„Mit Steuervereinfachung kann man alles vertreten – auch das Gegenteil“

von Mathias Bruchmann, veröffentlicht am 18.04.2011

Erhitzen nicht gerade PKW-Maut, Atomkraft oder E10 die Gemüter, wird sie immer wieder gern diskutiert - die Steuervereinfachung. Dabei liegt die Bierdeckel-Erklärung in weiter Ferne, und wenn es um die Erläuterung der ständig neuen Finanzvorschriften geht, sind ausgewiesene Experten gefragt. Anlässlich der 30. Auflage des soeben erschienenen Fachkommentars Schmidt „Einkommensteuergesetz“, sprach beck-blog mit dessen Herausgeber, Professor Dr. Walter Drenseck, über die wirklichen Chancen einer Steuervereinfachung, private Steuerberaterkosten und über sein Werk.

Das Thema Steuervereinfachung wird in der Politik regelmäßig hochgekocht. Es liegt mittlerweile ein Regierungsentwurf zu einem geplanten Steuervereinfachungsgesetz vor. Herr Professor Drenseck, geben Sie dem Vorhaben diesmal eine realistische Chance?

Prof. Dr. Walter Drenseck

Professor Drenseck:

Über die im Regierungsentwurf vorgesehenen Steuervereinfachungen hätte man in früheren Jahren kaum ein Wort verloren, so unbedeutend sind die beabsichtigten Vereinfachungen. So spricht auch die Steuerberaterkammer zutreffend von Kleinstschritten. Da aber im vorigen Jahr von der groß angekündigten Steuerreform allenfalls als Negativbeispiel der ermäßigte Umsatzsteuersatz für Hotelübernachtungen geblieben ist und die angekündigte Beseitigung des „Mittelstandsbauchs“ im Progressionsverlauf - wie stets in den vergangenen Jahren - wieder in der Versenkung verschwunden ist, soll nun wenigstens mit angekündigten Steuervereinfachungen gepunktet werden. Dazu hat man besonders die Anhebung des Arbeitnehmer-Pauschbetrages um jährlich 80 € (!) auf 1.000 € herausgestellt, und dabei den wochenlangen Streit innerhalb der Koalition über den Zeitpunkt der Inkraftsetzung der Erhöhung dieses Pauschbetrages mit einem Trick beendet: die Erhöhung des Arbeitnehmer-Pauschbetrages soll sich erst beim Dezembergehalt auswirken. Da die Lohnsteueranmeldungen für die Dezembergehälter erst im Januar 2012 abzugeben sind, wird so erst der Bundeshaushalt 2012 belastet; man kann aber behaupten, die Arbeitnehmer würden schon im Jahre 2011 entlastet. Der Vereinfachungseffekt betrifft nur solche Arbeitnehmer, deren Werbungskosten zwischen 920 € und 1.000 € liegen. Die Zahl der davon betroffenen Arbeitnehmer wird nicht besonders hoch sein. Die weiter geplante Möglichkeit, Einkommensteuererklärungen für zwei Jahre zusammen abgeben zu können, wird keine Vereinfachung bringen. Dieses Vorhaben wird spätestens im Bundesrat scheitern; da bereits aus der Finanzverwaltung Kritik wegen des größeren Verwaltungsaufwands für Steuerpflichtige und Verwaltung laut geworden ist. Fazit: Über Steuervereinfachungen wird heftig geredet, allein es fehlt die Kraft zur Umsetzung.

Faktisch bleibt also offenbar alles beim Alten. Wie sieht es denn mit der von der Koalition versprochenen Wiedereinführung des Abzugs von privaten Steuerberaterkosten aus?

Professor Drenseck:

Dies ist ein besonders trauriges Kapitel. Es zeigt, was man von politischen Ankündigungen zu halten hat. Der Sonderausgabenabzug für private Steuerberaterkosten war erstmals mit Wirkung ab 1965 eingeführt worden. Begründet wurde dies damals mit den Abgrenzungsschwierigkeiten zu den Betriebsausgaben oder Werbungskosten und mit der Kompliziertheit des damaligen Steuerrechts. Seitdem ist das Steuerrecht noch komplizierter geworden. Dennoch ist mit Wirkung ab 2006 der Sonderausgabenabzug für die Steuerberaterkosten wieder aufgehoben worden. Eines der Argumente dafür war – man kann es kaum glauben: Steuervereinfachung! Zur gleichen Zeit hatte die damalige Bundesregierung in einem Verfahren vor dem EuGH vortragen lassen, der Abzug der Steuerberaterkosten als Sonderausgaben sei wegen des komplexen nationalen Steuerrechts erforderlich! Im letzten Bundestagswahlkampfs (2009) und danach auch von der Koalition wurde die Wiedereinführung des Sonderausgabenabzugs für private Steuerberaterkosten aus Gründen der Steuervereinfachung in Aussicht gestellt. Mittlerweile ist auch dieses Versprechen in der Versenkung verschwunden; der vorliegende Regierungsentwurf zu einem geplanten Steuervereinfachungsgesetz enthält keinen Hinweis auf eine Wiedereinführung des Sonderausgabenabzugs für private Steuerberaterkosten. Man sieht, mit dem Argument der Steuervereinfachung kann man alles vertreten – auch das Gegenteil.

Mit dem jährlich erscheinenden Fachkommentar Schmidt, Einkommenssteuergesetz, feiern Sie in diesen Tagen ein beachtliches Jubiläum: die 30. Auflage. Was ist das Erfolgsgeheimnis dieses Kommentars, dessen Herausgeber Sie seit einigen Jahren sind?

Professor Drenseck:

Dies hat der Begründer des Kommentars, Professor Dr. Ludwig Schmidt, weitsichtig im Einleitungssatz des Vorwortes zur ersten Auflage 1982 so formuliert: „Unsere Verwegenheit, dem geneigten Publikum einen neuen Kommentar zum Einkommensteuergesetz anzubieten, lässt sich rational kaum erklären, am ehesten vielleicht noch aus dem eigenen Wunsch nach einer auf praktische Bedürfnisse konzentrierten, aber gleichwohl möglichst umfassenden, aktuellen und einsichtigen Erläuterung des EStG.“ Sämtliche Autoren des Schmidt-Kommentars sind Richter an Finanzgerichten oder am Bundesfinanzhof. Wir haben diesen Kommentar auch zur Erleichterung unserer eigenen richterlichen Tätigkeit geschrieben und können bei unserer täglichen richterlichen Arbeit stets kontrollieren, ob die Kommentierungen hilfreich sind. Wir gehen an die Kommentierung in gleicher Weise heran wie an eine Urteilsbearbeitung. Dabei werden die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und der Finanzgerichte sowie wichtige Meinungen im steuerrechtlichen Schrifttum verarbeitet und dargestellt; die von uns vertretenen Lösungen sind an den praktischen Bedürfnissen der Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung gleichermaßen ausgerichtet. Die Benutzer des Kommentars sollen schnell und eindeutig über die Rechtslage und darüber informiert werden, welche Problemlösungen in Betracht kommen können. Abgehobene Theorien oder gar grenzwertige oder gewagte Gestaltungsempfehlungen finden sich in diesem Kommentar nicht. Dies zahlt sich für alle aus. Aus der Leserschaft, zu der wir intensive Kontakte pflegen, wird uns immer wieder berichtet, dass auch in der Finanzverwaltung die Meinung dieses Kommentars Beachtung findet und damit auch den Steuerpflichtigen hilft. Über dieses Kompliment freuen wir uns selbstverständlich sehr.

Wenn Sie zurück schauen, welche positiven Veränderungen hat der Schmidt-Kommentar Ihrer Meinung nach bewirken können?

Professor Drenseck:

Wir haben in all den Jahren stets das objektive Nettoprinzip verteidigt. Aufwendungen, die der Steuerpflichtige trägt, um steuerpflichtige Einnahmen zu erzielen, müssen steuermindernd abgesetzt werden können. Dagegen hatte der Gesetzgeber bei den Einschränkungen der Entfernungspauschale und den Abzugsmöglichkeiten für das häusliche Arbeitszimmer verstoßen. Dies haben wir intensiv thematisiert – das Bundesverfassungsgericht hat die Einschränkungen für verfassungswidrig erklärt. Von Anfang an haben wir uns auch gegen die frühere enge Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs gewandt, wonach Kosten, die sowohl die allgemeine Lebensführung als auch die Einkunftserzielung berühren, in vollem Umfang nicht abziehbar waren. Dieses so genannte Aufteilungsverbot hat nun der Große Senat des Bundesfinanzhofs verworfen: derartige Aufwendungen können nun aufgeteilt werden, so dass derjenige Teil der Kosten, der auf die Einkunftserzielung entfällt, als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abziehbar ist. Dies sind nur einige der aktuellsten Beispiele. Im übrigen hat der Schmidt-Kommentar wohl auch erreicht, dass Entscheidungen des Gesetzgebers und auch des Bundesfinanzhofs allgemein stärker hinterfragt werden.

Bewegung ist auch in die Absetzbarkeit von Berufsausbildungskosten gekommen. Was können wir dort erwarten?

Professor Drenseck:

Der Bundesfinanzhof hatte im Jahre 2003 im Hinblick auf die veränderten Bedingungen des Berufslebens seine Rechtsprechung zu Berufsausbildungskosten aufgegeben und entschieden, dass auch die Kosten für die erstmalige Berufsausbildung (gleiches gilt für das erstmalige Hochschulstudium nach dem Abitur) als Erwerbsaufwendungen abzugsfähig sind. Diese neue Rechtsprechung hat dem Gesetzgeber nicht gefallen, sie schien ihm zu kostspielig zu sein. Deshalb wurde mit Geltung ab 2004 zur Verhinderung von Steuerausfällen in § 12 Nr. 5 EStG ein verfassungsrechtlich äußerst bedenkliches Abzugsverbot für Kosten der erstmaligen Berufsausbildung eingeführt. Die erstmalige Berufsausbildung soll private Lebensführung sein und mit einem Sonderausgabenabzug bis zu 4.000 € im Kalenderjahr berücksichtigt werden können. Dazu ein kleines Beispiel: Will sich ein junger Steuerpflichtiger nach dem Abitur zum Berufspiloten ausbilden lassen, so kann er dies nur bei einer Fluggesellschaft tun. Dafür hat er ungefähr 45.000 € aufzuwenden. Diese Ausbildung und diese Kosten sollen nach den Vorstellungen des Gesetzgebers und der Finanzverwaltung nichts mit den zukünftigen Erwerbseinnahmen aus der Tätigkeit als Berufspilot zu tun haben, es soll sich um Kosten der privaten Lebensführung handeln; der Steuerpflichtige hat nur einen Sonderausgabenabzug in Höhe von 4.000 €. Es ist zu hoffen, dass der Bundesfinanzhof alsbald diese Auffassung im Wege verfassungskonformer Auslegung des Gesetzes verwerfen wird. Auch dieses Beispiel macht deutlich, woran Steuervereinfachungen und insbesondere Steuerreformvorhaben stets scheitern werden - an Fiskalinteressen.

Vita von Prof. Dr. Walter Drenseck:

Professor Dr. Walter Drenseck, geboren 1941, begann 1970 seine steuerrechtliche Laufbahn in der Finanzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen; 1974 wurde er Richter am Finanzgericht Münster, wo er insgesamt fünf Jahre - unterbrochen durch eine vierjährige Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesfinanzhof - tätig war. Bis zu seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst war er nahezu 23 Jahre als Richter am Bundesfinanzhof in dessen VI. Senat tätig, davon fast neun Jahre als Vorsitzender Richter. Er ist Honorarprofessor an der Ruhr Universität Bochum. Seit der ersten Auflage im Jahre 1982 ist er als Mitautor am Schmidt-Kommentar beteiligt; ab der 26. Auflage hat er die Herausgeberschaft von dem Begründer des Kommentars, Professor Dr. Ludwig Schmidt, übernommen.

Schmidt "Einkommensteuergesetz"
Buchtipp:
Schmidt, EStG, 30. Auflage, Verlag C.H.Beck, 2011, ISBN 978-3-406-60530, 95 Euro, www.beck-shop.de/31737

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