Showdown zwischen OLG Stuttgart und Bundesregierung? - Aus dem RAF-Prozess gegen Verena Becker

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 25.02.2011

Ganz anders als der Kachelmann-Prozess findet die in Stuttgart laufende Hauptverhandlung gegen Verena Becker nur geringes mediales Echo, obwohl dort über eine Straftat  mit historischer Dimension verhandelt wird (siehe schon Blog-Beitrag von Prof. v. Heintschel-Heinegg). U.a. auf Betreiben von Michael Buback (vgl. hier), wird dort über den Vorwurf verhandelt, Becker sei als Mittäterin an dem Anschlag auf den damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seine beiden Begleiter im April 1977 beteiligt gewesen. Da sie bislang nicht für diese Tat verantwortlich gemacht wurde trotz der bei ihr gefundenen Tatwaffe, wurde u.a. die Vermutung geäußert, sie sei möglicherweise als Informantin aus dem innersten Zirkel der RAF für den Verfassungsschutz tätig gewesen und daher "geschützt" worden.

Wer sich über den Gang des Verfahrens informieren will, dem sei der hervorragende Blog des ARD-Journalisten Holger Schmidt "Terrorismus in Deutschland"  empfohlen. Dort wird ausführlich über den Prozess berichtet (hier das "Archiv" zum Becker-Verfahren), bei dem derzeit mehrere frühere RAF-Angehörige als Zeugen gehört werden.

Rechtlich interessant könnte der sich ankündigende "Showdown" zwischen dem OLG und der Bundesregierung um die Freigabe von Verfassungsschutzakten werden:

Nach einer Sperrerklärung des Bundesinnenministers nach § 96 StPO hat nunmehr der Senat dem Bundesinnenminister  seine auch von der Bundesanwaltschaft mitgetragene Gegenvorstellung übermittelt und darum gebeten, im Falle, dass der "Beschwerde" nicht abgeholfen werde, die Sache dem Bundeskabinett vorzulegen. Ob, wann und wie es zu dem im Beitragstitel - auch von Holger Schmidt vermuteten (hier) - "Showdown" kommt, ist natürlich fraglich. Schmidt hat Recht: Eine solche Diskussion im Bundeskabinett  wäre nicht nur juristisches sondern auch zeithistorisches Neuland. Und ob dann auch noch eine Überprüfung der Entscheidung durch das BVerfG erfolgen wird, steht gänzlich in den Sternen, insbesondere weil schon eine entsprechende Antrags- bzw. Klagebefugnis der Justiz fraglich ist.

Was genau es ein könnte, was an den entsprechenden Akten so geheim ist, dass der Bundesrepublik schwere Nachteile drohten, wenn sie in der Hauptverhandlung erörtert würden, ist natürlich eine berechtigte Frage: Immerhin ist die Tat fast 34 Jahre her, die RAF existiert nicht mehr und man kann auch davon ausgehen, dass der Verfassungschutz heute andere Methoden hat. Jedoch könnte natürlich auch einiges für die Behörde und die (damalige) Exekutive Peinliches in den Akten zum Vorschein kommen, wer weiß. 

Meine Doktorarbeit, die ich unter dem Titel "Behördliche Geheimhaltung und Entlastungsvorbringen des Angeklagten" 1992 veröffentlicht habe, wird die Entscheidung der Bundesregierung wahrscheinlich nicht erleichtern, denn sie betrifft v.a. die Entscheidung im Strafprozess, falls es bei der Geheimhaltung bleibt. Allerdings war damals schon unbestritten, dass in die Entscheidung, die zur Sperrerklärung führt, die Schwere der verhandelten Straftat und der (mögliche) Stellenwert des Beweismittels einzubeziehen sind, d.h. die sperrende Behörde kann sich nicht allein auf die Wichtigkeit der Geheimhaltung berufen. 

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Mindestens ebenso aufschlussreich zum Prozessgeschehen - und teils noch detaillierter zu jedem Verhandlungstag  - sind die Berichte von Michael Buback im 3sat Kulturzeit-Blog, ebenfalls empfehlenswert, zumal Buback als Nebenkläger selbst Fragen stellt und den Hintergrund seiner Fragen im Blog jeweils erläutert. Interessant sind natürlich auch die Unterschiede in den beiden Prozessberichterstattungs-Blogs. Sie ermöglichen es (begrenzt) auch demjenigen, der nicht nach Stuttgart zur Hauptverhandlung fahren kann, den Prozessverlauf aus unterschiedlichen Perspektiven zu "erleben".

 

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