dynamisch verlangt - statisch bekommen

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 21.01.2011

Das unterhaltsberechtigte Kind hatte vorgerichtlich die Errichtung eines dynamischen Titels (100% des Mindestunterhalts ...) vom Unterhaltsverpflichteten verlangt.

Der Unterhaltspflichtige ließ daraufhin eine Jugendamtsurkunde errichten, mit der Unterhalt in statischer Form (225,00 EUR monatlich ab 01.04.2010) tituliert wurde.

Das OLG gewährte VKH für einen Abänderungsantrag.

Insbesondere ist der erforderliche Wert der Beschwer erreicht. Dieser bemisst sich nach dem Titulierungsinteresse der Antragstellerin, und dieses wiederum ist nicht etwa, wie das Familiengericht meint, mit „Null“ anzusetzen, weil die Antragstellerin bereits über einen Unterhaltstitel verfüge. Denn der Titel, auf den die Antragstellerin in Prozessstandschaft des unterhaltsberechtigten Kindes gemäß § 1612 a BGB einen Anspruch hat, nämlich ein Unterhaltstitel in dynamisierter Form, liegt bisher überhaupt nicht vor. Der vorhandene statische Titel ist, gemessen an dem anders ausgeübten gesetzlichen Wahlrecht des Unterhaltsberechtigten, nicht etwa wertmäßig gleich oder allenfalls ein „Minus“, sondern etwas anderes, das zur Erfüllung des geltend machten Titulierungsinteresses ungeeignet ist. Die Beschwer der Antragstellerin bemisst sich daher nach dem ungeschmälerten Interesse an der Herbeiführung eines dynamisierten Unterhaltstitels, der so bisher nicht existiert....

§ 1612 a BGB bestimmt ausdrücklich, dass es der Entscheidung des Unterhaltsberechtigten obliegt, ob der Unterhalt in statischer oder - bei sonst gegebenen Voraussetzungen - in dynamisierter Form tituliert werden soll. Wäre die Handhabung des Familiengerichts richtig, so würde sich diese eindeutige Rechtslage im Ergebnis in ihr Gegenteil verkehren, weil es dem Unterhaltsverpflichteten freistände, die Wahl einer dynamischen Titulierung durch den Berechtigten folgenlos zu unterlaufen. Die vom Familiengericht - für sich gesehen zutreffend - zitierte Kommentierung (Klinkhammer in: Wendl/Staudigl, Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 7. Aufl. 2008, § 2 Rdn. 246 a) betrifft mithin nur den Fall, dass der Berechtigte sein Wahlrecht zugunsten eines statischen Titels bereits ausgeübt hatte und davon nunmehr abzurücken wünscht: Dies reicht als Rechtfertigung eines Abänderungsbegehrens nicht aus, solange sich die Verhältnisse, die dem vorhandenen Titel zugrunde liegen, nicht im Übrigen wesentlich geändert haben. Etwas anderes gilt indes, wenn der vom Unterhaltsverpflichteten errichtete Titel, wie hier, unter Missachtung des vom Berechtigten ausgeübten Wahlrechts entstanden ist: Dann ist ein Abänderungsantrag zulässig, weil sonst das Wahlrecht des Berechtigten gemäß § 1612 a BGB gegenstandslos würde (ebenso Born in: MünchKommBGB, 5. Aufl. 2008, § 1612 a Rdn. 34).

OLG Dresden v. 03.01.2011 - 20 WF 1189/10 = BeckRS 2011, 01246

 

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6 Kommentare

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In §1612a BGB ist überhaupt nicht die Rede von einem Wahlrecht. Es wird nicht einmal ein Titulierungszwang ausgesprochen. Dies ist eine spätere Erfindung der Gerichte. Darin steht nur, dass der Berechtigte Unterhalt verlangen kann und dann ist die Höhe dieses Unterhalts definiert - nämlich abhängig von einem Prozentsatz des jeweiligen Mindestunterhalts, der wiederum vom Kinderfreibetrag abhänge. Wenn hier überhaupt ein Wahlrecht eindeutig formuliert ist, dann die Wahl, ob der Berechtigte Unterhalt verlangt oder nicht.

Angesichts der permanenten Stück-für-Stück Verschlechterungen für Verpflichtete in allen Bereichen des Unterhaltsrechts hätten wir bei Titulierungen nun die nächste Stufe erreicht. Man erinnere sich: Erst reichte es aus, den Unterhalt pünktlich zu bezahlen, dann erfanden Juristen den Titulierungzwang, dann wurden dynamische Titel erfunden und nun sollen dynamische Titel verpflichtend sein. Der Unterhalt als Zwangs-Staffelmiete mit Zwangs-Titulierung, Anpassungen nur nach teuren Zwangs-Klagen incl. einem teurem Zwangs-Anwalt, Dank der ebenfalls neu eingeführten Anwaltspflicht im gesamten Unterhaltsrecht. Die Rechtspflege kommt ja gar nicht mehr zum rechten vor lauter knallenden Korken und Zuprosten.

Ob ich es wohl noch erleben werde, dass deutsche Gerichte auch mal die wenigen Rechte eines Vaters so vehement durchsetzen wie die Geldeintreiberei?

Z.B, dass auch mal das Umgangsrecht wirksam durchgesetzt wird und nicht nur auf ein Stück Papier geschrieben wird.

Oder einer Mutter die Entfernung des Kindes aus dem Leben des Vaters untersagt wird, einfach weil das gegen sein Sorgerecht verstößt.

Aber mit dieser Justiz werde ich das sicher nicht mehr erleben.

 

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Wenn es nicht ums Geld geht, sondern "nur" um das Kind, zerläuft die Rechtspflege wie Schmalz in der heissen Pfanne zu durchsichtigen, nicht mehr fassbarem Fluidum. Man stelle sich diese Entwicklung mal beim Umgang vor: Ein Umgangstitel wäre verpflichtend und grundsätzlich zu erstellen, der Umgangsberechtigte könnte bei Missachtung jederzeit vollstrecken (=Kind mit Hilfe von Dritten gegen den Willen der Umgangsverweigerin holen). Natürlich alles auf Kosten der Person, die Umgang zu gewähren hat.

In §1612a BGB ist überhaupt nicht die Rede von einem Wahlrecht.

Ich weiß nicht, wie deutlicher sich der Gesetzgeber noch ausdrücken soll.

§ 1612 a I : Ein minderjähriges Kind kann von einem Elternteil, mit dem es nicht in einem Haushalt lebt, den Unterhalt als Prozentsatz des jeweiligen Mindestunterhalts verlangen.

muss nicht, aber kann = Wahlrecht ob dynamisch oder statisch

Der "Titulierungszwang" ergibt sich aus § 253 ZPO. Es kann auf zukünftige Leistung geklagt werden.

 

§ 253 ZPO, Klageschrift? Was hat das mit einer Titulierungspflicht zu tun?

Auch Unterhalt als Prozentsatz des jeweiligen Mindestunterhalts ist ein bestimmter Betrag. Schliesslich zahlt der Pflichtige ja wohl einen Geldbetrag und kein Papier mit einer Prozentrechnung drauf. Betrag und Ergebnis der Rechnung sind identisch.

Wenn hier §256ff. ZPO gemeint gewesen sein sollte, so kann kein rechtliches Interesse an etwas geltend gemacht werden, das keinerlei Anlass dazu gegeben hat, dass dieses Interesse missachtet werden könnte.

Jawohl, ich weiss, dass sich die Roben und Sitzungssäle sich das anders zusammenkonstruieren. Die Rechtslage ist mir sehr wohl bekannt, wenn Kritik daran nicht ausgehalten wird, ist höchst bedauerlich.

ja, Schreibfehler, § 257 ZPO war gemeint.

In diesem Blog geht es mir um die Darstellung dessen, was sie das Zusammenkonstruieren der Juristen nennen.

Sachliche Kritik daran kann ich gut aushalten.

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