BAG: Nachzahlungsansprüche jüngerer Mitarbeiter im öffentlichen Dienst des Landes Berlin

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 14.11.2011

 

Die „Stiftung Warentest test.de“ berichtet auf ihren Internetseiten über ein mit Spannung erwartetes Urteil des BAG zu möglichen Gehaltsnachforderungen der im öffentlichen Dienst des Landes Berlin beschäftigten Mitarbeiter. Hintergrund dieses Verfahrens ist, dass der Bundesangestelltentarifvertrag mit seinen Gehaltserhöhungen nach Lebensaltersstufen in Berlin noch längere Zeit nach der allgemeinen Ablösung durch den TVöD anwendbar war. Auf Vorlage des BAG (Urteil vom20.05.2010 - 6 AZR 148/09 (A), 6 AZR 148/09, BeckRS 2010, 7014, hierzu BeckBlog vom 20.5.2010) hatte der EuGH (Urteil vom 8.9.2011, BeckRS 2011, 81324, hierzu auch BeckBlog vom 9.9.2011) hierin eine unzulässige Altersdiskriminierung erkannt. Damit zeichnete sich ab, dass das Land Berlin mit nicht unerheblichen Gehaltsnachzahlungen jüngerer Mitarbeiter zu rechnen hatte. Diese Konsequenzen hat jetzt offenbar das BAG gezogen. Mit Urteil vom 10.11.2011 (6 AZR 148/09) hat es entschieden, dass jüngere Mitarbeiter, die rechtzeitig ihre Ansprüche geltend gemacht haben, einen Anspruch auf Gehalt nach der höchsten Altersstufe haben. Vertreter der Länder Berlin und Hessen hatten dafür plädiert, den Tarifparteien eine nachträgliche Vereinbarung zu ermöglichen oder den Nachzahlungsanspruch zu reduzieren. Beides wiesen die Erfurter Richter nun zurück.  Der Kläger in diesem Verfahren, ein seinerzeit 39-jähriger Berliner Landes-Angestellter, hat jetzt rückwirkend ab September 2006 das Gehalt zu erhalten, das für 47-jährige als Höchstgehalt in der Gehaltsgruppe vorgesehen war. Für den Kläger heißt das: Er bekommt rückwirkend eine Gehaltserhöhung um 450 Euro brutto monatlich. In anderen Fällen macht die altersbedingte Gehaltsdifferenz innerhalb ein und derselben Gehaltsgruppe bis zu 1 000 Euro brutto aus. Erstaunlich ist, dass das Urteil nicht allgemein bekannt gemacht worden ist. Weder liegt eine Pressemitteilung des BAG vor, noch finden sich entsprechende Meldungen in der Tagespresse.

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9 Kommentare

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Das Bundesarbeitsgericht hat offenbar nicht nur den Fall Mai, sondern auch noch andere Anti-Diskriminierungsklagen entschieden. Leider liefert die Oberhessische Presse zur Klage eines 31-jährigen wiss. Mitarbeiters der Philips-Universität in Marburg hier:  http://www.op-marburg.de/Lokales/Marburg/Marburger-Klaeger-hat-vor-dem-B... zwar den Rechtsanwalt, aber leider kein Aktenzeichen oder Datum zum Urteil. 

Ich zitiere mal: "Nachzahlungsansprüche haben Arbeiter und Angestellte in Betrieben mit neuen Tarifverträgen deshalb nur, wenn sie ihre Forderungen schriftlich angemeldet haben, als der alte Tarifvertrag noch galt."

Wie kann es sein, dass nur Nachzahlungen getätigt werden, wenn zum damaligen Zeitpunkt schriftliche Ansprüche gestellt wurden? Die Rechtslage hat sich doch damit nicht geändert??

Die Informationen lagen doch oftmals erst nach Umstellung der Tarife vor und es kann doch wohl von keinem normalen Angestellten die Kenntnisse eines Rechtsanwaltes für Arbeitsrecht verlangt werden? Auch Gewerkschaften und Personalräte haben nicht offensiv und teilweise unterscheidlich informiert. Selbst nach den Urteilen jetzt kamen Informationen nur äußerst spärlich!

Ist dem wirklich so, dass Ansprüche damit für den größten Teil der möglichen Begünstigten nicht existieren?

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Das liegt an § 70 des BAT. Dort heißt es: "Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit vom Angestellten oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden, soweit tarifvertraglich nichts anderes bestimmt ist. Für denselben Sachverhalt reicht die einmalige Geltendmachung des Anspruchs aus, um die Ausschlussfrist auch für später fällig werdende Leistungen unwirksam zu machen."

 

Zu berücksichtigen allerdings: Unabhängig von der schriftlichen Anmeldung der Forderungen tritt für Forderungen aus 2008 Ende dieses Jahres Verjährung ein, wenn der Arbeitgeber nicht auf die Einrede der Verjährung verzichtet oder der Arbeitnehmer sie zum Beispeil durch Klageerhebung unterbricht.

Vielen Dank für die Informationen!

 

Heißt das im Umkehrschluss, dass alle Angestellten, deren Tarifvertrag in diesem Jahr geändert wurde (Juli), rückwirkend noch Ansprüche geltend machen können?

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Sofern dort § 70 BAT oder eine inhaltsgleiche Regel galt & der neue Tarifvertrag Forderungen aus dem alten Tarifvertrag nicht ausnahmsweise ausschließt: Ja. Aber natürlich ist dann die Nachzahlung nur für einen oder  allenfalls zwei  Monate (je nachdem, wann der Anspruch auf Gehaltszahlung im Monat fällig wird) noch erreichbar.

Nach Auffassung der Verwaltungsgerichte, die sich bisher mit der Frage befasst haben: Nein. (VG Chemnitz, Urteil vom 03.02.2011, Az. 3 K 613/10; VG Berlin, Urteil vom 24.06.2010, Az. 5 K 17.09). Klar ist: Direkt vom Alter abhängige Bezahlung ist bei Beamten genau so Diskriminierung wie bei Angestellten. Allerdings: Die Beamtengehälter werden letztlich durch Gesetz und nicht durch Tarifvertrag festgelegt und es kann daher kein Verstoß gegen das AGG als gleichrangiger Rechtsquelle vorliegen. Nach Ansicht der Verwaltungsrichter liegt auch kein Verstoß gegen die EU-Antidiskriminierungsrichtlinie vor, der zu Ansprüchen jüngerer Beamter führt.

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