§ 111a StPO erst 7 Monaten nach der Tat? "Geht!"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 05.06.2011

Je mehr Zeit seit der Tat vergangen ist, die eigentlich eine Fahrerlaubnisentziehung gerechtfertigt hätte, desto eher kann die Feststellbarkeit der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen in Frage gestellt sein. 7 Monate reichen hierfür nach Ansicht des LG Kleve, Beschluss vom 21.04.2011 - 120 Qs 40/11 = BeckRS 2011, 13188 aber noch nicht aus:


"...Das Amtsgericht hat dem Angeklagten die Fahrerlaubnis zu Recht vorläufig entzogen. Denn es bestehen dringende Gründe für die Annahme, dass ihm im Hauptsacheverfahren die Fahrerlaubnis endgültig entzogen wird (§ 111a Abs. 1 StPO).

Nach dem derzeitigen Verfahrensstand ist es überwiegend wahrscheinlich, dass der Angeklagte jedenfalls wegen Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315 c Abs. 1 Ziffer 2 b StGB verurteilt werden wird. Gegen die Richtigkeit der bisherigen Ermittlungsergebnisse bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Bei dem Spurwechseln von der linken Fahrspur der Autobahn durch Überfahren der rechten Fahrspur unter Vernachlässigung eines ausreichenden Sicherheitsabstandes zu dem nachfolgenden Fahrzeug handelt es sich um einen schweren und rücksichtslosen Verstoß gegen Verkehrsvorschriften. Der Angeklagte hat sich, weil er die Ausfahrt zu spät bemerkte, ohne Einhaltung der notwendigen Vorsicht aus eigensüchtigen Gründen über seine Pflichten gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern hinweggesetzt und unbekümmert seine Ziele verfolgt. Das Queren von Autobahnspuren, um eine unmittelbar vorausliegende Ausfahrt noch zu erreichen unter knappem Überholen der an der Autobahnausfahrt vorbeifahrenden Fahrzeuge stellt eine leicht erkennbare erhebliche Gefährdung anderer dar und ist nicht nur ein durchschnittliches Fehlverhalten, sondern ein besonders schwerer Verstoß gegen die Verkehrsgesinnung und somit rücksichtslos. Die dadurch provozierte Kollision der beiden Fahrzeuge auf der Autobahn bei nicht geringer Geschwindigkeit stellt auch eine konkrete Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Fahrzeuginsassen dar.

Bei Straftaten, bei denen es sich um sogenannte Katalogtaten des § 69 As. 2 StGB, wie z. B. § 315 c StGB, handelt, ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aber regelmäßig schon dann gerechtfertigt und geboten, wenn bezüglich der Straftat dringender Tatverdacht vorliegt (vgl. Hetschel; DAR 1988, 90).

Das Amtsgericht war auch nicht etwa deshalb an der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111 a StPO gehindert, weil seit dem Tattag bis zum Zeitpunkt der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis bereits 7 Monate vergangen waren. Der Angeklagte kann sich nicht darauf berufen, dass er durch seine mehrmonatige beanstandungsfreie Teilnahme am Straßenverkehr seit dem Tattag bewiesen habe, dass er zum Führen eines Fahrzeugs im Straßenverkehr geeignet sei. Er konnte auch nicht darauf vertrauen, dass ihm nach dem Zeitablauf von 7 Monaten die Fahrerlaubnis nicht mehr vorläufig entzogen werden wird.

Die Kammer verkennt nicht, dass von einem Teil der Rechtsprechung aufgrund des Präventiv-Charakters des § 111 a StPO für eine solche vorläufige Maßnahme kein Raum mehr gesehen wird, wenn seit Bekanntwerden der die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigende Gründe mehrere Monate verstrichen sind und Anhaltspunkte für den Einsatz eines Kraftfahrzeuges zur Ausübung weiterer Straftaten nicht bestehen (vgl. LG Hagen, NZV 94,334). Mit anderer Ansicht (LG Stuttgart NZV 1993, 412: dort über 2 Jahre; OLG Koblenz VRS 67, 254; OLG Karlsruhe VRS 68, 360; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2002, 314; OLG Hamm NZV 2002, 380: dort 10 Monate) und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Landgerichts L6 (Beschl v. 26.01.1989, 1 Qs 3/89; Beschl v. 19.04.1994, 1 Qs 56/94 ) hält die Kammer diese Auffassung mit dem Wortlaut und dem Sicherungszweck des § 111 a StPO jedoch nicht für vereinbar. Auch eine mehrmonatige unauffällige Fahrweise stellt regelmäßig keinen Grund dar, von einer Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 a StGB abzusehen. § 111a StPO verfolgt den Zweck, die Allgemeinheit von vornherein, also auch bereits vor einer rechtskräftigen Erkenntnis, vor weiterer Gefährdung durch einen möglicherweise ungeeigneten Kraftfahrzeugführer zu schützen (vgl. BVerfG Beschl.v.11.09.1989, 2 BvR 1209/88). Ein bloßer Zeitablauf seit der Tat beseitigt die Bedenken gegen seine weitere Teilnahme am Straßenverkehr nicht. Zwar muss ein strafprozessualer Grundrechtseingriff wie die vorläufige Entziehung der Fahrererlaubnis auch im Einzelfall dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen (vgl. BVerfG Beschl.v.15.03.2005, 2 BvR 364/05). Dies verlangt eine Abwägung, ob die dem Eingriff entgegenstehenden Interessen im konkreten Fall ersichtlich schwerer wiegen als diejenigen Belange, deren Wahrung die staatliche Maßnahme dienen soll. Grundsätzlich ist nach Verhältnismäßigkeitsgründen eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zu einem späteren Verfahrensabschnitt noch möglich und - entsprechend der Wertung des § 111 a StGB sogar - geboten (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl v.04.04.2002, 3 Ws 108/02), auch wenn sie schon früher hätte angeordnet werden können und müssen. Jedenfalls dann, wenn Hinweise, die insoweit für das Vorliegen eines Ausnahmefalls sprechen, fehlen, gibt es keinen Grund, die Vertrauensschutzerwägungen zugunsten des Betroffenen allein wegen des Zeitablaufs und sein seitdem unauffälliges Verhalten im Straßenverkehr höher zu werten als das schutzwürdige Interesse der Allgemeinheit auf Schutz vor einem ungeeigneten Fahrer. Charaktermängel werden nicht allein durch Zeitablauf beseitigt. Derjenige, gegen den ein Strafverfahren schwebt, wird allein schon deswegen vorsichtig fahren. § 111a StPO dient der Sicherung der Allgemeinheit. Durch ein Vertrauen des Beschuldigten wird die Notwendigkeit seines Eingreifens nicht berührt (Hentschel DAR 1988, 89, 90). Dies muss erst Recht gelten, wenn der Betroffene sich schon in der Vergangenheit als ungeeignet zum Führen von Fahrzeugen erwiesen hat. Entsprechend dem Verkehrsregisterauszug vom 01.10.2010 war dem Angeklagten bereits einmal die Fahrerlaubnis vorläufig und dann auch endgültig entzogen worden, weil er am 06.10.2002 eine fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Tötung begangen hatte. Auch der sich aus dem Bundeszentralregisterauszug vom 29.09.2010 ergebende weitere Eintrag eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz (26.01.2005) ist ein Umstand, der nicht zugunsten des Angeklagten spricht. Auch die tatsächliche Dauer bis zur vorläufigen Entziehung erscheint bei der Abwägung im engeren T2 nicht unangemessen lang. Dass zunächst widersprüchliche Angaben durch Vernehmungen von Zeugen aufgeklärt und Ermittlungen zur Höhe des Schadens angestellt werden müssen, ist in einem Strafverfahren im Zusammenhang mit Verkehrsverstößen evident. Dass darüber hinaus wegen Aktenüberlassungen an die Verteidiger die Ermittlungen erst am 10.01.2011 abgeschlossen werden konnten, ist hier ein Umstand, der eine vorläufige Fahrerlaubnisentziehung erst 7 Monate nach der Tat durchaus erklärbar macht...."

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