Wenn die Schöffin nicht deutsch spricht

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 29.01.2011

Die Angeklagten hatten einen Supermarkt überfallen. Sie bedrohten die Kassiererinnen mit einem Gasrevolver und erbeuteten 1.445 €. Die Strafkammer verurteilte zwei der Angeklagten wegen besonders schweren Raubs jeweils zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren, den dritten Angeklagten wegen hierzu geleisteter Beihilfe zu einer Strafe von einem Jahr und sechs Monaten.

 

Nun kommts: Die Strafkammer war mit einer russischsprachigen Schöffin besetzt, die der deutschen Sprache „kaum mächtig“ war. Für die Schöffin zog deshalb das Gericht eine Dolmetscherin hinzu, die auch an den Urteilsberatungen teilnahm.

 

Dass der BGH mit Entscheidung vom 26. Januar 2011 – Az 2 StR 338/10 (bislang liegt nur die Pressemitteilung vor)– das Urteil zur Neuverhandlung aufgehoben hat, verwundert keineswegs, wundern muss man sich nur darüber, dass so etwas in deutschen Gerichtssälen trotz einschlägiger verfassungsgerichtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung passiert:

 

Die Strafkammer war mit der Schöffin nicht vorschriftsmäßig nach § 338 Nr. 1 StPO besetzt. Eine sprachunkundige Schöffin ist – ebenso wie ein blinder oder tauber Richter – jedenfalls partiell unfähig, der Verhandlung selbst zu folgen. Das Heranziehen einer nicht sprachkundigen Schöffin verstößt zudem gegen den Grundsatz, dass die Gerichtssprache gemäß § 184 S. 1 GVG deutsch ist, und verletzt zudem den im Strafprozess geltenden Unmittelbarkeitsgrundsatz. Schließlich begründet die Teilnahme einer für die Schöffin herangezogenen Dolmetscherin russischer Sprache an allen Beratungen die Strafkammer, einen Verstoß gegen das Beratungsgeheimnis des § 193 GVG.

 

Die Revision der Angeklagten hatte mit dem absoluten Revisionsgrund des § 331 Nr.1 StPO den verdienten Erfolg, weil das Justizgrundrecht der Angeklagten auf eine Entscheidung über Schuld oder Freispruch durch den gesetzlichen Richter verletzt wurde. Auch wenn Zeitgewinn im Rahmen einer Strafverteidigung regelmäßig ein gewichtiges Moment bildet, vermute ich, dass am Ende der erneut durchzuführenden Hauptverhandlung dasselbe Strafmaß steht. Frei nach dem Motto: Außer Spesen nichts gewesen.

 

Hinweis für die Strafrechtspraxis: Das GVG hat die insoweit bisher bestehende Regelungslücke durch Einfügen des seit dem 30. Juli 2010 geltenden § 33 Nr. 5 GVG geschlossen. Danach sollen Personen ohne hinreichende Sprachkenntnisse nicht zu Schöffen berufen werden und sind von der Schöffenliste zu streichen. -  Allgemein zur Besetzungsrüge!

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5 Kommentare

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Die - zum Zeitpunkt der landgerichtlichen Entscheidung noch nicht geltende -Neufassung des § 33 Nr. 5 verleitet leider zu der Auslegung "soll nicht heiß nicht: darf nicht" . Selbst die  Gesetzesbegründung aus der BT-Drs. geht von einem vermeintlich  "ungeregelten" Fall aus. Die BGH -Entscheidung (natürlich derzeit noch etwas verkürzt, da nur Pressemitteilung) stellt aber klar, dass keineswegs ein ungeregelter Fall vorliegt, sondern sich ohne weiteres aus dem Gesetz ergibt, dass trotz fehlender Streichungsmöglichkeit und somit grundsätzlicher Wahlfähigkeit für das Schöffenamt  der sprachunkundige Schöffe kein gesetzlicher (bzw. kein befähigter) Richter ist. D.h. das "soll nicht" bedeutet: geht keinesfalls.

 

http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/014/1701462.pd

"Der in der jüngeren Vergangenheit jedoch mehrfach aufgetretene Fall, dass der ernannte Schöffe zwar deutscher Staatsbürger ist, aber keine hinreichenden Sprachkenntnisse besitzt, um einer Hauptverhandlung überhaupt folgen zu können, ist nach der derzeitigen Rechtslage ungeregelt. Die Streichung eines solchen – ebenfalls ungeeigneten – Schöffen von der Schöffenliste ist daher der- zeit nicht möglich. Diese Möglichkeit soll durch den vorliegenden Gesetz- entwurf eröffnet werden."

 

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Zum Streichen aus der Schöffenliste gab es aber zumindest schon den folgenden Beschluss der 1. Strafkammer des LG Bochum vom 12.8.2005 (Kopie aus BeckRS 2005, 11287):

 

>>Der Schöffe Axxxxxxx Sxxxxxxxxx aus Bochum wird von der Schöffenliste gestrichen.

 Gründe:

Die Entscheidung beruht auf §§ 52 I Nr. 1 GVG. Der Schöffe ist der deutschen Sprache nicht in einem für die Teilnahme an einer Hauptverhandlung in Strafsachen ausreichenden Umfang mächtig. Für ihn wäre ein Dolmetscher für die russische Sprache erforderlich.

 

Davon ist die Kammer überzeugt auf Grund des Vermerkes der VRinLG Dr. Kxxxxxx im Verfahren 14 Ns 7 Js 537/03 LG Bochum vom 05.07.2005, der Eingabe des Schöffen vom 07.06.2005 und des Vermerks der Geschäftsstelle im vorliegenden Verfahren vom 08.08.2005. Danach steht fest, dass der Schöffe, dessen Muttersprache das Russische ist, wegen seines mangelnden Verständnisses der deutschen Sprache weder die mit der Übernahme des ihm angedienten Schöffenamtes verbundenen Folgen noch den Verlauf und den Verfahrensgegenstand im Verfahren 14 Ns 7 Js 537/03 LG Bochum, an dem er mitgewirkt hat, in ihrem Sinngehalt ausreichend erfasst hat.

 

Ein Schöffe, der der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig ist, ist nach Auffassung der Kammer unfähig, ein Schöffenamt auszuüben (so auch Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., Rdnr. 3 zu § 31 GVG unter Berufung auf Eberhard Schmidt, Lehrkommentar zur StPO und zum GVG, Teil III, 1960, Rdnr. 4 zu § 31 GVG). Soweit in der Literatur teilweise unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des RG (RGSt 30, 399) eine andere Auffassung vertreten wird mit der Folgerung, dass dann für den Schöffen ein Dolmetscher zu bestellen sei (vgl. Löwe-Rosenberg/Schäfer, StPO und GVG, 23. Aufl., Rdnr. 3 zu § 31 GVG), vermag sich die Kammer dieser Auffassung nicht anzuschließen. In der zitierten Entscheidung hat das RG lediglich ausgesprochen, dass der vom Obmann der gesetzmäßig berufenen Geschworenen für diese abgegebene Spruch nicht mit der Behauptung anfechtbar sei, einem Schöffen habe es an geistigen Fähigkeiten ermangelt, er sei unaufmerksam gewesen oder der deutschen Sprache nicht mächtig. Vorliegend geht es indes um die im Verfahrensablauf zeitlich vorgelagerte Frage der ordnungsgemäßen Kammerbesetzung.

Wenngleich die mangelnde Kenntnis der deutschen Sprache nicht zu den positivgesetzlichen Gründen der Unfähigkeit zum Schöffenamt gehört und wenngleich § 185 GVG von Verhandlungen unter Beteiligung von Personen spricht, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, und für diesen Fall die Zuziehung eines Dolmetschers verlangt, ist es nach Auffassung der Kammer ausgeschlossen, dass zu diesen Personen auch einer der Richter gehört. Dagegen spricht zunächst der in seiner Funktion und Bedeutung dem § 185 GVG ähnliche § 186 GVG, der die Verständigung einer hör- oder sprachbehinderten Person mit dem Gericht regelt und gerade nicht eine solche bei einem Richter vorhandene Behinderung regeln will. Dass auch solche Gründe, die nicht zu den positiv-gesetzlichen Gründen der Unfähigkeit zum Schöffenamt gehören, zur Streichung aus der Schöffenliste führen können, ist für den Fall der Blindheit eines Schöffen anerkannt (BVerfG, Beschl. v. 07.11.1989 - 2 BvR 467/89). Tragende Begründung jener Entscheidung ist die Erwägung, dass im Strafverfahren der optischen Wahrnehmung besondere Bedeutung zukommt und ein blinder Richter auch mit Hilfe verfahrensrechtlich zulässiger Unterstützung seine Aufgaben nur eingeschränkt erfüllen kann.

 

Nicht anders verhält es sich mit der sprachlichen Wahrnehmung. Nach Auffassung der Kammer ist es mit den Aufgaben eines Richters unvereinbar, wenn er nur mit Hilfe eines Dolmetschers an der Verhandlung teilnehmen kann. Weder das erforderliche unmittelbare Verständnis des jeweiligen Gegenstandes der Verhandlung noch ein regelmäßig erforderliches sofortiges Reagieren und Einordnen des jeweils Gesagten in den gesamten Zusammenhang des Verhandlungsstoffes sind einem Richter, für den übersetzt werden muss, möglich. Hinzu kommt, dass bei der zwingend geheimen Kammerberatung (§ 193 I GVG) nur die zur Entscheidung berufenen Richter anwesend sein dürfen. Die Anwesenheit eines Dolmetschers, der zwangsläufig Kenntnis von Inhalt und Verlauf der Beratung erlangen würde, ist damit nicht vereinbar. <<

 

Solange Gemeindeparlamente Vorschlagslisten mit marginalen Angaben über die Kandidaten blind durchwinken, kann es vorkommen, dass Schöffen ohne Sozialkompetenz und Lebenserfahrung gewählt werden. Sprachlosigkeit in der HV ist dagegen wohl kein ernsthafter Mangel bisher... LG Kölle Alaaf, bei der Vereidigung der Schöffin in ihrer ersten HV wäre ich gern dabei gewesen, auf russisch klingt der Amtseid sicher eindrucksvoll.

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