OLG Celle: Zum Rotlichtverstoß und Fahrverbot

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 01.12.2011

Das OLG Celle (Beschluss vom 01.11.2011 - 311 SsBs 109/11 =  BeckRS 2011, 25258) hatte sich einmal mehr mit einem Klassiker zu befassen - Rotlichtverstoß mit Unfall und Fahrverbot. Interessant sind die beiden folgenden Passagen hieraus:

 

zur Erforderlichkeit der Darstellung der Ampelphasen:

Die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil ist - entgegen der Begründung der Rechtsbeschwerde und der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft - nicht schon deswegen lückenhaft und damit rechtsfehlerhaft, weil das Amtsgericht keine Feststellungen zum automatisierten Programmablauf der Lichtzeichenanlage getroffen hat.

Zwar ist es grundsätzlich erforderlich, diesen Programmablauf mitzuteilen, wenn der Schluss auf den Rotlichtverstoß aus Zeugenangaben hergeleitet wird, die nur Angaben zum Grünlicht für den Querverkehr machen können (OLG Hamm, Beschl. vom 1. September 2009 [2 Ss OWi 550/09 - juris] und vom 20.05.1999 [3 Ss OWi 436/99 - juris], Thüringer OLG, DAR 2006, 164).

Im konkreten Fall durfte das Amtsgericht allerdings von der Mitteilung des Schaltplans absehen. Nach den in den Gründen mitgeteilten Angaben der Zeugin P., die als Fußgängerin die Ampel überqueren wollte, blickte die Zeugin, nachdem die Ampel für sie bereits auf Grünlicht geschaltet war, zunächst noch einmal nach rechts und dann nach links und sah dabei von links einen Wagen (nach den Feststellungen im Übrigen das Fahrzeug des Betroffenen) mit hoher Geschwindigkeit heranfahren. Auf der Grundlage dieser Angaben, die das Amtsgericht als glaubhaft erachtet hat und die deswegen vom Rechtsbeschwerdegericht als Beweiswürdigung hinzunehmen sind, konnte das Amtsgericht rechtsfehlerfrei die Feststellung treffen, dass die Ampel für den Betroffenen bereits auf Rotlicht geschaltet war. Denn die Zeugin erblickte das von links kommende Fahrzeug erst, nachdem die Lichtzeichenanlage für sie schon auf grün geschaltet war und sie zuvor noch nach rechts geblickt hatte.

Vor dem Hintergrund dieser Feststellungen ist auszuschließen, dass die Beiziehung des Schaltplans zu einem anderen Beweisergebnis geführt hätte. Denn das Gericht durfte davon ausgehen, dass die Lichtzeichenanlage für die Zeugin erst dann Grünlicht anzeigt, wenn zuvor, zumindest aber gleichzeitig auf Rotlicht für den Autoverkehr geschaltet worden ist. Eine Fehlerhaftigkeit der Ampelanlage hat das Amtsgericht nicht festgestellt und ist auch vom Betroffenen nicht gerügt worden.

Der Sachverhalt unterscheidet sich insofern deutlich von dem der zuvor genannten obergerichtlichen Entscheidungen, bei denen auf den Rotlichtverstoß jeweils aus den Aussagen von Zeugen gefolgert wurde, die das Fahrzeug des Betroffenen erst beim Einfahren in den Kreuzungsbereich wahrgenommen hatten. Zudem hat das Amtsgericht hier keinen qualifizierten Rotlichtverstoß nach Nr. 132.3 BKat (Rotphase bereits länger als eine Sekunde Dauer) angenommen, für dessen Feststellung auf Grund von Zeugenaussagen die Beiziehung eines Schaltplans unverzichtbar ist.

Die Beiziehung des Ampelschaltplans war daneben auch nicht erforderlich, um den Vorwurf fahrlässigen Verhaltens durch den Betroffenen zu begründen.

Zwar muss das Amtsgericht grundsätzlich Feststellungen dazu treffen, ob es dem Betroffenen möglich war, mit einer Bremsung seinen Pkw noch vor der Haltelinie zum Stehen zu bringen. Bei Rotlichtverstößen innerhalb geschlossener Ortschaften - wie vom Amtsgericht unzweifelhaft festgestellt - sind Ausführungen zur Dauer der Gelbphase, der zulässigen und vom Betroffenen eingehaltenen Geschwindigkeit und seinem Abstand zur Ampel, als diese von Gelb- auf Rotlicht umschaltete, jedoch entbehrlich, weil im innerörtlichen Bereich grundsätzlich von einer gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h und von einer Gelbphase von drei Sekunden ausgegangen werden kann (OLG Hamburg, Beschl. v. 19. Oktober 2009, 2 SsBs 38/09, juris; Thüringer OLG, a.a.O.; OLG Hamm VRS 85, 464). Unter Berücksichtigung der Gelbphase von 3 Sekunden kann dann geschlossen werden, dass der Betroffene beim Umspringen auf Rot noch gefahrlos hätte anhalten können. Wenn der Betroffene wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht mehr rechtzeitig vor der Kreuzung anhalten könnte, so würde bereits die Geschwindigkeitsüberschreitung die Vorwerfbarkeit des Rotlichtverstoßes begründen (Hans. OLG Bremen VRS 79, 38).

 

zum Fahrverbot:

 

Soweit sich das Amtsgericht bei der Bemessung des Bußgeldes und der Verhängung des Fahrverbots ohne weitere Begründung am Tatbestand der Ziff. 132.2 BKat (Rotlichtverstoß mit Sachbeschädigung) orientiert hat, kann die insoweit gebotene Auseinandersetzung mit dem konkreten Unfallhergang und insbesondere mit dem spezifischen Gefährdungszusammenhang vom Senat nachgeholt werden. § 79 Abs. 6 OWiG eröffnet dem Beschwerdegericht die Möglichkeit, bei einem Begründungsmangel die Rechtsfolgenentscheidung selbst zu treffen, wenn keine neuen Tatsachen festgestellt werden müssen (Göhler, OWiG, 15. Aufl., § 79 Rn. 45c ff).

a.

Die Verwirklichung des Regelbeispiels nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 BKatV i. V. m. Ziff. 132.2 BKat indiziert den nach § 25 StVG zur Anordnung eines Fahrverbots erforderlichen groben Pflichtverstoß. Zwar hat sich im gegebenen Fall nicht die typische, von Ziff. 132.2 BKat erfasste Gefahr einer Schädigung der durch die konkrete Ampelregelung bevorrechtigten Fußgänger realisiert. Nach den Urteilsfeststellungen ist insbesondere auch auszuschließen, dass die Zeugin P. als Fußgängerin zumindest gefährdet i. S. d. Ziff. 132.1 BKat war. Jedoch ist in den Schutzbereich einer Fußgängerampel auch der jenseits der Ampelanlage einfahrende Querverkehr einbezogen, wenn die Fußgängerampel unmittelbar am Kreuzungsbereich - wie vom Amtsgericht festgestellt - aufgestellt ist. Dann hat eine Fußgängerampel auch für den Kraftfahrzeugquerverkehr Belang (ausführlich OLG Karlsruhe, VRS 100, 460 - juris).

b.

Allerdings handelt es sich bei der Kollision mit dem einfahrenden Querverkehr nach einem Rotlichtverstoß an einer Fußgängerampel wie im gegeben Fall um einen „atypischen qualifizierten“ Rotlichtverstoß. Ob sich das Verhalten des Betroffenen auch in diesem Fall als grob pflichtwidrig i. S. d. § 25 StVG darstellt oder vielmehr einem einfachen Rotlichtverstoß i. S. d. Ziff. 132 BKat gleichsteht, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu entscheiden.

Insbesondere kann die Anordnung eines Fahrverbots ausscheiden, wenn dem Unfallgegner ein erhebliches Mitverschulden zur Last zu legen ist (OLG Karlsruhe, a.a.O.; OLG Celle, NZV 1994, 40). Der angefochtenen Entscheidung ist zwar nicht zu entnehmen, ob der Zeuge H. das - trotz des Rotlichts weiterhin bestehende (OLG Hamm NZV 1998, 246; OLG Karlsruhe, a.a.O.) - Vorfahrtsrecht des Betroffenen missachtet hat, denn es fehlen z.B. Feststellungen dazu, ob in Fahrtrichtung des Zeugen H. das Verkehrszeichen 205 (Vorfahrt gewähren) aufgestellt war. Dennoch ist nach den konkreten Feststellungen im Übrigen selbst für den Fall, dass der Betroffene gegenüber dem Zeugen H. vorfahrtsberechtigt gewesen sein sollte, kein erhebliches Mitverschulden des Zeugen H. gegeben, das ein Abweichen von der Regelsanktion nach Ziff. 132.2 BKat gebieten würde. Ein Abbieger darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass der vorfahrtberechtigte Verkehrsteilnehmer die Lichtzeichen einer vor der Einmündung aufgestellten Fußgängerampel beachtet (OLG Celle, VersR 1986, 919; BGH NJW 1982, 1756). Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hat der Zeuge H., dessen Angaben das Amtsgericht gefolgt ist, auch auf die Ampel vertraut. Denn er hat die Kreuzung erst überquert, nachdem er sich von dem Rotlicht der Fußgängerampel überzeugt hatte und insbesondere ein Fahrzeug aus der Gegenrichtung des Betroffenen ebenfalls an der Haltelinie stehen geblieben war. Zwar hat das Amtsgericht keine weiteren Feststellungen dazu getroffen, ob der Unfall dennoch für den Zeugen H. vermeidbar war. Allein aus der - möglicherweise auch durch Unachtsamkeit bedingten - Vermeidbarkeit des Unfalls ergibt sich jedoch kein erhebliches Mitverschulden, das die Schwere der Pflichtwidrigkeit des Betroffenen in einem anderen Licht erscheinen ließe. Denn der Schadenseintritt, der wegen des gegenüber dem einfachen Rotlichtverstoß erhöhten Erfolgsunrechts für die strengere Regelsanktion nach Nr. 132.2 BKat maßgeblich ist, beruht nach den Feststellungen im Wesentlichen auf der Pflichtverletzung des Betroffenen.

Dies rechtfertigt im Ergebnis die vom Amtsgericht verhängte Sanktion sowohl hinsichtlich der Höhe der Geldbuße als auch hinsichtlich des Fahrverbots, von dem auch nicht - wie das Amtsgericht ohne Rechtsfehler entschieden hat - im Einzelfall wegen besonderer persönlicher Umstände abzusehen war.

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