Blutprobenverwertung: Einwilligung erfordert Verstandesreife

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 16.12.2010

Mittlerweile ist die Frage der Verletzung des Richtervorbehalts im Rahmen einer Anordnung einer Blutprobenentnahme alles andere als ein Aufreger. Das OLG Hamm: Beschluss vom 02.11.2010 - III-3 RVs 93/10, 3 RVs 93/10 =  BeckRS 2010, 29288 hat sich nun mit der Frage beschäftigt, wie es denn mit der Einwilligung, die die richterliche Anordnung entbehrlich macht stehen muss:

"...Willigt der Beschuldigte dagegen in die Blutentnahme ein, so bedarf es keiner Anordnung nach § 81 a Abs. 2 StPO (Senat, NZV 2009, 90, 91; OLG Hamburg, NJW 2008, 2597, 2598; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 81 a Rdnr. 3 m. w. N.).

Der Beschuldigte muss die Sachlage und sein Weigerungsrecht kennen und muss die Einwilligung ausdrücklich und eindeutig und aus freiem Entschluss erklären (Meyer-Goßner, a. a. O., § 81 a Rdnr. 4 m. w. N.). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Angeklagte hat nach entsprechender Belehrung durch die Polizei eine eindeutige Einverständniserklärung ausdrücklich und aus freiem Entschluss abgegeben. Die Ansicht der Revision, dass die der Einverständniserklärung vorangegangene schriftliche Belehrung des Angeklagten missverständlich sei, kann der Senat nicht teilen. Aus der Belehrung ergibt sich eindeutig, dass die Anordnung der Blutentnahme überhaupt nur dann in Betracht kommt, wenn der Beschuldigte nicht von vornherein in die Durchführung der Blutprobe einwilligt.

Allerdings muss der Beschuldigte zum Zeitpunkt der Abgabe der Einwilligung in die Blutentnahme genügend verstandesreif sein, um die Tragweite seiner Einwilligungserklärung zu erkennen (Senat, a. a. O., S. 91; OLG Hamm, 2 Ss 117/09 vom 28.04.2009, beckRS 2009, 21051; Heinrich, NZV 2010, 278, 279, je m. w. N.). Erforderlich ist, dass der Betroffene nach seiner Verstandesreife den Sinn und die Tragweite der Einwilligung erkennt (OLG Hamm, 2 Ss 117/09 vom 28.04.2009, beckRS 2009, 21051; LG Saarbrücken, Beschluss vom 13.11.2008 - 2 Qs 53/08, beckRS 2008, 23730). Zwar kann die Einwilligungsfähigkeit eines Beschuldigten aufgrund der Stärke des Alkoholeinflusses im Einzelfall zweifelhaft sein. Hierfür genügt aber nicht bereits jede alkoholische Beeinflussung (LG Saarbrücken, a. a. O., m. w. N.).

Der Angeklagte war hier mit 1,23 Promille Blutalkohol nur mittelmäßig alkoholisiert. Die Grenze, bei der deutliche Beeinträchtigungen in der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit angenommen werden, liegt bei etwa 2 Promille Blutalkohol. Von diesem Wert war der Angeklagte sehr weit entfernt. Er zeigte zwar Ausfallerscheinungen, insbesondere den vom Amtsgericht festgestellten schwankenden Gang, war aber durchaus in der Lage, mit seinem Pkw unfallfrei zumindest noch für einen kurzen Zeitraum am öffentlichen Straßenverkehr teilzunehmen. Soweit die Revision auf den ärztlichen Befundbericht verweist, nach dem der Angeklagte nach außen hin deutlich unter Alkoholeinfluss gestanden haben soll, ist dieser Vortrag urteilsfremd. Insgesamt ergeben sich keine genügenden greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte trotz der im Hinblick auf eine Beeinträchtigung seiner kognitiven Fähigkeiten eher geringgradigen Alkoholisierung nicht in der Lage gewesen sein sollte, die Belehrung zu verstehen und die Tragweite seiner Einwilligung zu erkennen, zumal es sich um einen völlig einfach gelagerten Sachverhalt gehandelt hat...."

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3 Kommentare

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Ich hatte mich schon bei der Lektüre früherer Entscheidungen des OLG Hamm zu diesem Thema gefragt, wie die Einwilligungsfähigkeit wohl begründet werden würde. Der BGH hat in der Entscheidung BGHSt 4, 88, 90 ausgeführt, dass der Konsum von 4 Flaschen Bier zum Ausschluss der Einwilligungsfähigkeit  führe. Nun kann man das natürlich anders sehen. Jedoch sollte man seine Ansicht dann auch begründen. In dieser Hinsicht ist die Entscheidung enttäuschend! Was die strafrechtlichen Grenzwerte zur Einsichts- und Steuerungsfähigkeit hinsichtlich des begangenen Unrechts (§§ 19, 20 StGB) mit der Einwilligungsfähigkeit zu tun haben, erschließt sich mir nicht. Vielmehr handelt es sich hier um die Fähigkeit, Bedeutung und Tragweite der Einwilligung erkennen zu können. Das hat wiederum mit der Fähigkeit, ein Kfz kurze Strecken im öffentlich Verkehr führen zukönnen, gar nicht zu tun! In der Entscheidung werden daher völlig unterschiedliche Dinge miteinansder vermischt. Wie bei einer BAK von 1,23 Promille, die den Konsum von weit über 2 l Bier voraussetzen dürfte, eine ausreichende Urteilsfähigkeit vorliegen soll, dürftfe kaum zu begründen sein. Es ist zu hoffen, dass in dieser Sache das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

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Werter Dr. Schneider, Ihnen ist aber schon bekannt, dass die Rechtsprechung des BGH zu diversen Fragen im Zusammenhang mit Alkoholkonsum und Strafrecht sich seit BGHST 4 etwas weiter entwickelt hat (z.B. Abkehr von schematischen Promillegrenzen bei der Frage §§ 20,21 durch den Großen Senat), da die Wirkungen des Alkohols auf Menschen nicht nur von der BAK, sondern von der Alkoholgewöhnung abhängen? Schweralkoholiker sind eher bei UNTERschreiten einer gewissen Promillezahl nicht einwilligungsfähig, da zumindest ein Entzugsdelirium im Raum steht. Weshalb man mit 1,23 %0 nicht erkennen können soll, dass ein körperlicher Eingriff mittels einer Nadel erfolgt und darin einwilligen können sollte (und nur darum geht es!), erschließt sich mir in dieser Pauschalität nicht- 

Das OLG vermischt auch nicht die Frage der Fahrtüchtigkeit mit der der Einwilligungsfähigkeit, sondern zieht - zu Recht und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH zum Verbot einer schematischen Anwendung von Promillegrenzen bei der Beurteilung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nur bestimmte (nicht vorhandene) Ausfallerscheinungen als Indizien für eine vorhandene Einwilligungsfähigkeit heran.

Dass ab 1,1 %o eine absolute Fahruntüchtigkeit angenommen wird, würde mE Ihre Auffassunga auch nicht stützen. Bei der Frage der Fahruntüchtigkeit geht es um diverse kombínierte Einschränkungen der Wahrnehmung, Wahrnehmungsverarbeitung, Reaktionszeit und physischer Reaktionsfähigkeit. Wer jedoch in der Lage ist, den Entschluss zu fassen, in sein Auto zu steigen, loszufahren und dabei in der Regel auch ein bestimmtes Ziel anzusteuern, hat eine grundsätzlich erhaltene Fähigkeit zur situationsorientierten natürlichen Willensbildung und damit zur Einwilligung in einen körperlichen Eingriff.

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Sehr geehrter klabauter,

das Problem liegt ja gerade darin, dass mit der Einwilligungsfähigkeit nicht die "natürliche Willensbildung" und auch nicht die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit als Schuldfähigkeit gemeint sind, sondern die Fähigkeit, Bedeutung und Tragweite des Engriffs und des in der Einwilligung liegenden Rechtsschutzverzichts zu erkennen. Selbstverständlich kann dies auch bei einem Suchtkranken beeinträchtigt sein. Nun wird die Bedeutung des Eingriffs selbst i.d.R. auch ein ziemlich betrunkener Betroffener erkennen können. Da es sich aber immerhin um eine strafprozessuale Verfolgungsmaßnahme handelt, habe ich doch gewisse Zweifel, ob das auch für Folgen des Rechtsschutzverzichts gilt. Es sei denn, hierauf käme es gar nicht an. Was zu begründen wäre. Meine Zweifel sind nicht ausgeräumt.

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