BAG zum Einsatz eines Privatfahrzeugs im Rahmen der Rufbereitschaft

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 28.06.2011

Guter wissenschaftlicher Praxis entspricht es an sich, gerichtliche Entscheidungen erst dann zu kritisieren, wenn man die Entscheidungsgründe kennt. Also nicht schon allein aufgrund der Pressemitteilung. Vergangene Woche aber hat der Achte Senat des BAG ein Urteil gefällt, das so sehr zum Widerspruch einlädt, dass man nicht noch Monate warten kann. Worum geht es?

In der Rufbereitschaft schlitterte der Arbeitnehmer auf dem Weg zur Arbeit in den Straßengraben

Der Kläger war als Oberarzt im Klinikum in L. beschäftigt. Er wohnte einige Kilometer von seinem Arbeitsort entfernt in der Gemeinde A. An einem Sonntag im Januar 2008 war er zum Rufbereitschaftsdienst eingeteilt und hielt sich in seiner Wohnung auf. Als er gegen 9 Uhr zur Dienstaufnahme ins Klinikum gerufen wurde, fuhr er mit seinem Privatfahrzeug von seinem Wohnort nach L. Bei Straßenglätte kam er dabei von der Straße ab und rutschte in den Straßengraben. Die Erstattung des durch diesen Unfall an seinem Pkw entstandenen Schadens in Höhe von knapp 6.000 Euro verlangt er von seinem Arbeitgeber.

Im Gegensatz zu den Vorinstanzen hält das BAG den Anspruch dem Grunde nach für gegeben: Ein Arbeitnehmer, der im Rahmen seiner Rufbereitschaft bei der Fahrt von seinem Wohnort zur Arbeitsstätte mit seinem Privatwagen verunglückt, habe grundsätzlich Anspruch gegen seinen Arbeitgeber auf Ersatz des an seinem Pkw entstandenen Schadens. Die Höhe dieses Ersatzanspruchs bemesse sich nach den Regeln des innerbetrieblichen Schadensausgleichs. Nur zur weiteren Feststellung des Sachverhalts bezüglich der Höhe des Unfallschadens und des Verschuldensgrades des Arbeitnehmers hat es die Sache an das LAG München zurückverwiesen (Urt. vom 22.06.2011 - 8 AZR 102/10).

Anspruchsgrundlage? Fehlanzeige.

Das BAG nennt in seiner Pressemitteilung sicherheitshalber keine Anspruchsgrundlage - es gibt nämlich keine. Der Weg von der Wohnung (oder einem anderen Aufenthaltsort) zur Arbeitsstätte ist Privatsache. Anders als Bereitschaftdienst ist Rufbereitschaft - auch nach dem ArbZG - keine Arbeitszeit. Der Arbeitnehmer kann im Zeitalter des Mobiltelefons während der Rufbereitschaft seinen Aufenthaltsort frei wählen, solange er nur innerhalb der vereinbarten Zeit arbeitsfähig am Arbeitsplatz zu erscheinen vermag. Dementsprechend ist es auch allein an ihm, das Risiko eines Unfalles zu steuern. Der Arbeitgeber hat darauf keinen Einfluss. Für die Anwendung der Grundsätze des "innerbetrieblichen Schadensausgleichs", die maßgeblich darauf beruhen, dass der Arbeitgeber angesichts seiner Organisationsgewalt das Betriebsrisiko trägt, ist kein Raum.

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3 Kommentare

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Komisch - im allerersten "Siehe auch"-Link (http://blog.beck.de/2010/02/01/arbeitgeber-haftet-auch-bei-rufbereitscha...) ist doch eine Argumentation aufgeführt, nach der eine Anspruchsgrundlage hergestellt werden kann: wenn die Wegezeit bei Rufbereitschaft nach Tarifvertrag wie Arbeitszeit bezahlt wird, spricht doch einiges dafür, dass es sich auch um Arbeitszeit handelt. Schließlich sind auch beim Urlaub tarifvertragliche Regelungen möglich, die über die Mindestvorschriften des BUrlG hinausgehen - warum soll das bei der Arbeitszeit anders sein?

Aber BAG-Bashing ist natürlich einfacher ...

Mein Name schrieb:
... nach der eine Anspruchsgrundlage hergestellt werden kann ...

Daran, dass es dem Achten Senat gelingen wird, eine Anspruchsgrundlage "herzustellen", habe auch ich keine Zweifel.

Lesen Sie doch einmal nach in 6 Sa 637/09 S.4 (können Sie ja jetzt nachholen)

"Daran ändere auch nichts, dass die Rufbereitschaft gemäß der Betriebsvereinbarung der Beklagten vom 23. Dez. 2005 als Arbeitszeit rechne." (ArbG), dagegen das LAG: "die Betriebsvereinbarung betrifft, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts, allein Bereitschaftszeiten"

So lange keiner von uns die BV kennt, ist Bashing nicht angebracht - hier könnte der Hase im Pfeffer liegen. Es kann gut sein, dass diese BV eine Regelung enthält, die den Beginn der Arbeitszeit auf die Anforderung der Arbeitsleistung festlegt - oder das BAG  die Regelung im TVöD - „Für die Arbeitsleistung innerhalb der Rufbereitschaft außerhalb des Aufenthaltsortes im Sinne des § 7 Abs. 4 wird die Zeit jeder einzelnen Inanspruchnahme einschließlich der hierfür erforderlichen Wegezeiten jeweils auf eine volle Stunde gerundet und mit dem Entgelt für Überstunden sowie mit etwaigen Zeitzuschlägen nach Absatz 1 bezahlt." - anders interpretiert als das LAG, nämlich dergestalt, dass im zitierten Anschnitt des TVöD die Wegezeiten ausdrücklich unter dem Begriff "Arbeitsleistung" genannt werden und folglich als Arbeitszeit anzusehen sind.

Wäre ja nicht das erste Mal, dass das BAG die manchmal seltsame Rechtsprechung des LAG München korrigiert - siehe das Urteil zu den Ausschlussfristen für Leiharbeitnehmer (5 AZR 7/10)...

 

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