Stellen Sie sich vor Sie sind Justizministerin/Justizminister: Würde es bei Ihnen eine Weihnachtsamnestie geben?

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 15.12.2010

In einigen Bundesländern werden Strafgefangene, deren Haftzeit um die Weihnachtszeit oder zum Jahreswechsel abläuft, bereits einige Wochen vorher entlassen. Für Strafgefangene im Bayern wird es allerdings keine Weihnachtsamnestie geben, weil nach Aussage von Justizministerin Beate Merk (CSU), Gnade nicht von der Jahreszeit abhängen dürfe; die Weihnachtsamnestie bevorzuge Gefangene, deren Haftende zufällig in die Weihnachtszeit falle, während derjenige, der im Sommer entlassen werde, "in die Röhre gucke".

Ist Weihnachtsamnestie ungerecht?

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6 Kommentare

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Amnestien sind doch per se ungerecht. Man lässt damit "Gnade vor Recht" ergehen. Gäbe es einen Anspruch darauf, wäre das ganze sinnlos. Insofern muss man wohl selbst entscheiden, ob bzw welche Gelegenheiten einem solch eine Amnestie wert ist: Weihnachten, Silvester, der Geburtstag des Gefangenen, der des Ministers,...

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Auch, wenn ich es jedem gönne, Weihnachten zuhause zu verbringen, ungerecht ist eine solche Amnestie wohl ohne Frage.

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Alleine der Fokus auf den Blick, ob es sich dabei um "Gnade" handelt ist m.E. schon falsch: Je nach Straftat und verbüßter Haftdauer kann so eine Maßnahme ein resozialisierender Aspekt sein. Kann, nicht muss.

Weiterhin ist es eine überkommene Ansicht des Mittelalters (als Audruck feudaler Herrschaft), dass "Gnade vor Recht" ergeht. Auch wenn der Gnadenakt natürlich nicht (juristisch) erzwingbar ist, so ist er unter bestimmten Umständen sehr wohl justiziabel, etwa beim (willkürlichen) Widerruf des bereits ausgesprochenen Gnadenakts. Den Spruch "Gnade ergeht vor Recht" sollte man im modernen Rechtsstaat eher vorsichtig bis gar nicht handhaben.

Auch warum eine Amnestie "ohne Frage ungerecht" sein soll, erschliesst sich mir nicht. Wenn jemand nach 2 Jahren Haft 1-2 Wochen früher entlassen wird, davon auszugehen, dass der mit einem Gefühl des "Triumphs" die JVA verlässt, spricht für mich in erster Linie für mangelnde Erfahrung im Umgang mit Menschen die in einer JVA eingesperrt waren. Und wenn ein Opfer der Straftat sich dadurch ungerecht behandelt fühlt, wird man sich Fragen müssen, ob (a) die Strafe an sich richtig gewählt war oder (b) der Staat es versäumt, Opfer einer Straftat während und nach einem Urteilsspruch entsprechend zu begleiten. Alleine der Anspruch, dass nur durch eine verhängte Strafe wieder Rechtsfrieden und Gerechtigkeitsempfinden bei Opfern von Straftaten auftreten, der ist heute überholt. Wenn aber vollkommen Unbeteiligte (die berühmten "Betroffenen Bürger") eine Ungerechtigkeit erkennen, so habe ich bisher ausnahmslos den Eindruck gehabt, dass es da um persönliche Rachegedanken und das "Prinzip" gehen, die in unserem Rechtsstaat bei der Strafbemessung und Sanktionierung nichts mehr zu suchen haben.

Zu guter Letzt denke ich aber, ist der Hinweis von Fr. Merk (deren Fan ich ja sonst nicht gerade bin) durchaus angebracht: Es ist von Zufälligkeiten abhängig, ob jemand das Ende seiner Haft um die Weihnachtszeit herum erfährt oder nicht. Blind jeden Inhaftierten zu Weihnachten zu bevorzugen dessen Haftzeit hier in etwa Endet, andere aber, bei denen es zufällig um Ostern herum endet nicht, erscheint mir eher Willkürlich und damit nicht vertretbar.

Wenn man dann aber auf meinen Eingangsabsatz blickt und das Ganze als Resozialisierungsmaßnahme betrachtet, bietet sich ein konkreter Angriffspunkt bei ausgewählten Inhaftierten. Dazu muss man aber im Einzelfall den jeweiligen Menschen betrachten, beobachtet haben und entscheiden, wie der eine solche Amnestie einstuft und ob es seiner sozialen Re-Integration zuträglich oder gar abträglich ist. Beides ist möglich und verlangt damit am Ende eine individuelle Entscheidung.

Fazit somit: Pauschale Amnestie? Eher nicht. Im konkreten Einzelfall - ja, wenn die Faktoren stimmen und es dazu führen kann, dass der Betreffende sich verstärkt mit der Gesellschaft identifiziert, deren Teil er "draußen" ja wieder sein soll.

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Wir sollten uns nichts vormachen. Wenn - wie wohl in den meisten Bundesländern - lediglich die Gefangenen vor Weihnachten entlassen werden, die ohne Amnestie zwischen 20.12. und 10.1. zu entlassen wären, dann stehen bloße Gründe der Zweckmäßigkeit und der Personalentlastung der Vollzugsbediensteten hinter dieser Begnadigung.

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Man könnte es auch als "Maßnahme zur Entlastung der Haftanstalten & des Justizetats" deklarieren - ein Hafttag kostet pro Gefangenen schliesslich 150 bis 200 Euro (OK, bei Vollkostenmilchmädchenrechnung).

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Wenn sich Bayern auch sonst derart um die gerechte Behandlung von Strafgefangenen sorgen würde, könnte man vielleicht über dieses Argument nachdenken. Wer allerdings die Vorstellungen der bayrischen Politik zum Thema "Umgang mit Straftätern" kennt, kann sich diese Gedanken eigentlich sparen.

 

Inhaltlich:

Natürlich ist es letztlich zufällig, wann die reguläre Haftzeit eines Strafgefangenen endet. Ebenso zufälligerweise wird jedoch derjenige, der ausgerechnet über Weihnachten einsitzt, i.d.R. stärker belastet (da Auswirkungen auf das Familienleben dramatischer sind als bei einer Haft im Hochsommer) als jemand mit gleicher Haftzeit, der jedoch früher zum Haftantritt geladen wurde. Eine derartige Amnestie kompensiert daher nur einige (natürlich nicht im Falle der Langstrafler, die ohnehin noch länger "sitzen" werden) "weihnachtsbedingte Nachteile" und ist daher keine (ungerechtfertigte) Ungleichbehandlung.

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