Revisionsproblem: "verminderte Einsichts- und Steuerungsfähigkeit"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 06.05.2011

Manchmal geraten Formulierungen in Urteile, die in ihrer Tragweite dem Tatrichter gar nicht so klar sind. Eine davon ist sicher die Annahme "verminderter Einsichts- und Steuerungsfähigkeit":

Das Landgericht ist "zu Gunsten des Angeklagten" jeweils von einer "erheblich verminderten Schuldfähigkeit" ausgegangen, weil es angesichts des  vom Angeklagten vor beiden Taten genossenen Alkohols nicht hat ausschließen können, dass der Angeklagte dadurch "in seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt" (UA S. 17 hinsichtlich der zweiten Tat) bzw. dass dessen "Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit aufgrund des vorher konsumierten Alkohols vermindert" war (UA S. 27 hinsichtlich der ersten Tat). 

 

 Mit der Annahme erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit hat das Landgericht hier dem Schuldspruch den Boden entzogen, denn es fehlt die notwendige Feststellung, welche Wirkung dies im konkreten Fall für die Unrechtseinsicht des Angeklagten hatte. § 21 StGB regelt, ebenso wie § 20 StGB, soweit er auf die Einsichtsfähigkeit abstellt, einen Fall des Verbotsirrtums. Fehlt dem Täter die Einsicht wegen seiner krankhaften seelischen Störung oder aus einem anderen in § 20 StGB benannten Grund, ohne dass ihm dies zum Vorwurf gemacht werden kann, so ist - auch bei an sich nur verminderter Einsichtsfähigkeit - nicht § 21 StGB, sondern § 20 StGB anzuwenden. Die Vorschrift des § 21 StGB kann in den Fällen der verminderten Einsichtsfähigkeit nur dann angewendet werden, wenn die Einsicht gefehlt hat und dies dem Täter vorzuwerfen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juli 2003 - 2 StR 215/03 mwN juris; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 21 Rn. 3).  

Der Senat kann hier auch bei Würdigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe nicht davon ausgehen, dass es sich nur um ein offensichtliches Versehen im Ausdruck handelt und das Landgericht tatsächlich von der Unrechtseinsicht überzeugt war. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Schuldunfähigkeit abgelehnt hat (UA S. 16 und 26), beziehen sich erkennbar nur auf die Steuerungsfähigkeit infolge des Alkoholgenusses. Die Sache muss deshalb erneut verhandelt und entschieden werden.  

BGH, Beschluss vom 1.3.2011 - 3 StR 22/11  

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In dem Fall kommen gleich mehrere Probleme zusammen:

1) Bedenken hinsichtlich der Einsichtsfähigkeit

2) Bedenken hinsichtlich der Steuerungsfähigkeit

3) 1) und 2) sowohl als auch

4) Einfluss des Alkohols und des Falles actio libera in causa

Die juristische Konstruktion bei der Einsichtsfähigkeit ist zwar seltsam bis widerspruchsvoll, aber der Prüfablauf bei §§ 20, 21 StGB liegt fest: Falls die Einsichtsfähigkeit nicht gegeben ist, entfällt die Frage nach der Steuerungsfähigkeit, weil der Gesetzgeber so verstanden wird, dass einer, dem die Einsicht fehlt, auch nicht nach eben dieser fehlenden Einsicht handeln kann. Dann greift der § 20 StGB. Ist die Einsicht da, kann aber noch die Steuerungsfähigkeit eine Rolle spielen: die klassische Anwendung des § 21 StGB. 

Die actio libera in causa erscheint nicht minder problematisch bis in sich widerspruchsvoll als die Ja-Nein-Konstruktion der Einsichtsfähigkeit.

Der BGH bekräftigt jedenfalls, das 3) gar nicht geht.

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