Sicherheitsbehörden und Rechtsextremismus - welche Skandale kommen noch ans Licht? Oder ist die Kritik "zu pauschal"?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 18.12.2011

Der Thüringer Verfassungsschutz hat den rechten Mördern falsche Papiere finanziert, wird heute gemeldet (Quelle). (edit: Nach Angaben des VS wollte man damit den Untergetauchten auf die Spur kommen)
Warum überrascht uns diese Meldung eigentlich kaum mehr? Weil wir uns an die etlichen Fahndungs- und Manöverpannen der Polizei und der Verfassungsschützer in Bezug auf die rechten Mörder schon gewöhnt haben? (siehe Zusammenstellung der Fahndungspannen auf Zeit-Online) Weil Euro-Krise, BuPrä Wulffs Kredit oder die Krise der FDP im Vordergrund der Aufmerksamkeit stehen?

Angesichts dieser neu gemeldeten  "Panne" des Thüringer Verfassungsschutzes, der hier objektiv Beihilfe zur mittelbaren Falschbeurkundung (§ 271 StGB) leistete, muss man sich wohl fragen: Haben Verfassungsschutzbehörden mittels V-Leuten die rechte Szene beobachtet oder haben Nazis durch ihre "Mitarbeit" beim Thüringer VS ihre Mordserie finanziert?

Natürlich können das alles Zufälle sein und natürlich will man auch gern den Beteuerungen etwa der bayerischen Polizei glauben, man verdächtige die Sicherheitsbehörden Bayerns zu Unrecht "zu pauschal", auf dem rechten Auge blind gewesen zu sein.

Die GdP Bayern äußert sich dabei aber nicht nur für die Polizeikollegen, sondern nimmt auch gleich den bayerischen Verfassungsschutz in ihre Verteidigungsrede  auf:

Die Arbeit der Sicherheitsbehörden wird aber einer Pauschalkritik unterworfen, noch bevor die notwendigen Ermittlungen diesbezüglich ein klares und schlüssiges Ergebnis erkennen lassen.
GdP-Landesvorsitzender Helmut Bahr: „Wir sind überzeugt, dass die bayerischen Sicherheitsbehörden jeder Spur, der nachzugehen war, auch stichhaltig nachgegangen sind und vertrauen der Arbeit der Bayerischen Polizei und des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz“. (Quelle: GdP)

Wieso eigentlich lehnt sich Herr Bahr auch  für den bayerischen Verfassungsschutz aus dem Fenster? Leider gehört auch der bayerische Verfassungsschutz zu den Behörden, die in Bezug auf rechts und links  nicht ganz neutral ermitteln und berichten. Beispielhaft sei die Rede des Bayerischen Innenministers vom März dieses Jahres angeführt, die er bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts hielt: Sie besteht u.a. aus ca. 12 Seiten mit (überwiegend außerbayerischen!) Beispielen für linksextreme Gewaltaktionen, die offenbar bei der Rede auch mit Videofilmen untermauert wurden und lediglich einigen Zeilen (!)  zu rechtsextremen Gewalttaten. Man lese dies selbst einmal nach - so war die Einschätzung des Innenministers (als Chef beider hier genannten Behörden) noch im März dieses Jahres! (Rede als pdf). Es ist aber natürlich nicht eine solche Ministerrede mit ihrer Schieflage, die jetzt von der GdP kritisiert wird, sondern es sind die Medien mit ihrer "Pauschalkritik".

Zuletzt  ist der bayerische Verfassungsschutz dadurch aufgefallen, dass er "pauschal" das mehrfach preisgekrönte Münchener Archiv a.i.d.a., das sich die Beobachtung und Dokumentation rechtsextremer Umtriebe zum Ziel gesetzt hat, in seinen Berichten als linksextrem beurteilte (siehe hier im Blog) und damit versuchte, dessen guten Ruf zu beschädigen (a.i.d.a.-Website). Auch nach dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gegen den Verfassungsschutz wurde a.i.d.a. in den Berichten des VS weiterhin als linksextrem geführt - Tatsachen, die diese Einschätzung wirklich belegen, sucht man allerdings weiterhin vergeblich.

 

update (19.12.2011): Nach einem neuen Bericht soll das für die falschen Papiere vorgesehene Geld des VS bei den späteren Mördern nicht angekommen sein. Vielmehr soll der Mittelsmann es selbst behalten haben. Andererseits wurde eine neue "Panne" bekannt: Offenbar wurde eine Polizeiobservation verraten (Quelle).

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

7 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Die Aussage, der Thüringer Verfassungsschutz habe "den rechten Mördern falsche Papiere finanziert", stellt eine ziemlich perfide Verdrehung und Verkürzung dar. Der Thüringer Verfassungsschutz hat offenbar Geld auf den Weg gebracht, um den Geldfluß verfolgen und die Empfänger alsbald verhaften zu können. Das ist schiefgegangen, und es spricht viel dafür, dass hier handwerkliche Fehler gemacht worden sind. Die Insinuation, der Thüringer Verfassungsschutz habe die "rechten Mörder"  -  die damals auch unter Berücksichtigung des heutigen Kenntnissstands im Übrigen gerade noch keine "Mörder" waren  -  bewusst das Untertauchen ermöglicht oder erleichtert, rechtfertigt das aber nicht.

4

Sehr geehrter Jens,

danke für Ihren Hinweis. Dass der VS Thüringens mit dem Geld andere Ziele hatte, will ich gern einräumen (und habe dies oben ergänzt). Aber objektiv - also ohne Berücksichtigung der Absichten des VS - ist genau das eingetreten, nämlich eine Unterstützung der späteren Mörder (die auch zum Zeitpunkt des Untertauchens schon mörderische Waffen gelagert hatten).

Ich habe dies als "Panne" bezeichnet, zudem als objektive Verwirklichung der Beihilfe zur mittelbaren Falschbeurkundung (weil offenbar die Meldebehörden nicht informiert wurden), eine "bewusste" Förderung habe ich nicht behauptet.

Die Häufung der Pannen mit den V-Leuten geben nicht nur mir den Anlass zum Verdacht, dass dort schwere strukturelle (und nicht nur "handwerkliche") Fehler vorliegen, dass also die Vereitelung der ursprünglichen guten Absichten der Behördenleitung vielleicht doch nicht ganz zufällig war.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Um es mal von der anderen Seite zu betrachten:

Die rechte Szene verfügt im Vergleich zu anderen auf dem Gebiet der BRD nachrichtendienstlich bearbeitete Strukturen über ein Alleinstellungsmerkmal, das schon mehrfach den Weg in die Medien geschafft hat und in den Diensten als allgemein bekannt gelten muss: Sozial funktionierende interne Auffangmechanismen gegenüber der Gewinnung von menschlichen Quellen durch Sicherheitsbehörden.

Das mag Bestandteil einer größeren Wechselwirkung sein. Die Umstände und Motive, die Menschen in rechte Organisationen treiben, sind - bspw. im Gegensatz zum Islamismus - wenig fundamental, eher alltägliche Frustration und durch diese Organisationen leicht definierbar. Der hohe Durchlauf von wechselnd stark zugeneigten Personen macht die rechte Szene für eine personelle Informationsgewinnung attraktiv und verwundbar. Auf der anderen Seite stehen Überwacher, die sich teils selbst in dem gesellschaftlichen Graubereich bewegen und damit nicht die nötige Integrität und Distanz zu den Überwachten aufweisen. Mit diesen speziellen Vor- und Nachteilen hat die Nazi-Szene gelernt umzugehen. Die Eigenschaft eines V-Manns wird nicht starr als Verräter in der eigenen Organisation betrachtet, sondern, "richtig" wahrgenommen, als bisweilen nützliche Verbindungsfunktion interpretiert. Dass die Betreffenden in ihrem Umfeld keinen Hehl aus der Zusammenarbeit mit Behörden machen und damit faktisch nutzlos sind, wird wiederum auf deren Seite hingenommen (oder eben, als eine von unzähligen Pannen, "nachlässig" gegenermittelt). Denn einen Kontakt platziert zu haben, gilt ja als Erfolg. Die Dichte der so gepflegten Kontakte ist schließlich auch bemerkenswert und in der BRD ohne Parallelen. Mit einer stattlichen Zahl menschlicher Quellen hinter einem satten Budget wird geheimdienstliches Prestige gepflegt, das man im linken Spektrum oder gar im Islamismus so nie einfahren könnte. Entsprechend empfindlich nun die Reaktionen auf die Vorhaltung, "auf dem rechten Auge blind gewesen zu sein".

Zumindest kann man den Behörden vorwerfen, zu lange von Scheinerfolgen gelebt zu haben, ohne erkennen zu wollen, wie nachhaltig das leichte Arbeiten die eigene Aufklärungsfähigkeit schwächt.

5

Nach neueren Berichten habe ich meinen Beitrag korrigiert: Das Geld für die Pässe soll bei den Untergetauchten gar nicht angekommen sein (siehe update oben am Ende des Beitrags). Allerdings gibt es auch wieder neue Nachrichten.

Die Berichte (Beispiel: tagesschau) widersprechen sich noch in einigen Einzelheiten, aber insgesamt scheint es sich zu bestätigen: Die Gewinnung von Informationen durch V-Leute verlief  keineswegs nur in eine Richtung (VS bezahlt Geld für Infos aus der rechten Szene), sondern lief offenbar auch in der Gegenrichtung (VS informiert V-Leute über sie betreffende Polizeiobservation).

 

Henning Ernst Müller schrieb:

Nach neueren Berichten habe ich meinen Beitrag korrigiert: Das Geld für die Pässe soll bei den Untergetauchten gar nicht angekommen sein (siehe update oben am Ende des Beitrags). 

 

 

Sorry, das interessiert meiner Meinung nach überhaupt nicht....oder anders gefragt, was würde ein Staatsanwalt sagen, wenn Sie mich für einen gefälschten Pass mit Geld versorgen?

 

Selbst wenn man argumentiert der Verfassungsschutz wollte ja mit dieser Summe den Typen auf die Schliche kommen, dann ist da immer noch das kleine Problem, dass im Falle des Erfolges (Geld kommt bei den Typen an) u.U. das Geld nicht für die gefälschten Pässe ausgegeben wird, sondern sich davon z.B. eine Waffe angeschafft werden kann, die dann auch  u.U. eingesetzt wird.

 

Wie ist daher eine finanzielle Unterstützung egal zu welchem Zweck rechtzufertigen?

 

bombjack

 

 

0

@Bombjack,

es macht aus strafrechtlicher Sicht schon einen Unterschied, welche Absicht hinter einem solchen Verhalten (Geld an gesuchte bzw. untergetauchte  Tatverdächtige zu senden) steckt und ob dies "erfolgreich" war oder nicht.

Für Strafvereitelung oder Strafvereitelung im Amt (§§ 258, 258 a StGB) ist jeweils  absichtliches oder wissentliches Verhalten vorausgesetzt. Wenn die Behörde also das Geld tatsächlich als "Köder" geschickt hat, um die Flüchtigen zu ergreifen, ist schon der Tatbestand nicht erfüllt. Eine "fahrlässige" Strafvereitelung ist nicht strafbar.

Kommt das Geld bei den Zielpersonen gar nicht an, liegt ohnehihn allenfalls ein Versuch vor.

Bei Mittelbarer Falschbeurkundung (§ 271 StGB) ist zwar ebenfalls der Versuch strafbar, jedoch könnte eine Behörde, die dies als nachrichtendienstliches Mittel einsetzt, um ihre Aufgaben zu erfüllen, ggf. gerechtfertigt sein.

Dass irgendwelche "Fehler" passieren können und damit das behördliche Manöver  scheitern könnte, macht es nicht schon von Beginn an rechtswidrig, sofern die Grenzen der zulässigen nachrichtendienstlichen Mittel nicht überschritten wurden. Diese Frage wird man allerdings stellen müssen, insbesondere, ob hier noch genügend "Kontrolle" über die V-Leute und Mittelsmänner/-frauen bestand.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Es ist eine unselige deutsche Tradition, daß staatliche Behörden, einschließlich weiter Teile der Justiz, die Gefahr immer nur von links kommen sehen.  Das wird sich wohl auch nur sehr langfristig ändern lassen, denn diese Sichtweise ist tief in den Strukturen und Denkmustern der Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte eingewurzelt. Mit etwas historischen Mut gesprochen, könnte man behaupten, daß sich die kaiserzeitlichen Denkmuster im Wesenskern bis heute vor allem in Polizei und Strafjustiz erhalten und durch alle deutschen Staaten der letzten 100 Jahre "gerettet" haben.

 

Dies mag u.a. auch daran liegen, daß eher links orientierte Bürger seltener eine Karriere bei Polizei, Strafjustiz, Verfassungsschutz, etc., anstreben, das dortige Personal also bereits strukturell mehr links- als rechtskritisch eingestellt sein könnte. Verfolgt man beispielsweise die Karrieren junger Juristen bei Staatsanwaltschaften und Gerichten, ist zu beobachten, daß die Mehrzahl jener, die mit einem kritischen Geist  dort anfangen, sehr schnell "eingenordet" werden, häufig unter mehr oder weniger offener "Androhung" der Nichtübernahme aus dem Probeverhältnis in das Beamten-/Richterverhältnis auf Lebenszeit.  Auch bei vielen Juristen, die z.B. in der "Neuen Richtervereinigung" oder gar parteipolitisch bei den GRÜNEN oder in der FDP organisiert sind, bei denen man ein eher linksliberales Rechtsstaatsverständnis vermuten sollte, ist in der täglichen Arbeit und im Ergebnis kaum ein Unterschied zu den konservativen Kollegen auszumachen. Für die Polizei und den Verfassungsschutz kann ich nicht sprechen, ich vermute dort jedoch ähnliche Mechanismen.

 

Ob es für den liberalen Rechtsstaat allerdings ein Gewinn wäre, wenn der mitunter etwas hysterischen Verfolgung von vermeintlichen linken und islamistischen Terroristen nun auch noch eine ähnliche Jagd auf rechte Terroristen folgte, mit weiteren Einschnitten in die Freiheitsrechte einhergehend, wird man bezweifeln dürfen.

5

Kommentar hinzufügen