Eine unabhängige Justiz bleibt in Russland ein leeres Versprechen - das Urteil gegen Michail Chodorkowskij soll dikiert gewesen sein

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 15.02.2011

Demokratie und eine unabhängige Justiz wird den Russen seit vielen Jahren versprochen. Auf das Einlösen dieses Versprechens werden die Russen aber noch (wie lange?) warten müssen. Es sind nichts mehr als leere Worte, wenn Präsident Medwedjew dieser Tage erklärt, den Menschenrechtsrat beim Staatsoberhaupt die Verfahren überprüfen zu lassen. Aber wie wichtig wäre für die Fortentwicklung des Landes eine unabhängige funktionierende Justiz!

Wie heute ist in der FAZ S. 5 (leider kein Link möglich) zu lesen ist, soll laut einem Interview der Pressesprecherin des Gerichts den Schuldspruch im zweiten Prozess gegen Michail Chodorkowskij im Dezemberim nicht der Richter, der den Prozess führte, sondern die höhere Instanz abgefasst haben. Das mögen sich sicher viele schon gedacht haben, als sie das Prozessgeschehen verfolgten. Der Richter sei vor der Urteilsverkündung mehrmals von der übergeordneten Instanz, dem Moskauer Stadtgericht, einbestellt und dort unter Druck gesetzt worden. Der Richter sei genauestens kontrolliert worden und habe Anweisungen erhalten, wie er vorzugehen habe. Zunächst habe er ein Urteil verfasst, das dem Stadtgericht nicht genehm gewesen sei. Deshalb sei dort ein anderes Urteil verfasst worden, dass er dann habe verkünden müssen. Das sei auch der Grund für die Verschiebung der Urteilsverkündung von Mitte auf Ende Dezember gewesen.

Allerdings: Der Richter weist diese Äußerungen der Pressesprecherin seines Gerichts als unwahr zurück. Er kündigte an, er werde sie verklagen. Ich glaube nicht, dass wir über diesen Prozess irgendetwas erfahren werden, und wenn ja, kann ich mir denken, wie er ausgeht. 

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3 Kommentare

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Diktierte Urteile gibt es in Deutschland vielleicht nicht. Abgeschriebene Anklagen aber schon. Man wundert sich mitunter, daß die Tatbestände in amtsgerichtlichen Urteilen 1:1 der Anklageschrift entsprechen, auch wenn die Hauptverhandlung in wesentlichen Punkten etwas anderes ergeben hat.  In der Rechtsmittelinstanz kann das zumeist korrigiert werden. Es spricht aber nicht für den guten Zustand einer Justiz, wenn der Rechtsstaat erst in der zweiten oder dritten Instanz beginnt, zumal ein Instanzenzug nach der Rechtsprechung des BVerfG von Verfassungs wegen nicht geboten ist. Apropos diktierte Urteile: wie frei sind eigentlich Schöffen in ihrer Entscheidung unter dem Einfluß eines autoritären Vorsitzenden?  Macht es wirklich einen qualitativen Unterschied, ob ein Vorsitzender die Schöffen "anleitet" oder eine höhere Instanz den Vorsitzenden?

 

Ein Blick auf die Webseite des BVerfG offenbart einen äußerst beklagenswerten Zustand unserer Justiz. Schwere Grundrechtsverletzungen durch Nichtbeachtung verfahrensrechtlicher Mindeststandards allenthalben. Bevor wir uns über die Justiz anderer Staaten echauffieren, sollten wir unseren eigenen Gerichten genauer auf die Finger schauen.

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Besten Dank für die von Ihnen eingestellten Links. Da kann sich nun jeder Leser (besser: Miltblogger) selbst ein Bild machen.

Sehr interessant dürfte der auf der Berlinale uraufgeführte Dokumentarfilm "Khodorkovsky" sein, die Cyril Tuschi aus Berlin über den in Sibirien inhaftierten Milliardär erstellt hat, der für die russische Opposition eine wichtige Leitfigur bildet. Als Minifilme will (derzeit noch nichts eingestellt) er seine zahlreichen für diesen Film geführten Interviews auf www.khodorkovsky-film.de einstellen.

 

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