Haftung einer Reinigungskraft bei grober Fahrlässigkeit - Betätigung eines falschen Knopfes

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 27.02.2011

Seit kurzem liegen die Entscheidungsgründe eines neuen Urteils des 8. Senats des BAG (Urteil vom 28.10.2010 – 8 AZR 418/09, BeckRS 2011, 68692) zur Arbeitnehmerhaftung vor: Die Beklagte war als Reinigungskraft auf Teilzeitbasis in einer Gemeinschaftspraxis für radiologische Diagnostik und Nuklearmedizin beschäftigt. An einem Sonntag - außerhalb ihrer Arbeitszeit - kam sie zufällig an der Praxis vorbei und vernahm einen Alarmton. Sie betrat die Praxis stellte fest, dass der Alarm von dem Magnetresonanztomographen (MRT) ausging. Um den Alarm auzuschalten, drückte sie statt des hierfür vorgesehenen blauen Knopfes "alarm silence" den roten Schaltknopf "magnet stop" und löste hierdurch eine Notabschaltung aus, die das Gerät beschädigte. Die Reparturkosten betrugen knapp 31.000 €. Hinzu kam ein Nutzungsausfallschaden für mehrere Tage in Höhe von rund 18.500 € (insoweit nicht von der Schadensversicherung der Ärzte übernommen). Diesen Schaden verlangten die Kläger von der beklagten Reinigungskraft ersetzt. Die Klage hatte teilweise Erfolg. Die Erfurter Richter stellen in ihrem Urteil fest, dass die Beklagte, als sie statt des Schaltknopfes "alarm silence" fehlerhaft den Schaltknopf "magnet stop" drückte, ihre arbeitsvertragliche Nebenpflicht, den Arbeitgeber nicht zu schädigen, verletzt hatte (§ 280 Abs. 1 S. 1 BGB). Das Handeln der Reinigungskraft sei - auch wenn es außerhalb der Arbeitszeit erfolgt sei - durch den Betrieb veranlasst und aufgrund des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien geschehen. Zu entscheiden war nunmehr, ob sich die beklagte Reinigungskraft auf die Grundsätze der privilegierten Arbeitnehmerhaftung berufen konnte. Allerdings hat das BAG das Fehlverhalten mit Blick auf die konkreten Umstände des Einzelfalls als grob fahrlässig eingestuft. Bei dieser Verschuldensform hat der Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung in aller Regel den gesamten Schaden zu tragen. Eine Entlastung des Arbeitnehmers ist jedoch auch hier nicht gänzlich ausgeschlossen. Ob sie in Frage kommt und wie weit sie zu gehen hat, ist – so das BAG - nach einer Abwägung zu entscheiden, die grundsätzlich dem Tatrichter nach Feststellung aller dafür maßgebenden Umstände obliegt (§§ 286287 ZPO). Auf Seiten des Arbeitnehmers müssten insbesondere die Höhe des Arbeitsentgelts, die weiteren mit seiner Leistungsfähigkeit zusammenhängenden Umstände und der Grad des Verschuldens in die Abwägung einbezogen werden. Auf Seiten des Arbeitgebers werde ein durch das schädigende Ereignis eingetretener hoher Vermögensverlust umso mehr dem Betriebsrisiko zuzurechnen sein, als dieser einzukalkulieren oder durch Versicherungen ohne Rückgriffsmöglichkeit gegen den Arbeitnehmer abzudecken war. Die Entscheidung sei nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zu treffen. Eine feste, summenmäßig beschränkte Obergrenze der Haftung gäbe es nicht, sie festzulegen wäre dem Gesetzgeber vorbehalten. Im konkreten Fall konstatiert das BAG, dass sich der eingetretene Schaden auf mehr als das Hundertfache eines Monatslohns der Reinigungskraft belaufe und sich damit als ganz ungewöhnlich groß darstelle. Bereits die Haftungsbeschränkung auf zwölf Monatsgehälter – für die sich das BAG in Übereinstimmung mit der Vorinstanz im Ergebnis ausspricht - stelle für die Arbeitnehmerin eine sehr große finanzielle Belastung dar, weil bei "Mini-Jobs" regelmäßig der gesamte Verdienst zur Existenzerhaltung gebraucht wird und Reserven, Rücklagen oder Sparquoten, auf die verzichtet werden könnte, nicht bestehen. Ihre freiwillig abgeschlossene Privathaftpflichtversicherung wirke sich dagegen auf die interne Betriebsrisikoverteilung nicht aus.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

14 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

also nicht rechtlich neues....viel interessanter wäre gewesen, warum das gericht grobe FL angenommen hat...eine durchschnittliche Reinigungskraft kann kein englisch, weiß nicht, dass bei "magnet stop" zerstörerische notabschaltungen ausgelöst werden etc.

was man ihr allerdings vorweren kann, wäre, warum sie überhaupt an tere med. geräte rangeht und nicht vilemehr ihren arbeitgeber anruft, dass da was nicht stimmt.....

0

Wie soll eine Putzkraft wissen, dass die Betätigung des Not-Aus-Schalters zu derartig umfangreichen Schäden am Gerät führt? Das ist sicherlich nicht normal und klingt nach einer Fehlkonstruktion, die im Verantwortungsbereich des Herstellers liegt.

Normalerweise ist ein Not-Aus-Schalter bei elektromechanischen Geräten zur Minimierung von Folgeschäden bei einem Defekt geeignet, wogegen die reine Stummschaltung des Alarmtons den Gerätebetrieb nicht stoppt und eventuelle Folgeschäden geräde nicht verhindern kann.

0

Diese ganze Abwägerei ist für mich als Nicht-Arbeitsrechtler nicht im Ansatz nachvollziehbar. Was zum Teufel soll "die Höhe des Arbeitsentgelts" und weitere Umstände der persönlichen Leistungsfähigkeit mit der Frage zu tun haben, in welcher Höhe ein Schadensersatzanspruch besteht?!

Da stellt sich also ein Gericht hin und will ohne ersichtliche gesetzliche Grundlage einen Schadensersatzanspruch zusammenstreichen - nur weil Putzfrauen wenig verdienen.

Ich versteh's nicht. Das ist doch keine Rechtsprechung, sondern Schaffung neuen Rechts nach Art eines Gesetzgebers. Eines sozialistischen Gesetzgebers, genau genommen.

0

Hallo Herr Franz,

 

im Gesetz steht: Der Arbeitnehmer haftet. Aber das wäre unbillig, genau für sowas gibt es die §§ 242 und 138 im BGB, um solche ungerechtigkeiten auszugleichen. Wenn der Arbeitnehmer immer voll haftet käme es zu Problemen:

Würde sonst noch jemand Maybach-Chauffeur werden? Würde sich noch jemand trauen, bei der AIDA auf der Brücke zu stehen oder eine 747 in Hong Kong zu landen?

 

Und bei dieser Abwägung spielt mit:

 

- Wie hoch ist der Schaden?

- Hat der AN den Unfall fahrlässig, grob fahrlässig oder sogar vorsätzlich herbeigeführt?

- Ist der Schaden versicherbar?

- Wieviel verdient der AN?

- Wie wahrscheinlich ist ein solcher Schaden?

 

Und so muss dann das Gericht im Einzelfall eine Lösung finden.

0

Hallo Mathias,

ich weiß natürlich aus meiner Ausbildung um das Prinzip der Arbeitnehmerbegünstigung. So richtig will mir eine Privilegierung auch für grob fahrlässiges Verhalten aber trotzdem nicht in den Kopf.

Mit der gleichen Argumentation könnte man fragen, ob sich ohne eine grundsätzliche Haftungsprivilegierung für jedermann noch jemand fände, der ein unternehmerisches Risiko in Kauf nimmt - etwa den Betrieb einer 747.

Es ist gerade nicht unbillig, jemanden für grob fahrlässiges Fehlverhalten in die Haftung zu nehmen. Und die Mehrzahl der Unternehmen spielt nicht in der Liga von Fluggesellschaften, so dass die Schludrigkeit von Arbeitnehmern eine echte Gefahr darstellt. Vor allem dann, wenn den Arbeitnehmern von vornherein signalisiert wird, dass ihnen ja eigentlich nichts passieren kann. Ungerecht ist daher eine Auslegung des § 242 BGB, die Unternehmern den grundsätzlich vorgesehenen Rückgriff verweigert.

Vielleicht präziere ich meine Kritik allerdings dahingehend, dass ich den Arbeitnehmerschutz für exzessiv halte. Im "echten Leben" trifft es nämlich in den weit überwiegenden Fällen keine Großunternehmen, die derartige Risiken handhaben können, sondern - wie im entschiedenen Fall - Kleinunternehmer und Mittelständler.

0

Hallo Herr Franz (hatte oben gelesen: Nicht-rechtler, aber das hat sich nun ja erledigt, entschuldigen Sie bitte),

bei grob fahrlässigem Verhalten wird ja schon begrenzt begünstigt. Warum das in diesem Fall grob fahrlässig gewesen sein soll, verstehe ich auch nicht. 

Unternehmer können sich (i.d.R. ) versichern gegen solche Ereignisse. Dass die Lufthansa eine Jumbo-Vollkasko abschließt, ist wohl nicht zu viel verlangt. Dass der einzelne Pilot eine jumbo-abdeckende Haftpflicht abschließt, wohl schon eher.

 

Grüße

0

@ Christian Franz: auch hier zeigt sich eben, dass ein Arbeitsverhältnis kein 08/15-Vertragsverhältnis ist. Gerade weil der Arbeitgeber eine Fürsorgepflicht hat, muss er große Risiken selbst absichern (s.o., Betriebsrisiko) . Auch eine MTRA könnte schließlich instinktiv den üblichen roten "Not-Aus-Knopf" drücken, wenn während des laufenden Betriebs der Alarm losgeht - oder gar der Radiologe selbst...

Ich sehe schon, die arbeitsrechtlichen Besonderheiten - ich gebe mich geschlagen; ohne Abwägerei wäre das Arbeitsrecht wohl tatsächlich nicht interessengerecht.

Ähnliches Unverständnis schlägt mir ja auch bei bestimmten Besonderheiten des gewerblichen Rechtsschutzes entgegen, meinem Leib- und Magen-Rechtsgebiet. Wie heißt es so schön: Schuster bleib bei Deinen Leisten.

Einen guten Start in den Tag!

 

C. Franz

0

Schön, dass Argumente überzeugen konnte.

 

Auch ich fände es natürlich besser, wenn sich jeder selbst erschließen kann, wann er wie haftet und niemand Angst vor dem Nebelschleier der normativen Betrachtung haben müsste.

0

Für mich ist es nicht verständlich, warum der Reinigungskraft grobe Fahrlässigkeit zugerecht wurd.

Eine Reinigungskraft kennt sich mit dem ordnungsgemäßen Umgang mit einem MRT nicht aus. Sie wollte lediglich eine akute Gefahr vom Eigentum ihres Arbeitgebers abwenden. Vorrangig sollte sie den Arbeitgeber anrufen und ihn benachrichtigen. Es ist vom Sachverhalt nicht klar, ob sie die private Telefonnummer ihres Arbeitgebers zum Zeitpunkt der Alarm hatte. Es ist also fraglich, ob der Arbeitgeber Vorkehrungen getroffen hat, damit ihn seine Arbeitnehmer im Notfall erreichen können. Dazu ist es fraglich, ob solche Alarm schon mal in der Praxis passiert ist und ob der Arbeitgeber Kenntnis davon hat. Wenn solche Alarm nicht zum ersten Mal ausgelöst wird, dann sollte er seine Mitarbeiter und zwar alle davon warnen und gegenfalls instruktieren, wie sie in diesem Fall handeln sollen.

Nicht zu letzt ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber seine Mitarbeiter vor der Empfinflichkeit der sich in der Praxis befindende Technik aufklären sollte. Er sollte also die Reinigungskraft darauf hinweisen, dass sie (auch) bei der Reinigungsarbeiten darauf aufpasst, die Technik nicht zu beeinflüßen oder zu betätigen. Er sollte dazu in der Praxis auf einem sichtbaren Platz Notrufnummer auslegen, die bei einem Notfall gebraucht werden. Dazu gehört auch die Telefonnummer, auf die er ständig, auch über das Wochenende erreichar ist.

Meines Erachtens treffen den Arbeitgeber zu viele Vorkehrungspflichten zu, die er unterlassen hat. Er ist die sachkundige Person in dem Fall, nicht die Reinigungskraft. Grobe Fahrlässigkeit scheint mir ungerecht in dem Fall.

Weiterhin schließe ich mich an die Meinung an, dass "alarm silence" nicht die Magnetausstrahlung bei akuter Gefahr stoppen kann. Es kann nicht von jedermann erwartet werden, dass "magnet stop" zu einem zerstörerischen Ergebnis führt. Ein Fehler des Herstellers ist in Erwägung zu ziehen.

0

Soweit ich informiert bin, musste erst eine Plexiglasabdeckung entfernt werden, um an die Knöpfe zu gelangen. Auf dieser Abdeckung klebte wohl ein Zettel durch den  darauf hingeweisen wurde, dass im Notfall nur der Alarm abgeschaltet werden soll (So nach dem Motto: Sonst wird es teuer). Dies hilft villeicht hier eher ein grob fahrlässiges Verhalten zu bejahen. Angesichts der vorgenommenen Haftungsbeschränkung wäre ein (normal) fahrlässiges Verhalten meineserachtens überzeugender gewesen. Letztendlich ist aber aus ökonomischen Gesichtspunkten der Arbeitgeber in der Lage, den Schaden zu versichern, sodass das Ergebnis interessengerecht ist.

 

0

Ich habe bei Frau Dockter beim reinigen das Fenster aufgelassen dadurch ist die Polizei und Krankenwagen ausgerückt jetzt soll ich das bezahlen, muss ich das bezahlen.

0

Kommentar hinzufügen