Generalanwältin beim EuGH fordert Ausweitung der Klagemöglichkeiten für Verbände in Deutschland: Droht jetzt eine Klageflut von Umweltverbänden?

von Dr. Ludger Giesberts, LL.M., veröffentlicht am 10.03.2011

In dem Verfahren des nordrhein-westfälischen Landesverbandes des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gegen die Bezirksregierung Arnsberg bezüglich der Genehmigung des Kohlekraftwerks Lünen, hat die Generalanwaltschaft beim EuGH am 16.12.2010 ihre Schlussanträg gestellt (Rs. C-115/09). Die Generalanwältin Eleanor Sharpston rügt hier die ihrer Meinung nach unzureichenden Klagemöglichkeiten von Verbänden und Interessengemeinschaften in Deutschland. Das Verfahren betrifft ein Vorabentscheidungsersuchen des OVG NRW. Das Gericht hat darüber zu befinden, inwieweit eine nichtstaatliche Umweltorganisation Anspruch auf Überprüfung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung in Umweltangelegenheiten hat, ohne den Nachweis oder Geltendmachung einer Verletzung subj. Rechte Einzelner zu erheben.

 

Grundsätzlich sind nach deutschem Recht Klagen auf Überprüfung verwaltungsrechtlicher Entscheidungen nur zulässig, sofern der Kläger geltend machen kann, in einem ihm zustehenden subjektiv-öffentlichen Recht verletzt zu sein (§ 42 II VwGO). Auch nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz ist eine Verbandsklage grundsätzlich nur dann zulässig, wenn die Verletzung einer Norm gerügt wird, die zumindest auch dem Schutz von Individualrechten dient. Umweltschutzorganisationen sind auch hiernach deshalb nur dann selbst klagebefugt, wenn sie auf ein subj. Recht Einzelner verweisen können (hierzu Giesberts, Rechtsschutz im Wasserrecht - Die Umsetzung der Arhus-Konvention durch das UmwRG, in: Reinhardt, Wasserrecht und Wasserwirtschaft, Band 41, Trierer Wasserwirtschaftsrechtstag 2007, S. 117 ff.). Rechtsnormen, die dem Schutz der Umwelt im Allgemeinen dienen, begründen aber nicht zwingend zugleich auch Rechte Einzelner. Auch soweit § 64 BNatSchG den Naturschutzvereinigungen eine Klagemöglichkeit ohne die Geltendmachung eigener Rechtsverletzungen eröffnet, stellt dies insofern eine eng umgrenzte Ausnahme dar. Im vorliegenden Falle hatte der BUND jedoch ausdrücklich im Namen der Allgemeinheit geklagt. Hierzu hatte er einen Verstoß gegen allgemeine Umweltvorschriften geltend gemacht, die gerade nicht dem Schutz der Rechtsgüter von Einzelnen bestimmt waren.

 

Der EuGH hat deshalb über die Auslegung des Art. 10a der Richtlinie 85/337/EWG in der Fassung der Richtlinie 2003/35/EG sowie des Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (sog. Aarhus-Konvention) zu entscheiden. Maßgeblich wird sein, ob sich daraus das Recht einer nichtstaatlichen Umweltorganisation ergibt, unabhängig von der Geltendmachung einer individuellen Rechtsverletzung, den Klageweg beschreiten zu können. In ihren Schlussanträgen kommt die Generalanwältin zu dem Ergebnis, dass nach europäischem Recht nichtstaatlichen Umweltorganisationen ein umfassenderer Zugang zu den Gerichten eingeräumt werden müsse. Zur Feststellung der Klagebefugnis müsse die Geltendmachung aller für die Zulassung des Vorhabens verletzten maßgeblichen Umweltvorschriften möglich sein. Dies erfasse auch solche Vorschriften, die allein dem Allgemeininteresse und nicht zumindest auch dem Schutz der Rechtsgüter Einzelner zu dienen bestimmt sind.

 

Sollte der EuGH entsprechend seiner regelmäßigen Praxis den Schlussanträgen der Generalanwaltschaft folgen, hätte dies erhebliche Folgen für den Rechtsschutz im verwaltungsgerichtlichen Verfahren in Deutschland. Bereits heute können Genehmigungs- und Planungsverfahren komplexer industrieller Vorhaben und großer Infrastrukturprojekte Jahre bzw. Jahrzehnte dauern. Die Ermöglichung einer Rüge objektiver Rechtsverletzungen auf dem Klagewege könnte insofern zu einer erheblichen Verzögerung zahlreicher notwendiger Infrastrukturprojekte, sowie insgesamt zu mehr Rechtsunsicherheit führen. Auch würde sich die Gefahr eines Rechtsmissbrauchs vergrößern, wenn Verbände plötzlich vielfach ohne eigene Betroffenheit klagen, nur um beispielsweise ein bestimmtes Vorhaben zu verzögern oder versuchen sich öffentlichkeitswirksam in Szene zu setzen. Ein umfassendes Verbandsklagerecht würde auch eine unangemessene Privilegierung von Verbänden im Vergleich zum einzelnen Bürger darstellen, dem die Berufung auf eine objektive Klagebefugnis de lege lata gerade verwehrt ist. Insgesamt ist im Falle einer entsprechenden Entscheidung von einer erhöhten Klagebereitschaft auszugehen, die sich kontraproduktiv für den Wirtschaftsstandort Deutschland auswirken dürfte.

 

Sollte der EuGH dem Schlussantrag entsprechen, könnten sich nichtstaatliche Umweltorganisationen unmittelbar auf die Bestimmungen der RL 2003/35/EG berufen, da eine fristgemäße hinreichende Umsetzung in nationales Recht nicht erfolgt wäre. Die weitere Entscheidung in diesem richtungweisenden Verfahren bleibt abzuwarten.

 

Rechtsanwälte Dr. Ludger Giesberts, LL.M. und Guido Kleve 

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4 Kommentare

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Wir leben in einem Rechtsstaat und da sollte es eine Selbstverständlichkeit und nicht eine Ausnahme sein, dass behördliche Genehmigungen von Vorhaben mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt einer vollumfänglichen gerichtlichen Prüfung der Rechtmäßigkeit zugeführt werden können.

Man muss in diesem Zusammenhang bedenken, dass der Vorhabenträger einen eben solchen Anspruch auf umfängliche Überprüfung einer behördlichen Versagung der Genehmigung hat - und im Falle der Stattgabe der Klage Amtshaftungsansprüche geltend machen kann. Entscheidet die Behörde im Zweifel zugunsten des Vorhabensträgers vermeidet sie mithin das Haftungsrisiko und läuft - mangels Möglichkeit der Einforderung einer gerichtlichen Überprüfung bestimmter Genehmigungsvoraussetzungen durch Dritte - auch nicht Gefahr, dass ihre (ggf. rechtswidrige) Genehmigungsentscheidung aufgehoben wird.

Ohne die Zuerkennung eines umfänglichen Verbandsklagerechts würde nahezu der gesamte Bereich der umweltrechtlichen Gesetze außerhalb einer Kontrolle deren korrekten Anwendung und Vollziehung bleiben. Dies kann niemand ernsthaft wollen.

Gerichtliche Kontrollen verzögern die Vorhabensrealisierung zudem nur insoweit als diese (offensichtlich) rechtswidrig erfolgen oder kein besonderes Vollzugsinteresse gegeben ist. In anderen Fällen wird durch Anordnungen der sofortigen Vollziehbarkeit und deren (dann) erfolgreiche Verteidigung in einem gerichtlichen Eilverfahren keine Verzögerung eintreten. 

Die "Gretchenfrage" lautet letztlich, ob der Gesellschaft die Wahrungs des Rechtsstaatsprinzip wichtiger ist oder die Realisierung jedweder Vorhaben auch außerhalb des geltenden Rechts.

5

Quote:
Dr. Giesberts ... ist im Umweltrecht, Infrastruktur- und Planungsrecht, Luftfahrtrecht, EG-Recht sowie im Bereich Privatisierungen/PPP tätig. Zu seinem Erfahrungsschatz gehören die Beratung und Vertretung: von Unternehmen wie Daimler AG und der öffentlichen Hand vor dem Europäischen Gerichtshof und der Europäischen Kommission; von Investoren und Finanzinstituten bei Infrastruktur - Privatisierungen/PPP; von Infrastruktur-Betreibern wie den Berliner Flughäfen zuletzt bei der Finanzierung des neuen Flughafens in Berlin-Schönefeld; von zahlreichen Flughäfen (Düsseldorf, Berlin) und Airlines in luftfahrtrechtlichen Mandaten und Gerichtsprozessen; von international tätigen Unternehmen in Fragen der sog. product compliance sowie Unternehmen aus den Bereichen Energie, Abfall und Healthcare und dem kommunalen Bereich (Stadtwerke). Dr. Giesberts ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen und Herausgeber eines Großkommentars zum Umweltrecht sowie Initiator und Organisator der Deutschen Luftfahrttage.

(http://www.dlapiper.com/de/germany/news/detail.aspx?news=2651)

da erscheint doch dieser Satz in ganz neuem Licht:

LudgerGiesberts schrieb:
Die Ermöglichung einer Rüge objektiver Rechtsverletzungen auf dem Klagewege könnte insofern zu einer erheblichen Verzögerung zahlreicher notwendiger Infrastrukturprojekte, sowie insgesamt zu mehr Rechtsunsicherheit führen.
Herr Giesberts, machen Sie doch Ihre einseitige Propaganda bitte auf der eigenen Webseite. Wollen Sie denn ernsthaft behaupten, dass in den USA, wo es "class action" gibt, Infrastrukturprojekte nicht mehr planbar sind? Oder dass die Planfeststellungsverfahren mit Zehntausenden Einwendungen wirklich besser sind? Ihren Formulierungen entnehme ich, dass Ihren Auftraggebern und damit Ihnen ein schnelles Verfahren ohne wirksame Einspruchsmöglichkeit am liebsten wäre.

Gerade weil die "Öffentlichkeit" manchmal nur durch interessierte Naturschutzorganisationen hergestellt werden kann (da sich die genehmigenden Verwaltungen mit Informationen oft auffällig bedeckt halten) oder schamlos belogen wird (CDU-Roland Kochs Nachtflug"verbot"), ist eine Stärkung der Bürger auch durch Interessenverbände alleine schon aus demokratischen Überlegungen heraus geboten (auch wenn es manchen Juristen wohl lieber ist, die Interessen der Exekutive oder der Großkonzerne für gute Bezahlung durchzusetzen - bei diesem Selbstverständnis sieht man doch glatt eine 70-80-jährige Tradition durchscheinen...). 

Die Rechtsauffassung der Generalanwältin kommt nicht überraschend. Die Vereinbarkeit der deutschen Regelungen mit EU-Recht und der Aarhus-Konvention war bereits in der zurückliegenden Zeit von gewichtigen Stimmen in der juristischen Literatur bezweifelt worden.

Was die Auswirkungen auf das deutsche Rechtsschutzsystem angeht, muss man wohl zwischen den rechtlichen und faktischen Auswirkungen trennen. Rechtlich würde die zumindest partielle Abkehr vom Erfordernis der Verletzung subjektiver Rechte sicherlich eine Zäsur darstellen. Ob es faktisch zu den beschriebenen und befürchteten Verfahrensverzögerungen und Erschwernissen kommen wird, ist allerdings zumindest fraglich. Die Generalanwältin hat diesen Punkt durchaus aufgegriffen und hierzu folgendes ausgeführt (Randnummern 77 bis 80):

„Die deutsche Regierung hat ausgeführt, das deutsche System der gerichtlichen Kontrolle bestehe in einer sorgfältigen und umfassenden Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen und ergebe ein hohes Schutzniveau für die Rechte Einzelner […]. Ebenso wie ein Ferrari mit verschlossenen Türen hilft jedoch eine intensive Kontrolldichte in der Praxis wenig, wenn das System als solches für bestimmte Kategorien von Klagen nicht zugänglich ist. Nach meinem Verständnis ist, wenn keine Verletzung eines subjektiven Rechts Einzelner in Frage steht, weder ein Einzelner noch eine nichtstaatliche Umweltorganisation klagebefugt. Es gibt niemanden, der im Namen der Umwelt klagen kann. Gleichwohl gibt es Umstände – etwa wenn ein Projekt, das in Anhang I der UVP-Richtlinie aufgeführt ist (und damit einer obligatorischen Umweltverträglichkeitsprüfung nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie unterzogen wird), in einem unbewohnten Gelände fernab menschlicher Behausungen errichtet wird –, die für eine effektive Beteiligung an Entscheidungsverfahren im Umweltbereich und eine effektive Kontrolle der Durchführung der UVP-Richtlinie die Klagebefugnis einer nichtstaatlichen Umweltorganisation erforderlich machen.

Die deutsche Regierung macht geltend, dass die gegenwärtig sehr hohe Kontrolldichte, wenn die Voraussetzungen der Klagebefugnis gelockert würden, eingeschränkt werden müsste, um eine Überlastung der Verwaltungsgerichte zu verhindern. Dies würde zu einer schwächeren und weniger effektiven Umsetzung der UVP-Richtlinie führen. Logisch betrachtet trifft dies nicht den Punkt, dass unter bestimmten Umständen eine Klage vor deutschen Gerichten gegenwärtig nicht erhoben werden kann (weil dem Kläger die Klagebefugnis fehlt), obwohl der Sachverhalt in den Anwendungsbereich der UVP-Richtlinie fällt und nach Art. 10a (folglich) die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung bestehen muss. Ich füge hinzu, dass die begrenzten Gerichtsressourcen […] im Ergebnis tatsächlich effizienter und kostengünstiger genutzt werden können, wenn die nichtstaatlichen Umweltorganisationen klagen können.

In der Sitzung hat der BUND vorgetragen, dass tatsächlich nur 0,1 % der Umweltklagen von nichtstaatlichen Umweltorganisationen erhoben würden. Sollte dies zutreffen, kann eine geringfügige Lockerung der Voraussetzungen für die Klagebefugnis kaum zu einem erheblichen Anstieg der Gesamtzahl der Rechtsstreitigkeiten führen. Außerdem können Klagen, die als mutwillig oder schikanös anzusehen sind, selbst dann, wenn sie zulässig sind, als unbegründet abgewiesen werden. Ich halte daher das Argument, dass die Arbeitslast erheblich zunehmen würde […], als Begründung für die Beibehaltung einer erheblichen Lücke im gegenwärtigen System nicht für überzeugend.“

Rechtsanwalt Dr. Alfred Stapelfeldt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht (Darmstadt)

 

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit seinem heute (12.5.2011) verkündeten Urteil die Klagerechte von Umweltverbänden erweitert und ist damit der hier bereits angesprochenen Rechtsauffassung der Generalanwältin - erwartungsgemäß - gefolgt. Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) setzt danach die Vorgaben des europäischen Rechts nicht vollständig um. Deutschland muss nun das UmwRG an das europäische Recht anpassen. Bis zum Inkrafttreten der Gesetzesänderung können sich anerkannte Umweltvereinigungen zur Begründung ihrer Klagerechte unmittelbar auf europäisches Recht berufen. Dem Urteil zufolge müssen Umweltverbände zumindest alle für die Zulassung eines Vorhabens maßgeblichen Umweltvorschriften vor Gericht geltend machen können, die auf dem Recht der Europäischen Union beruhen.

Rechtsanwalt Dr. Alfred Stapelfeldt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht (Darmstadt)

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