 AZR 148/05, NZA 2006, 791 ff.; vom 6.7.2006 - 2 AZR 215/05, NZA 2006, 1405, 1406).

Schon 2006 hatte das BAG aber entschieden, dass dies nur für die Beendigungskündigung gilt. Eine mit zu kurzer Frist ausgesprochene Änderungskündigung sei demgegenüber sozialwidrig und damit unwirksam (BAG vom 21. 9. 2006 - 2 AZR 120/06, NZA 2007, 435, 437).

Eine neues, jetzt veröffentlichtes Urteil des für das Kündigungsrecht eigentlich gar nicht zuständigen Fünften Senats des BAG (vom 1.9.2010 - 5 AZR 700/09, BeckRS 2010, 72996) erweckt nun den Eindruck, dass künftig auch Beendigungskündigungen mit zu kurzer Frist unwirksam sind:

Die beklagte Arbeitgeberin hatte dem Kläger 2008 unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist ordentlich gekündigt, wobei sie wegen § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB Zeiten der Betriebszugehörigkeit des Klägers vor Vollendung des 25. Lebensjahres unberücksichtigt ließ. Mit Urteil vom 19.1.2010 (C-555/07, NZA 2010, 85) entschied der EuGH in der Rechtssache Kücükdeveci, dass § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB gegen das (primärrechtliche) Verbot der Benachteiligung wegen des Alters verstoße und daher nicht angewendet werden dürfe. Der Kläger erhob erst sieben Monate nach Zugang der Kündigung Klage und verlangte die Einhaltung der (längeren) Kündigungsfrist, die sich ohne die Ausnahme des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB für ihn ergab. Der Fünfte Senat wies die Klage überraschenderweise ab:

Bedürfte eine ordentliche, die objektiv richtige Klagefrist nicht wahrende Arbeitgeberkündigung der Umdeutung in eine Kündigung mit zutreffender Frist, gilt die mit zu kurzer Frist ausgesprochene Kündigung nach § 7 KSchG als rechtswirksam und beendet das Arbeitsverhältnis zum "falschen" Termin, wenn der Arbeitnehmer die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung wegen der zu kurzen Frist nicht binnen drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung im Klagewege geltend gemacht hat.

Daraus folgt zweierlei:

  1. Erstens können Arbeitnehmer, denen in der Vergangenheit mit zu kurzer Frist gekündigt wurde (insbesondere, weil der Arbeitgeber die Unwirksamkeit des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht kannte), nicht mehr die Einhaltung der längeren Kündigungsfrist (und damit Annahmeverzugslohn nach § 615 Satz 1 BGB) verlangen, wenn die Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG bereits verstrichen ist.
  2. Zweitens sollten Arbeitgeber zukünftig den Kündigungstermin in ihrer Kündigung nicht mehr erwähnen. Ist er versehentlich zu kurz berechnet, könnte daran die Wirksamkeit der gesamten Kündigung scheitern. Sicherer ist es, nur noch "ordentlich zum nächstmöglichen Termin" zu kündigen.
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1 Kommentar

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ich stelle mir bei 2. die Frage, aus welcher Formulierung Sie diese Interpretation herleiten

http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=en&sid=b5ca4418d95893f26712cc3c9b6a8b2b&nr=14768&pos=0&anz=1

Rdnr. 27

"dd) Im Übrigen muss sich aus der Kündigungserklärung ergeben, zu welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis beendet werden soll (BAG 15. Dezember 2005 - 2 AZR 148/05 - Rn. 24, BAGE 116, 336).Ist eine ordentliche Kündigung ohne weiteren Zusatz zu einem bestimmten Datum erklärt worden, steht deshalb in Fällen wie dem vorliegenden auch das Bestimmtheitsgebot der Auslegung der Kündigungserklärung zu einem anderen Termin entgegen. Es ist nicht die Aufgabe des Arbeitnehmers, darüber zu rätseln, zu welchem anderen als in der Kündigungserklärung angegebenen Termin der Arbeitgeber die Kündigung gewollt haben könnte."

2 AZR 148/05, NZA 2006, 791

http://www2.jura.uni-hamburg.de/moritz/09-ksch/urteile/15-12-06-hauspflegerin.htm

"ff) Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass in all den Fällen, in denen sich bei fehlerhaft zu Grunde gelegter Kündigungsfrist die Kündigungserklärung dahin auslegen lässt, dass eine fristwahrende Kündigung ausgesprochen sein sollte, eine Umdeutung nach § 140 BGB nicht erforderlich ist. Nur dann, wenn sich aus der Kündigung und der im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigenden Umstände des Einzelfalles ein Wille des Arbeitgebers ergibt, die Kündigung nur zum erklärten Zeitpunkt gegen sich gelten zu lassen, scheidet eine Auslegung aus (so auch Dollmann BB 2004, 2073, 2077 f. und Raab RdA 2004, 321, 326; aA Matthiessen/Shea AuA 2005, 208) . Der Kündigungstermin wäre dann ausnahmsweise integraler Bestandteil der Willenserklärung und müsste innerhalb der Klagfrist des § 4 Satz 1 KSchG angegriffen werden. Dann scheidet aber auch eine Umdeutung aus, da ein derart klar artikulierter Wille des Arbeitgebers nicht den Schluss auf einen mutmaßlichen Willen, wie ihn § 140 BGB erfordert, zulässt."

Viel schwerer wiegt doch dieser Unterschied, der einen bedeutenden Nachteil für Arbeitnehmer darstellt:

Rdnr 30 bb) Im Streitfalle scheidet eine Umdeutung aus, weil § 140 BGB ein nichtiges Rechtsgeschäft und damit die Unwirksamkeit der erklärten Kündigung erfordert. Eine Umdeutung kommt deshalb nur in Betracht, wenn der Arbeitnehmer die fehlerhafte Kündigungsfrist mit der fristgebundenen Klage nach § 4 Satz 1 KSchG angegriffen hat und nicht die Fiktionswirkung des § 7 KSchG eingetreten ist. (5 AZR 700/09)

Warum nun gekündigten Arbeitnehmern, die mit der Kündigung an sich einverstanden sind, die Wahrung ihrer Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag bzw. EU-Recht verwehrt wird mit der Begründung, sie hätten Klage gegen die Kündigung erheben müssen, ist ein Geheimnis des 5. Senats. 

Ob wohl demnächst Verfassungsbeschwerde zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung eingereicht werden wird?


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