Wie arbeitsrechtlich unbedarft darf ein Insolvenzverwalter sein?

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 23.08.2011

Manchmal mag man kaum glauben, auf welche Ideen Insolvenzverwalter kommen:

Das zahlungsunfähige Unternehmen beschäftigte 452 Arbeitnehmer. Der Insolvenzverwalter fand eine Käuferin, die jedoch nur mit reduziertem Personal weitermachen wollte. Im März 2006 ließ der Insolvenzverwalter den Kläger (und vermutlich nicht nur ihn) sechs Vertragsformulare unterzeichnen, mit denen der Kläger die Aufhebung seines Arbeitsverhältnisses mit dem Insolvenzverwalter und den anschließenden Eintritt bei einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft (BQG) zu sechs verschiedenen Terminen des Jahres 2006 anbot. Gelten sollte der Vertrag, der von der BQG gegengezeichnet werden würde. Anfang Mai 2006 ließ der Insolvenzverwalter den Kläger zwei weitere Angebote unterzeichnen, diesmal für ein Arbeitsverhältnis mit der beklagten Betriebserwerberin. Am 29.05.2006 unterzeichnete die BQG dasjenige Vertragsangebot des Klägers, das sein Ausscheiden bei der insolventen Arbeitgeberin mit dem Ablauf des 31.05.2006 und den Eintritt in die BQG mit dem Beginn des 01.06.2006 vorsah. Tatsächlich war der Kläger am 01.06.2006 auf einer Betriebsversammlung. Dort ließ die Beklagte im Losverfahren die 352 Arbeitnehmer ermitteln, mit denen sie den Betrieb ab dem 02.06.2006 fortführte.

Überrascht es irgendjemanden, dass dieses Verfahren in allen drei Instanzen keine Billigung der Rechtsprechung gefunden hat? (BAG, Urt. vom 18.08.2011 - 8 AZR 312/10).

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4 Kommentare

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Wie wär's mit:

  • Unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers (§ 307 I BGB) durch die vom Insolvenzverwalter vorformulierten - insgesamt acht - Aufhebungsvertragsangebote zu verschiedenen Terminen
  • Umgehung des Bestandsschutzes beim Betriebsübergang (§ 613a BGB)
  • Losverfahren statt Sozialauswahl bei Kündigungen (§ 1 Abs. 3 KSchG)

 - sechs Angebote und nicht acht (zumindest laut Ausgangsbeitrag)

- Die Vereinbarung einer Vertragsaufhebung als AGB-kontrollfähiger Vertragsinhalt?Das ist doch keine "Geschäftsbedingung", die im Rahmen des bestehenden Arbeitsvertrages kontrollfähiger Vertragsinhalt sein kann, sondern die "Hauptleistung" (z.B. BAG NJOZ 2004,4096).

- das Losverfahren hat die Beklagte und nicht der Inso_Verwalter durchgeführt

 

Problematisch ist mE nur 613a und das Bestandsschutzproblem. Auch da hatte z.B. das LAG Baden-Württemberg im Zusammenhang mit einer Beschäftigungsgesellschaft aber geringere Bauchschmerzen (BeckRS 2009, 64342). Hängt eben von der Gestaltung und dem Ablauf im Einzelfall ab, aber der Vorwurf der Unbedarftheit ist wohl etwas überzogen.

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@ klabauter

Acht Anträge: Sechs auf Überführung in die BQG (März 2006) und zwei zur Annahme durch den Betriebserwerber (Mai 2006), auch diese vorformuliert durch den Insolvenzverwalter.

Kontrollfähigkeit nach § 307 BGB: Nach § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB bleibt auch für die Hauptleistung die Transparenzkontrolle erhalten. Und dass eine solche "multiple Vertragsgestaltung" intransparent ist, dürfte angesichts von BAG NZA 2010, 333 nicht ernsthaft zweifelhaft sein.

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