"Jesus hat Sie lieb" - gekündigt

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 18.04.2011

Darf ein Telefonagent in einem Call-Center Kundengespräche mit den Worten "Jesus hat Sie lieb" beenden? Darüber verhandelt am kommenden Mittwoch das LAG Hamm (4 Sa 2230/10).

Der klagende Arbeitnehmer ist seit 2004 in einem Call-Center der Beklagten als Telefonagent beschäftigt. Er ist tief religiös und beendet seit einiger Zeit, jedenfalls seit Januar 2010, die telefonisch geführten Kundengespräche mit den Worten "Jesus hat Sie lieb, vielen Dank für Ihren Einkauf bei ... und einen schönen Tag". Die Arbeitgeberin hatte sein Verhalten beanstandet, der Kläger hielt an ihnen aber unter Berufung auf seine religiöse Überzeugung fest. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht.

Kündigungsschutzklage vor dem ArbG Bochum erfolgreich

Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Er versuche lediglich, sowohl seinen religiösen Verpflichtungen als auch seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nachzukommen. Kundenbeschwerden habe es nicht gegeben. Demgegenüber ist die Beklagte der Ansicht, die Glaubensbezeugungen berechtigten den Kläger nicht dazu, sich ihren Arbeitsanweisungen beharrlich zu widersetzen.

In erster Instanz hat das ArbG Bochum der Kündigungsschutzklage stattgegeben (Urt. vom 08.07.2010 - 4 Ca 734/10). Die unternehmerische Freiheit der Arbeitgeberin habe hinter die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Klägers zurückzutreten. Der Kläger genieße den Grundrechtschutz des Art. 4 GG. Zudem habe die Beklagte nicht dargelegt, dass der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden ist. Die Arbeitgeberin hat gegen das Urteil Berufung eingelegt, über die am 20.04.2011 vor dem LAG Hamm verhandelt wird.

Update 20.04.2011: Berufung vor dem LAG Hamm erfolgreich - Fristlose Kündigung rechtmäßig

Im Gegensatz zum ArbG Bochum hält das LAG Hamm die Kündigung (sogar die fristlose!) für rechtmäßig. Der Kläger konnte das Gericht nicht davon überzeugen, dass er ohne seinen Jesus-Gruß in Gewissenskonflikt gerät. Die Berufung hatte damit Erfolg. Die Revision zum BAG wurde nicht zugelassen. (zu näheren Einzelheiten siehe den link im Kommentar #14).

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15 Kommentare

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Erinnert mich irgendwie an den obskuren, etwas unheimlichen Film "The Rapture":

http://en.wikipedia.org/wiki/The_Rapture_%28film%29

 

Die Heldin der Geschichte arbeitet auch in einem Callcenter und lebt in ihrer Freizeit sehr "sündig". Irgendwann entdeckt sie Jesus und erzählt davon ihren Kunden. Ich meine aber, sie macht das nicht so unauffällig wie in dem Fall oben, und es kommt zu Problemen mit ihrem Chef. (Diese Nebenhandlung ist in dem Wikipedia Artikel nicht erwähnt) Womöglich haben die Chefs des Klägers den Film gesehen und gerieten in Panik.

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Als Laie gefragt: Kann eine Grußformel eine "religiöse Verpflichtung" sein? Kann eine Glaubensgemeinschaft überhaupt dazu verpflichten, in der Öffentlichkeit bestimmte Formeln exklusiv zu verwenden? Wenn er das aus freien Stücken macht, ist das (s)eine Sache, aber eine "religiöse Verpflichtung" - zum Grüßen?

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Die Religionsfreiheit in diesem Fall bezieht sich auf die individuelle Religionsausübung. Es geht nicht um eine Verpflichtung einer Glaubensgemeinschaft an eines ihrer Mitglieder, sondern darum, dass sich dieser Mitarbeiter selbst durch seinen individuellen Glauben hierzu verpflichtet sieht.

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Verstehe ich das richtig: Er ist seitens seiner Kirche nicht verpflichtet, sieht sich aber durch seinen persönlichen - nicht durch seine Kirche vermittelten - Glauben dazu verpflichtet? Die Verpflichtung erwächst ihm also einzig durch seine eigene Vorstellung?

Reicht das aus, um sich auf "Glaubens- und Bekenntnisfreiheit" zu berufen?

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Zustimmung zum Beitrag # 5 (Sonja Boehm):

Ähnlich wie bei der"Spirituosenregal"-Entscheidung des BAG vom 24.02.2011 (2 AZR 636/09) kann es auch hier im Außenverhältnis Arbeitgeber - Arbeitnehmer nicht darauf ankommen, was die betreffende Glaubensgemeinschaft im Innenverhältnis ihrem Mitglied an Geboten und Verboten auferlegt. Das könnte die Justiz wohl auch kaum ermitteln, abgesehen davon, dass nach im Außenverhältnis zum Arbeitgeber ein Gewissenskonflikt auftreten kann, der im Innenverhältnis zur Glaubensgemeinschaft "objektiv" gar nicht angelegt sein muss. Daher kann es m. E. nicht darauf ankommen, ob eine nachweisbare "religiöse Verpflichtung" besteht, ein Grußwort wie "Jesus hat Sie lieb", "as-salāmu ʿalaikum" (= Salem Aleikum, d. h. der Friede sei mit dir) oder ähnliches zu sprechen. Wenn allerdings der vom Kündigungsschutzkläger behauptete Gewissenskonflikt keinerlei Background religiöser oder sonst das Gewissen prägender Art aufweist, desto eher besteht die Gefahr, reine Privatmarotten zu Gewissenskonflikten zu stilisieren. Daher wird man wohl an die Darlegungs- und Beweislast erhöhte Anforderungen stellen müssen, wenn sich der Gekündigte auf sehr ungewöhnliche Gewissensinhalte beruft. Unabhängig davon, dass ich persönlich von solchen aufgedrängten Grüßen halte, sehe ich in vorliegendem Fall den Gruß "Jesus hat Sie lieb" erkennbar dem Christentum zuordenbar und erachte den Vortrag für plausibel, dass es i. S. des Art. 4 GG zum Glauben des Klägers gehört, derlei bei der Beendigung jeden Gesprächs zu sprechen.

 

Rechtsanw. u. Fachanw. für Arbeitsrecht M. Bender, Karlsruhe

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Sollten LAG oder ggf. BAG die Entscheidung aufheben, müßte man dann im Rückschluß auch die süddeutsche Grußformel "Grüß Gott" am Arbeitsplatz auf arbeitgeberseitige Weisung hin unterlassen?

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RA Glantz schrieb:
die süddeutsche Grußformel "Grüß Gott"
seit wann ist "Gott" (deutsch für Allah, Jahwe etc.) einer bestimmten Religion zuzuordnen? Siehe auch GG, Präambel

"Jesus hat dich lieb" ist dagegen eindeutig eine christliche Formel.

Falls man Wetten abschliessen kann: ich wette dass das LAG der Klage statt gibt aufgrund der fehlenden BR-Zustimmung und das "Jesus" Thema aussen vor lässt.

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Eine solche Grußformel mit entsprechend positiver Intonation ist doch überaus freundlich und mir wesentlich lieber, als die übliche deutsche primitive Grantigkeit.

 

Jesus hat Euch lieb und vielen Dank fürs Lesen.

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Grüß Gott...,

... ist sicherlich keiner BESTIMMTEN, aber genauso sicher in jedem Fall DER Religion zuzuordnen. "Grüß Gott" kann daher durchaus als Ausdruck von Religiosität durchgehen, besonders wenn man diese Formel auch dort benutzt, wo sie nicht üblich ist. 

"Militante" Atheisten zeigen sich womöglich davon irritiert oder fühlen sich belästigt, die Frage von RA Glantz entbehrt hier durchaus nicht jeder Grundlage.

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Der Vollständigkeit halber:

http://www.derwesten.de/staedte/bochum/gericht/Fristlose-Kuendigung-wege...

"Das Landesarbeitsgericht in Hamm hat entschieden, dass die fristlose Kündigung eines 29-jährigen Call-Center-Mitarbeiters aus Bochum, der Anrufer mit „Jesus hat Sie lieb“ verabschiedete, rechtmäßig ist.

Der Grund für das Urteil: Der 29-Jährige konnte das Gericht nicht überzeugen, dass er ohne seinen Jesus-Gruß in Gewissenskonflikt gerät. Nur dann wäre eine Kündigung unrechtmäßig gewesen. "

Dank an RA Bender für die Erläuterungen zum Gewissenskonflikt.

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Denn der junge Mann konnte dem Gericht letztlich nicht glaubhaft machen, dass er ohne Jesus-Gruß in große innere Not geraten würde. Als Beispiel wurde angeführt, dass er kürzlich beim Gericht wegen Fahrtkosten angerufen hatte, da aber keinen Jesus-Gruß zum Abschied sagte.

Aaargh.... So ist es eben, wenn man sich von IHM abwendet.

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