BAG: Keine Insolvenzanfechtung von Lohnzahlungen

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 11.10.2011

In jüngerer Zeit mehren sich die Fälle, in denen Insolvenzverwalter versuchen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers gezahlten Löhne im Wege der Insolvenzanfechtung zur Masse zu ziehen. Das stößt bei den Arbeitnehmern, die ihre Arbeitsleistung ordnungsgemäß erbracht haben und die nun angesichts der Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers ohnehin um ihren Arbeitsplatz fürchten, natürlich auf wenig Gegenliebe.

Insolvenzanfechtung bei Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers möglich

Seine Grundlage findet das Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters in den §§ 129 ff. InsO. Diese ermöglichen es dem Insolvenzverwalter, Rechtshandlungen anzufechten, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die die Gläubiger benachteiligen, soweit nicht das redliche Vertrauen darauf, dass die vor der Insolvenzeröffnung erfolgten Verfügungen des Arbeitgebers Bestand haben, für schutzwürdig angesehen wird. Insbesondere bestimmt § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO, dass eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Befriedigung gewährt hat, anfechtbar ist, wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war und der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte. Gemäß § 130 Abs. 2 InsO steht der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. Bargeschäfte sind nach § 142 InsO nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar. Was durch anfechtbare Handlung erlangt ist, muss gemäß § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden.

Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet

Nachdem durch eine Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes inzwischen geklärt ist, dass derartige Rechtsstreitigkeiten vor die Gerichte für Arbeitssachen (und nicht vor die ordentlichen Gerichte) gehören (GmS-OGB, Beschluss vom 27.09.2010, NZA 2011, 534), hat der Sechste Senat des BAG in mehreren Urteilen vom 06.10.2011 die Klagen verschiedener Insolvenzverwalter abgewiesen bzw. zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (BAG, Urt. vom 06.10.2011 - 6 AZR 262/10, 6 AZR 585/10, 6 AZR 731/10 und 6 AZR 732/10).

Lohnzahlung als nicht anfechtbares Bargeschäft

Den Entscheidungen lagen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Soweit die Gehaltszahlungen der Arbeitgeber der Vergütung der von den Arbeitnehmern in den vorausgehenden drei Monaten erbrachten Arbeitsleistungen dienten, unterlagen sie als Bargeschäft iSv. § 142 InsO nicht der Anfechtung nach § 130 Abs. 1 InsO, weil der erforderliche enge zeitliche Zusammenhang mit der Gegenleistung bestand. Im Übrigen waren die Annahmen der Landesarbeitsgerichte revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, der Insolvenzverwalter habe keine Tatsachen vorgetragen, aus denen eine positive Kenntnis des Arbeitnehmers von der Zahlungsunfähigkeit der Arbeitgeberin bei den Gehaltszahlungen abgeleitet werden könnte. Die Kenntnis eines Arbeitnehmers von der zeitlichen Dauer und Höhe der eigenen Gehaltsrückstände sowie von dem Umstand, dass die Arbeitgeberin gegenüber einem Großteil der anderen Arbeitnehmer seit mehreren Monaten mit Vergütungszahlungen in Rückstand geraten war, sei dafür unzureichend. Sie lasse kein eindeutiges Urteil über die Liquiditäts- und Zahlungslage der Arbeitgeberin zu.

 

 

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