Vom Verteidiger reingelegt...oder: Wenn das OLG ein schlechtes Gewissen hat!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 07.06.2011

Eine juristisch auf den ersten Blick sicher nicht zu beanstandende Entscheidung des OLG Rostock habe ich gefunden, die durchaus tief ins OWi-Verfahren  blicken lässt. Offenbar hat der Verteidiger (erfolgreich) versucht, das AG reinzulegen. Das OLG entlarvt dies auch, muss aber trotzdem das Urteil aufheben:

"...Der Zulassungsantrag erweist sich mit der den Begründungsanforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Rüge der rechtsfehlerhaften Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG als erfolgreich. Die Einspruchsverwerfung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil das Amtsgericht über den vor Verhandlungsbeginn gestellten Antrag des Betroffenen, ihn von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden, nicht entschieden und deshalb das Fernbleiben des Betroffenen in der Hauptverhandlung zu Unrecht als nicht genügend entschuldigt angesehen hat. Darin liegt eine Versagung des rechtlichen Gehörs, die nach § 79 Abs. 1 Satz 2, § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG die Zulassung der Rechtsbeschwerde bedingt und zugleich deren zumindest vorläufigen Erfolg indiziert.

Mit der ordnungsgemäß erhobenen Verfahrensrüge trägt die Verteidigung zutreffend vor, dass der Betroffene bereits anlässlich der Ladung zu der zunächst auf den 04.10.2010 anberaumten Hauptverhandlung durch seinen unter- und vertretungsbevollmächtigten Verteidiger mit Schreiben vom selben Tag erklärt hat, er wolle an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen, räume jedoch ein, zur Tatzeit und an der im Bußgeldbescheid bezeichneten Örtlichkeit der Fahrer der eingemessenen Zugmaschine gewesen zu sein. Hingegen bestreite er die ihm vorgeworfene Geschwindigkeitsüberschreitung ebenso wie den Gebrauch eines Mobiltelefon während der Fahrt. Bei dem auf dem Lichtbild der Verkehrsüberwachungsanlage erkennbaren und von ihm benutzten Gerät habe es sich um die in das Fahrzeug eingebaute CB-Funkanlage gehandelt. Auch vor der auf den 19.01.2011 anberaumten Hauptverhandlung hat der Betroffene erneut durch seinen Verteidiger erklären lassen, er wolle nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen. Zugleich hat er beanstandet, dass über den Antrag des Verteidigers, ihm Einsicht in den Messfilm zu gewähren, noch immer nicht entschieden worden sei.

Damit hat der Betroffene einen wirksamen Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG gestellt. Ein solcher Antrag ist an keine bestimmte Form gebunden. Es reicht, dass das Antragsvorbringen erkennen lässt, dass der Betroffene nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen will (KK-Senge OWiG 3. Aufl. § 73 Rdz. 16; Seitz in Göhler OWiG, 15. Aufl. § 73 Rdz. 4; OLG Bamberg, Beschl. vom 25.03.2009 - 2 Ss OWi 1326/2008; OLG Brandenburg, Beschl. vom 05.11.2008 - 2 Ss (OWi) 180 B/08. Es braucht - insbesondere bei wiederholter Antragsstellung - auch nicht darauf hingewiesen werden, dass sich der Betroffene bereits früher zur Sache eingelassen hat, wenn sich dies aus den Akten ergibt (Seitz a. a. O.).

Zwar können sich vorliegend durchaus Zweifel daran ergeben, ob der Betroffene mit den von der Verteidigung ganz offensichtlich bewusst so apokryph gewählten Erklärungen, er „wolle“ nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen, statt einen dahingehenden Antrag zu stellen, eine Entscheidung nach § 73 Abs. 2 OWiG herbeiführen wollte, oder ob dies Ausdruck einer schlichten Weigerung gewesen sein sollte, seiner grundsätzlichen Verpflichtung aus § 73 Abs. 1 OWiG nachzukommen. Andererseits spricht jedoch gerade der Umstand, dass diese Erklärungen nicht vom Betroffenen selbst stammen, sondern - und dies gleich zweimal jeweils kurz vor Verhandlungsbeginn - für ihn von seinem Verteidiger abgegeben wurden, dafür, dass hier jeweils ein ganz bewusst verklausulierter Entbindungsantrag angebracht wurde, um damit die Grundlage für die nunmehr angebrachte Gehörsrüge zu schaffen. Bei verbleibenden Unsicherheiten hierüber hätte es deshalb die richterliche Fürsorgepflicht geboten, diese durch Nachfrage bei Betroffenen auszuräumen.

Über diesen Entbindungsantrag hat das Amtsgericht weder gesondert entschieden, noch sich, insbesondere nachdem er - offenbar wiederum absichtlich - erst sehr kurzfristig vor Verhandlungsbeginn angebracht wurde, in den Gründen des Verwerfungsurteils damit befasst. Beides wäre indes erforderlich gewesen. Das Amtsgericht hätte spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung über den Entbindungsantrag entscheiden und, wenn es ihm nicht stattgegeben hätte, in den Gründen des Verwerfungsurteils darüber befinden müssen, ob der Betroffene etwa deshalb, weil er diesen Antrag - bewusst - derart kurzfristig angebracht hat, dass eine Entscheidung darüber vor Verhandlungsbeginn nicht mehr möglich war, der Verhandlung unentschuldigt ferngeblieben ist (vgl. dazu Seitz a. a. O. § 74 Rdz. 32).

Darin, dass das Amtsgericht den vor Verhandlungsbeginn angebrachten Entbindungsantrag übersehen oder übergangen und gleichwohl den Einspruch des Betroffenen wegen unentschuldigten Ausbleibens nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen hat, liegt eine Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör (OLG Hamm NZV 2003, 588; BayObLG DAR 2000, 578). Dabei macht es - was die Generalstaatsanwaltschaft verkennt - keinen Unterschied, ob das Amtsgericht den Entbindungsantrag mit rechtlich tragfähiger Begründung hätte ablehnen können. Allein entscheidend ist, dass es eine verfahrenserhebliche Erklärungen des Betroffenen nicht zur Kenntnis genommen und nicht - wie auch immer - darüber entschieden hat. ..."

OLG Rostock: Beschluss vom 27.04.2011 - 2 Ss (Owi) 50/11 I 63/11, 2 Ss (Owi) 50-11 I 63/11 = BeckRS  2011, 11574

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4 Kommentare

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Na, hohes Gericht, mal wieder die ständig tricksenden Verteidiger? Aber ernsthaft, was soll die auch vom OLG vermutete Trickserei im Ergebnis bringen? Die Sache wird zurückverwiesen und dieses Mal anstatt verworfen verhandelt - ggf. mit Beweisaufnahme zu dem Thema, ob das vermeintliche Handy nun tatsächlich eine CB-Funke war und ob der brave (abwesende) Treckerfahrer tatsächlich zu schnell war. Dass beide Delikte dann ggf. in Tateinheit stehen, entspricht der Rechtsprechung des OLG Rostock - auch wenn einige Bußgeldstellen im Lande das immer noch ignorieren. Tatsache ist dafür, dass es hier um eine Entscheidung des AG Güstrow ging: - des AG Güstrow, dass den legendären Beschluss des BVerfG 2 BvR 941/08 vom 11.8.2009 provoziert hat; - das bereits zuvor mit Beschluss des OLG Rostock 2 Ss (OWi) 281/07 I 220/07, I Ws 447/07 vom 19.12.2007 über die richtige Handhabung von Entbindungsanträgen belehrt werden musste - und immer noch nichts daraus gelernt hat. Dass es demgegenüber Anwaltskollegen gibt, welche die deutsche Sprache - hm - suboptimal handhaben, dürfte gerichtsbekannt sein. ;-)

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Die Formulierungen des OLG wie auch die Ihre, lieber Namenvetter, lassen durchaus Rückschlüsse auf ein - naja - irritiertes Verhältnis der Richter zu Verteidigern zu - und zu den von Rudolf (noch ein Namensvetter von mir) von Jhering im "Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung", 2. Teil, Abteilung 2, S. 471, formulierten Mahnung.

Oder anders, weniger höflich formuliert: Immer dann, wenn Richter Fehler machen, die von kompetenten Verteidigern aufgedeckt werden, wird aus Ihrem Lager behauptet, es seien böswillige Mächte am Werk.

Die OLG-Entscheidung sagt doch aber auch: Wenn jener Richter am Amtsgericht seine Arbeit so erledigt hätte, wie sie ihm vom Gesetz (der Form! R.v.J.) vorgegeben ist, hätte es kein Problem geben. Den Verteidiger nun dafür zu rügen, daß er den Fehler (die Willkür! R.v.J.) reklamiert, deutet auf ein stark überholungsbedürftiges Verständnis unserer Prozeßordnung hin.

Wenn wir Verteidiger nicht auf Euch Richter nicht aufpassen würden, dann sind wir ruckzuck in der Vor-Jherings'schen Zeit im 19. Jahrhundert.

Oder?

Es ist ja gerade die Aufgabe der Verteidigung - wenn es geboten erscheint (man muß nicht alles tun, nur weil es geht) -, alle zulässigen prozessualen Mittel zu nutzen. Dies in den Bereich der Trickserei zu verweisen, mutet etwas merkwürdig an. Im übrigen: "Tricksereien" des Gerichts gegenüber Anwälten und unverteidigten Angeklagten, mit dem Ziel, bestimmte Anträge oder Rechtsmittel ins Leere laufen zu lassen oder den Angeklagten zu bestimmen Handlungen oder Unterlassungen zu bewegen, sind doch an der Tagesordnung und nur im begrenzten Umfang revisionsrechtlich beachtlich. Das ist dann sozusagen erlaubte "juristische List" oder die liebenswert verschrobene, pfiffige Art eines erfahrenen Vorsitzenden auf dem unterstützenswerten Weg zur materiellen Gerechtigkeit... Man lese nur die "erhellenden" Ausführungen von Föhrig in seinem Buch "Kleines Strafrichter Brevier"(und die dazugehörige Rezension von "Chandler Bing" auf amazon.de).

 

Die beanstandeten Formulierungen des Verteidigers machen auf mich allerdings nicht den Eindruck eines bewußten "Tricks".

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Dennoch die Frage, was es bringen soll.

 

Zurückverweisung, neue Verhandlung, Urteil, Kosten der Rechtsbeschwerde trägt der Kläger, da das Ergebnis ja dasselbe ist wie vorher...

 

Und wer hat dran verdient?

 

Richtig.

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