Ohrfeige des Bundesverfassungsgerichts: LG Köln versagt Gefangenem zu Unrecht Rechtsschutz für Entschädigung nach Menschenwürdeverletzung

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 10.03.2011

Die in einer Pressemitteilung gestern publik gewordene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Februar 2011 (1 BvR 409/09) wirft sowohl ein Licht auf traurige Zustände im Strafvollzug in NRW als auch auf den Zustand des gerichtlichen Rechtsschutzes gegen die Exekutive.

Worum geht es? Ein (zunächst U-Haft-, später Strafhaft-)Gefangener war über 5 Monate im Jahr 2007 in einer 8 qm großen Zelle mit zwei Mitgefangenen untergebracht worden. In dieser Zelle war die Toilette nur durch einen beweglichen hölzernen Sichtschutz vom Rest der Zelle abtrennbar. Der Tisch, an dem das Essen eingenommen werden musste, war nur einen Meter von der Toilette entfernt. Wegen des Rauchens der Mitgefangenen und wegen der Körper-  (Duschen nur 2x wöchentlich) und Fäkalienausdünstungen herrschte ein entsprechendes "Raumklima". Während eines Monats war dem Gefangenen eine Arbeit zugewiesen, die anderen vier Monate musste er sich 23 Stunden täglich in dieser Zelle aufhalten.

Eine solche Unterbringung ist gesetzeswidrig und menschenunwürdig, was seit Jahrzehnten höchstgerichtlich festgestellt ist. Das Land NRW hat diese menschenunwürdigen Zustände herbeigeführt und zugelassen, die Verantwortlichen - in diesem Fall ist die ehemalige Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (im Amt von 2005 bis 2010) namentlich zu nennen -   verstoßen gegen das Menschenwürdegebot des Grundgesetzes, wenn sie solche Zustände zulassen bzw. nicht umgehend beseitigen.

LG und OLG Köln, die hier eigentlich zur Kontrolle der Exekutive berufen sind - sahen es offenbar als ihre Aufgabe an, Rechtsschutz gegen die Strafvollzugsbehörden und das zuständige Bundesland zu be- und verhindern.

Schon auf der Ebene des Gesuchs um Prozesskostenhilfe wurde dem Gefangenen in der summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten bedeutet, es habe keinen Zweck, auf Entschädigung zu klagen. Die Argumente, die das LG Köln (bestätigt vom OLG Köln) hierzu vorbrachte, sind kaum haltbar:

Der Gefangene habe gegen die Ablehnung einer Zellenverlegung (wegen Überbelegung der Anstalt) keinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt und habe deshalb seine menschenunwürdige Unterbringung selbst (mit) zu verantworten. Das LG Köln weiß aber (bzw. muss wissen), dass solche Anträge selbst bei gerichtlichem Erfolg, von den zuständigen Behörden in der Verangenheit schlicht missachtet wurden, was der Antragsteller auch vortrug. Die Gerichte lassen sich hier entweder von den Behörden an der Nase herum führen, oder aber sie befinden sich im Schulterschluss mit den Behörden, die sie eigentlich kontrollieren sollen: Der Gefangene bekommt Recht, aber an den tatsächlichen Zuständen ändert sich nichts. Die Renitenz der Strafvollzugsbehörden ist ein bekanntes - gleichwohl eines Rechtsstaates unwürdiges - Faktum, das daraus resultiert, dass in den Rechtsschutzvorschriften keine Vollstreckungsnormen vorgeshen sind und die §§ 170, 172 VwGO im Strafvollzug keine Anwendung finden (vgl. dazu Laubenthal, Strafvollzug 5.Aufl. 2008, Rn. 826). Zudem, so das BVerfG, wäre hierzu das beklagte Land beweisbelastet gewesen, hätte also darlegen müssen, dass ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung durch den Kläger den menschenunwürdigen Zustand umgehend beseitigt hätte und darum der Grund für die Entschädigung entfiele.

Gegen einen zivilgerichtlich zugesprochenen Entschädigungsbetrag nach § 839 Abs. 1 BGB hat behördliche Renitenz keine Chance; zudem würde eine Zuerkennung von Entschädigungen auch präventiv wirksam sein. Und auf eine Entschädigungszahlung zielte die Klage, für die der Gefangene Prozesskostenhilfe beantragte. Eine Entschädigung für menschenunwürdige Unterbringung hat schon den BGH (Urteil vom 4. 11. 2004 - III ZR 361/03 = NJW 2005, 58) beschäftigt: Damals ging es um fünf Gefangene, die in einer 16qm-Zelle unterbgebracht waren. Der BGH schloss sich damals der Ansicht der Vorinstanzen insofern an, dass es sich um eine vom Land Niedersachsen verschuldete menschenunwürdige Unterbringung gehandelt habe, mithin einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG. Aus der damaligen Urteilsbegründung:

Ebenso ist den Vorinstanzen darin zu folgen, dass die Amtsträger des bekl. Landes auch ein Verschulden trifft. Dabei ist nicht nur auf die an Ort und Stelle zuständigen Justizbediensteten abzustellen, sondern auch darauf, dass das bekl. Land sich nach seinem Sachvortrag in einer Notsituation befand, weil die Transportabteilung der Justizvollzugsanstalt in dem hier interessierenden Zeitraum mit mehr als 90 Gefangenen belegt war, obwohl sie nur über 47 Einzelhafträume (inkl. vier Sicherheitszellen) und zehn Gemeinschaftshafträume verfügte. Das BerGer. hat mit Recht darauf hingewiesen, dass der danach bestehende erhebliche Mangel an Einzelhaftplätzen keinen hinreichenden Grund dafür darstellt, geltendes Recht zu unterlaufen. Insoweit ist zumindest der Vorwurf eines Organisationsverschuldens begründet, das dem bekl. Land auch dann zuzurechnen ist, wenn die tätig gewordenen Beamten selbst subjektiv nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben.

Eine Geldentschädigung, die aus dem Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers zu gewähren sei, folge jedoch nicht zwingend aus jeder Verletzung der Menschenwürde. Die Entschädigung hänge ab
"von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens". Dies sei in jedem Einzelfall zu prüfen. Im damaligen Fall dauerte die menschenunwürdige Unterbringung allerdings nur zwei Tage an; sie geschah in einer Transportabteilung der JVA Hannover im Zuge einer Verlegung des damaligen Klägers von Bayern nach NRW. Die der damaligen Klage zugrundeliegenden Umstände waren somit wesentlich milder gestaltet als in der hiesigen. Dennoch bezieht sich das LG Köln in seiner Ablehnung der PKS auf diese Entscheidung des BGH und meint daraus schließen zu können, die vorliegende Klage des Gefangenen habe keine Erfolgsaussichten.

Die Antwort des BVerfG ist eindeutig (Quelle Pressemitteilung vom 9. März 2011):

Das Landgericht weicht bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Amtshaftungsklage in Bezug auf die Voraussetzungen einer Menschenwürdeverletzung von der fachgerichtlichen und verfassungsrechtlichen Rechtsprechung ab. Danach erfüllen die vom Landgericht als gegeben unterstellten räumlichen Haftbedingungen die Kriterien für eine Verletzung der Menschenwürde, da in den vom Beschwerdeführer bewohnten Hafträumen die üblicherweise veranschlagten Mindestflächen pro Gefangenen unterschritten wurden und die jeweils integrierte Toilette nicht räumlich abgetrennt und belüftet war.

(...)

Dabei hat das Landgericht vernachlässigt, dass sich die betreffende Entscheidung des Bundesgerichtshofs mit einem wesentlich abweichenden Sachverhalt befasst und die Zusatzerfordernisse erkennbar an die kurze Dauer jener menschenunwürdigen Unterbringung von lediglich zwei Tagen anknüpft. Demgegenüber ist hier selbst nach dem Vortrag des Landes ein Zeitraum zu veranschlagen, welcher im Verhältnis zu der Entscheidung des Bundesgerichtshofs die dort zugrunde liegende Unterbringungsdauer um ein Vielfaches übersteigt. Die bislang ungeklärte Rechtsfrage, ob bei längerer Dauer menschenunwürdiger Unterbringung für die Zuerkennung einer Geldentschädigung auf die vom Bundesgerichtshof in anderer Konstellation geforderten Zusatzerfordernisse verzichtet werden kann, durfte das Landgericht nicht in Vorwegnahme des Hauptsacheverfahrens abschließend im Prozesskostenhilfeverfahren entscheiden.

Aber das BVerfG verweist auch (mit Bezugnahme  auf eine BGH-Entscheidung aus dem vergangenen Jahr) auf einen "neuen Weg der Rechtsverteidigung" in Fällen menschenunwürdiger Haftbedingungen (Quelle BVerfG Urteil vom 22. Februar 2011 - 1 BvR 409/09):

Zu einer anderen Prognose gelangt man auch nicht, wenn man die jüngere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur hypothetischen Kausalität im Rahmen des § 839 Abs. 3 BGB bei Amtshaftungsklagen wegen menschenunwürdiger Haftunterbringung berücksichtigt (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2010 - III ZR 124/09 -, NJW-RR 2010, S. 1465 <1466>). In der genannten Entscheidung hat der Bundesgerichtshof für die hypothetische Kausalität des unterlassenen Rechtsbehelfs ausdrücklich nicht auf die (hypothetische) Möglichkeit der Justizvollzugsanstalten abgestellt, den betroffenen Gefangenen anderweitig menschenwürdig unterzubringen, sondern an die aus dem Gebot der Achtung der Menschenwürde folgende rechtliche Erwägung angeknüpft, dass die Strafvollstreckung zu unterbrechen sei, wenn und solange eine weitere Unterbringung nur unter menschenunwürdigen Bedingungen in Betracht komme. Damit hat der Bundesgerichtshof nicht nur - in der Sache überzeugend - die Pflicht des Staates formuliert, im Falle menschenunwürdiger Haftbedingungen sofort auf die Durchsetzung des Strafanspruchs zu verzichten, sondern - weil dieser Pflicht das Recht des betroffenen Gefangenen korrespondieren dürfte, bei der Vollstreckungsbehörde die Unterbrechung beziehungsweise die Aufschiebung der Strafe zu beantragen (vgl. § 455 StPO) - auf diese Weise auch einen neuen Weg der Rechtsverteidigung offen gelegt.

Das LG Köln wird sich nun noch einmal mit dieser Sache befassen müssen und hoffentlich zu einer anderen Entscheidung zur PKH kommen. Erst dann wird die eigentliche Klage auf den Prüfstand kommen. Kommt es am Ende zu einem Urteil, das eine Zahlung an den Gefangenen vorsieht, dann könnte dies ein wichtiger Schritt dazu sein, dass künftig solche eklatanten Haftsituationen vermieden werden, was im Übrigen die Justizminister der Länder schon heute reklamieren (Quelle: dpa/JuMin NRW):

Hamburg meldet freie Zellen; das Saarland verweist auf den Bau eines neuen Hafthauses; Schleswig-Holstein teilt mit, die Häftlinge hätten «in der Regel» eingewilligt, wenn sie sich eine Zelle teilen. In Bayern gibt es nach Ministeriumsangaben «kaum noch» gemeinschaftlich belegte Einzelhafträume ohne abgetrennten Toilettenbereich. Gegen den Willen der Gefangenen würden diese Zellen nicht mit zwei Personen belegt.    Das nordrhein-westfälische Justizministerium sieht keinen Handlungsbedarf bei den Haftbedingungen. Die Situation in den Gefängnissen zwischen Rhein und Weser habe sich bereits deutlich entspannt, sagte ein Sprecher. So seien schon 800 Zellen, die einst ohne abgetrennte Toilette gewesen seien, umgerüstet worden. Auch der niedersächsische Justizminister Bernd Busemann (CDU) sieht «keinen Handlungsdruck». 82 Prozent der Gefangenen seien in Einzelzellen untergebracht. «Wir haben grundsätzlich keine Überbelegung.»

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4 Kommentare

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Ich glaube nicht, daß solche Beschlüsse des BVerfG bei den aufgehobenen Gerichten als "Ohrfeige" erlebt werden. Ich habe für Mandanten bereits mehrere erfolgreiche Verfassungsbeschwerden geführt, ohne daß ich in gleichgelagerten Fällen so etwas wie einen Lerneffekt bei den "betroffenen" Richtern erkennen konnte. Da wird oftmals munter im alten Fahrwasser weitergerichtet, wohl wissend, daß auch das BVerfG nicht in jedem einzelnen Verfahren als "Superrevisionsinstanz" bemüht werden kann.

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@Andreas Moser:

"Bei Ihnen in Großbritannien" sind dafür auch schon Kinder ab 10 Jahren strafmündig und können für etliche  Jahre in den Bau gehen.  Strafmündigkeit ohne undue delay sozusagen

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