Streik in der Kirche? Wer Tarifverträge anwendet, darf auch bestreikt werden!

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 03.04.2011

Das LAG Hamburg (Urteil vom 23.3.2011, Az. 2 Sa 83/10) hat entschieden, dass es dem Marburger Bund nicht generell verboten ist, in Mitgliedseinrichtungen des kirchlichen Arbeitgeberverbandes VKDA-NEK zu streiken. Die Entscheidung betrifft allerdings eine singuläre Konstellation. Denn im Bereich der nordelbischen Kirche werden die Arbeitsbedingungen in der Diakonie ausnahmsweise nicht auf dem sog. Dritten Weg durch paritätisch besetzte Kommission, sondern durch Tarifverträge geregelt. Umstritten war nun, ob die Gewerkschaft einen neuen Tarifvertrag auch mittels Streik erkämpfen darf. Das LAG hält dies im Ergebnis für konsequent. Seien die Arbeitsbedingungen von kirchlichen Einrichtungen tariflich geregelt, könnten weder das verfassungsrechtlich geschützte Selbstbestimmungsrecht der Kirche und ihrer Einrichtungen noch der Grundsatz der Arbeitskampfparität ein generelles Streikverbot rechtfertigen. Das Recht der Gewerkschaften, zum Streik aufzurufen und Streiks durchzuführen, gehöre zur Tarifautonomie und sei durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt. Dieses Recht könne einer Gewerkschaft jedenfalls dann nicht unter Berufung auf das  Selbstbestimmungsrecht der Kirche genommen werden, wenn es um Streiks in kirchlichen Einrichtungen geht, in denen die Arbeitsbedingungen durch (kirchliche) Tarifverträge geregelt würden. Denn erst durch das Recht zum Streik werde ein Machtgleichgewicht zwischen Gewerkschaft und dem Verhandlungspartner auf Arbeitgeberseite hergestellt, das Tarifvertragsverhandlungen "auf Augenhöhe" ermögliche. Auch ein Streik von Ärzten in kirchlichen Einrichtungen sei nicht generell unzulässig, solange die notwendige Patientenversorgung durch eine Notdienstvereinbarung abgesichert werden könne. Die Entscheidung äußert sich nicht zu der hochumstrittenen Frage, ob dort – wo die Kirche auf den Dritten Weg setzt – Streik generell mit Blick auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht von vornherein ausgeschlossen ist. Die h.M. sieht das so. Allerdings hat hierzu jüngst das LAG Hamm (13.1.2011 - 8 Sa 788/10, Blog-Beitrag 15.1.2011) eine abweichende, differenzierende Meinung vertreten. Höchstrichterliche Stellungnahmen dürften sehr bald zu erwarten sein, haben doch sowohl das LAG Hamburg als auch das LAG Hamm die Revision zugelassen. 

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