Nur ein bisschen abgeschrieben - ist das denn so schlimm? Plagiatsvorwurf gegen Verteidigungsminister

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 16.02.2011

Eine Suche nach Fehlern, die Politiker einmal auf anderen Feldern begangen haben, sieht entweder aus wie eine Kampagne politischer Gegner, oder sie hat schnell etwas Korinthenkackerisches - vier oder acht  Absätze auf einigen hundert Seiten (SüddeutscheSpiegelOnline und FAZ), das kann doch wohl nicht so erheblich sein (update: die im Internet schon verbreitete Rezension von Andras Fischer-Lescano  in der Kritischen Justiz - Heft1/2011 -  verweist immerhin auf 24 Absätze, ohne vollständige Überprüfung der Arbeit). Schließlich soll es doch beim Politiker vor allem auf seine politischen Meriten ankommen.

Naja.

Ich will hier einfach nur die Maßstäbe anführen, die ich selbst (und wohl die meisten meiner Kollegen) bei Verstößen gegen das wissenschaftliche Arbeiten bei Studienarbeiten im Rahmen der juristischen Universitätsprüfung (Teil der Ersten Juristischen Prüfung)  anwenden, und die ich auch Doktoranden predige:

JEDE Übernahme eines fremden Gedankens MUSS in der Fußnote genau bezeichnet werden. Eine wörtliche Übernahme von Textstellen anderer Autoren ist mit Anführungszeichen vor und hinter dem Zitat anzuzeigen und ebenfalls in der Fußnote zu belegen. Im Literaturverzeichnis sind wirklich alle verwendeten Quellen anzugeben.

Wird (bei der Studienarbeit) eine Missachtung dieser Regeln gefunden, führt dies zur Abwertung um einige Punkte, bei mehrfachen Verstößen in einer Arbeit zur Wertung "ungenügend" - und zwar egal, wie gut der sonstige Text ist. In den vergangenen Jahren sind schon einige Studenten bei Stichproben "erwischt" worden. Bei manchen bin ich sicher, dass es gar kein böser Wille war, nur das Ungeschick/die Unsitte, aus dem Internet Textstellen direkt in den Entwurf zu kopieren und dann das Umformulieren und/oder das Belegen zu vergessen. Aber der subjektive Tatbestand kann hier nicht entscheidend sein: Jede Arbeit muss objektiv diese Formalien erfüllen.

Natürlich bin ich nicht so naiv zu glauben, dass alle Plagiatstellen in Studien- und Doktorarbeiten gefunden werden. Es wäre auch viel zu viel Aufwand, als Gutachter alle Arbeiten komplett darauf zu überprüfen, ein gewisses Vertrauen muss man zu seinen Studenten und Doktoranden schon haben, sonst lenkt die Suche nach "Stellen" ab vom Wesentlichen, dem Inhalt. Ich bin daher ziemlich sicher, dass es "da draußen" viele Arbeiten gibt, die solche Fehler wie die unseres Verteidigungsministers enthalten, ganz unabhängig von der sonstigen Qualität (im Übrigen gibt es ja auch Plagiats-Beispiele von anerkannten hervorragenden Wissenschaftlern).

Doch: Bei -  notwendig publizierten - Doktorarbeiten ist, wenn der Doktor prominent ist oder wird, immer damit zu rechnen, dass ihm später solche Fehler vorgehalten werden. Das ist dann doppelt peinlich. Und das sage ich meinen Doktoranden: Lieber jetzt doppelt und dreifach prüfen, ob alles schön belegt ist, als sich nachher (wenn man prominenter Richter oder Minister geworden ist) solche Dinge vorwerfen lassen zu müssen.

Ein großer Skandal?  (update 21.02.:) Ja, da sich die Plagiatstellen als systematische Vorgehensweise entpuppt haben.

 

Update 21.02. 17.30 Uhr: Mittlerweile sind abgeschriebene und nicht korrekt zitierte Stellen mit wörtlichen oder fast wörtlichen Übernahmen aus Fremdtexten auf 271  Seiten der Dissertation entdeckt worden (Quelle). Einen anschaulichen  interaktiven Überblick mit Nachprüfungsmöglichkeit bietet diese neue Seite.

Update 1. März In der Wissenschaft wird inzwischen zunehmend der Rücktritt des Verteidigungsministers gefordert:

Offener Brief an die Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel von Doktoranden und Promovierten LINK

Erklärung von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern zu den Standards akademischer Prüfungen LINK

 

UPDATE 1. März, 11 Uhr: Laut Spiegel-Online will zu Guttenberg heute noch seinen Rücktritt als Minister bekanntgeben.

 

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358 Kommentare

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Die SZ schreibt heute "Plagiatsaffäre um Doktorarbeit Gutachten: Guttenberg hat absichtlich abgeschrieben".

 

Täuschte Guttenberg nun weiter, denn schließlich beteuerte er noch Anfang März, es sei ihm "ein aufrichtiges Anliegen, mich an der Klärung der Fragen hinsichtlich meiner Dissertation zu beteiligen"? Aktuell wehrt er sich jedoch anscheinend gar mit Anwälten gegen eine Veröffentlichung des Gutachtens der Uni Bayreuth, trotz extrem überragenden öffentlichen Interesses.

 

Jedoch "Aus Sicht der Hochschule hat Guttenberg damit anerkannt, dass an der Aufklärung des Falls und am Abschlussbericht ein öffentliches Interesse besteht. "Auf das Wort verlasse ich mich", sagte Uni-Präsident Rüdiger Bormann am Freitag."

 

"Auch die Staatsanwaltschaft Hof, die mögliche Verstöße gegen das Urheberrecht prüft, hat frühzeitig signalisiert, sie wolle den Bericht der Uni-Kommission anfordern und für ihre Ermittlungen nutzen."

 

Wenn ein ehem. Volksvertreter ein derartiges Verhältnis zur Öffentlichkeit hat, ist das für mich nicht nur demokratisch sondern auch charakterlich mehr als fragwürdig.

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Charakterlich ist Guttenberg schon längst nicht mehr fragwürdig, sondern hat durch sein wiederholtes Lügen unter Beweis gestellt, dass der Adel in seinem Fall sich längst von seiner Wortherkunft ins Gegenteil entwickelt hat.

Immerhin hat er seine pseudomoralischen Werbesprüche ("Verlässlichkeit und Klarheit sind die Voraussetzungen für das Vertrauen der Bürger in die Politik" usw.) mittlerweile von seiner Homepage entfernt - er hat wohl erkannt, dass diese Messlatte niemals für ihn erreichbar sein wird.

Vermutlich spekuliert er darauf, dass die Staatsanwaltschaft entweder ein Verfahren gegen Geldauflage einstellt ("Freikaufen") oder es mit einem Strafbefehl bewenden lässt. So könnte er erreichen, dass sein kriminelles Verhalten (wie dar doch diese Kampagne: "Raubkopierer sind Verbrecher") nicht durch einen entsprechenden Eintrag in seinem Strafregister dokumentiert wird und evtl. die Zulassung zu einer Berufstätigkeit verhindert.

Bleibt zu hoffen, dass angesichts des Umfangs der Plagiate über 90 Tagessätze gefordert werden und / oder es zu einer öffentlichen Verhandlung kommt, in der auch das Gutachten zitiert wird.

die Einsarg-Versuche im oberfränkischen Juristen-Filz laufen angeblich schon: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,755994,00.html

Ein öffentliches Interesse festzustellen kann ja so schwierig sein bei einer Person, die einen Posten im Staatsdienst bekleidet hat...

Da die Guttenbergsche Plagiatesammlung die von CDU-Kasper (http://www.nw-news.de/owl/3341432_Eine_Doktorarbeit_als_Flickenteppich.html) weit übersteigt, müsste die Strafe konsequenterweise höher als 90 Tagessätze ausfallen. Aber ob eine Juristenkrähe der anderen ein Auge aushackt? Gegenseitiger Schutz hat schließlich schon in den Anfangsjahren der BRD so gut funktioniert wie in der Mafia...

@ Mein Name:

Das Interesse der Öffentlichkeit am Fall Guttenberg ist aber nicht gleichzusetzen mit einem besonderen öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung.  Wenn Thomas Gottschalk als Ersttäter eine fahrlässige Körperverletzung im Straßenverkehr mit leichtesten Verletzungsfolgen begeht, mag es sein, dass die Knallpresse lang und breit darüber berichtet. Das ändert aber nichts daran, dass regelmäßig bei leichten Verletzungen ohne Strafantrag kein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung  bejaht wird und dass wie bei jedem sonstigen Ersttäter in der Regel auch das Verfahren eingestellt wird.

 

Auch das Ministeramt dürfte nicht ausreichend sein, weil zwischen Doktorarbeit und Amtsführung kein Zusammenhang besteht.

Man kann wohl ganz gut damit argumentieren, dass Arbeiten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages verwurstet wurden.

 

Auch hat  bislang offenbar kein einziger der zig plagiierten Autoren - die sich ja wie z.B. die NZZ- und die FAZ- Journalisten sogar öffentlich geäußert haben - einen Strafantrag gestellt. Wieso ein besonderes öffentliches Interesse dann bejaht werden sollte, wenn der Rechteinhaber (und hier gleich mehrere) keinerlei Interesse zeigt, wäre dann auch so eine Frage, die man sich stellen könnte, bevor man mit Vokabular wie "Filz" argumentiert.

 

Was die Juristenkrähen angeht: googeln Sie doch mal z.B.  nach "Rechtsanwalt verurteilt wegen Untreue". Sind gar nicht so wenige Krähen, denen da ein Auge ausgehackt wird. 

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Es ist unstreitig, das sogar ein weit überragendes Öffentliches Interesse gegeben ist. Denn schließlich besteht die Gefahr, dass bei Nichtklärung der für alle nahezu offensichtlich bewiesenen Vorwürfe, diese Person irgendwann wieder ein politisches Amt begehren könnte. Dies ist jedoch ausgeschlossen, wenn die Täuschung und Strafbarkeit des Plagiators öffentlich festgestellt wurde.

 

Auch die Umfragen ergeben, dass die Bürger es richtig finden, dass Guttenberg nicht mehr Politiker ist. Auch somit besteht ein klarer Zusammenhang zwischen Amtsführung und "untauglich versuchter" Promotion, da das wiederholte Täuschen gerade auf Charaktereigenschaften schließen lässt, die der Führung eines öffentlichen und steuerfinanzierten Amtes diametral entgegen stehen.

 

Im Übrigen sind lt. Guttenplag inzwischen 94,4% der Seiten dieses copybergschen Plagiatepamphletes betroffen, womit die Täuschung für jeden Sehenden und Denkenden als nahezu exorbitant klar feststehen dürfte.

 

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Die Nürnberger Nachrichten analysierten jüngst treffend, via finanzen.net:

 

"Karl-Theodor zu Guttenberg bleibt sich treu: Zur Aufklärung der Frage, wie denn seine in weiten Teilen abgeschriebene Doktorarbeit entstanden ist, hat der Ex-Star der CSU selbst öffentlich bisher nichts, aber auch gar nichts beigetragen - er tat nur mehrfach so. Riesengroß ist die Kluft zwischen dem hehren moralischen Anspruch zu Guttenbergs und der blamablen Wirklichkeit: Seine schön klingenden Reden von Werten und Anstand pass(t)en nicht zu seinen Taten."

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@ klabauter: ein hohes öffentliches Amt reicht durchaus für ein öffentliches Interesse, zumindest bei der Staatsanwaltschaft Göttingen im Plagiatsfall Kasper (CDU): http://www.lz.de/lokales/kreis_lippe/4254336_Parallelen_zu_Guttenberg_Andreas_Kasper_verlor_nach_Plagiatsvorwuerfen_sein_Amt_als_Landesverbandsvorsteher.html

Und dieses Zitat

Quote:
Die Dissertation stelle sich "auf etlichen Seiten als Flickenteppich aus den Texten anderer Autoren dar", die nicht kenntlich gemacht worden seien, sagte gestern der Göttinger Oberstaatsanwalt Hans-Hugo Heimgärtner. Seriosität sei in der Wissenschaft "ein hohes Gut", deshalb könne man so etwas "nicht durchgehen lassen" und habe das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht.
kann man 1:1 auf Guttenberg übertragen (http://www.nw-news.de/owl/3341432_Eine_Doktorarbeit_als_Flickenteppich.html). Warum sollte die StA Hof dies anders bewerten? Weil sie, anders als bei Kasper, im gleichen Regierungsbezirk liegt wie der Wohnsitz und CSU-Kreisverband des Täters und nicht in einem anderen Bundesland?

Wie richtig erwähnt, stellt auch der Missbrauch des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags ein öffentliches Interesse her - oder muss der Baron erst noch wegen Untreue angezeigt werden?

Es geht weiter in den Reihen der Union: http://de.vroniplag.wikia.com/wiki/Pressemitteilung_zur_Dissertation_von_Dr._Matthias_Pr%C3%B6frock

aber auch die FDP scheint es zu erwischen: http://www.sueddeutsche.de/politik/fdp-koch-mehrin-unter-plagiatsverdacht-hat-silvana-koch-mehrin-abgeschrieben-1.1083866, Quellen hier: http://de.vroniplag.wikia.com/wiki/Skm

Im Übrigen und nicht zuletzt ist ein Einschreiten von Amts wegen aufgrund eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung geboten, da ein erheblicher Schaden für das Schutzgut Urheberrecht und dessen geaamtes System droht.

 

Auch Merkel erwartet von Guttenberg wohl volle Aufklärung und gibt damit anscheinend der Uni Bayreuth Rückendeckung, ebenso wie der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Matthias Kleiner. "Das Thema hat eine solche öffentliche Aufmerksamkeit erfahren, dass ich davon ausgehe, dass die Ergebnisse der Kommission der Universität Bayreuth auch veröffentlicht werden", sagte Kleiner der "Rheinischen Post".

 

Und weiter gehts es in der Plagiatorenrunde: "Guttenberg-Virus in der FDP? Koch-Mehrin soll plagiiert haben".

 

Auf Vroniplag hat man nun auch zahlreiche Palgiationsstellen in der Dissertation von (Dr. ) Matthias Pröfrock ermittelt.

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