Kein Gleichlauf zwischen Ermittlungsverfahren und polizeilicher erkennungsdienstlicher Behandlung – Erkennungsdienstliche Behandlung nach Drogenfahrt trotz Strafverfahrenseinstellung zulässig

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 20.12.2011

Mit Urteil vom 29.11.2011 (Az.: 5 K 550/11.NW) hat das VG Neustadt auf der Grundlage der bisherigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (allgemein zur Rechtslage unten) entschieden: Wer unter Drogeneinfluss Auto fährt, muss mit erkennungsdienstlichen Maßnahmen der Polizei rechnen, auch wenn ein deshalb eingeleitete Strafverfahren eingestellt wurde. Bei Drogendelikten sei die Wiederholungsgefahr groß, weil der Drogenkonsum typischerweise zu einem Abhängigkeitsverhalten führe, das weitere Betäubungsmitteldelikte sehr wahrscheinlich mache.

Staatsanwaltschaft stellte das Ermittlungenverfahren nach Drogenfahrt ein

Der Kläger geriet im Oktober 2010 mit seinem Pkw in eine Verkehrskontrolle. Aufgrund drogentypischer Ausfallerscheinungen erfolgte eine Blutprobe, ergab, dass der Kläger Cannabis und Kokain konsumiert hatte. Das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen des Besitzes und Erwerbes von Drogen stellte die Staatsanwaltschaft im November 2010 ein, weil eine auf Betäubungsmittel positive Blutprobe nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf strafbaren Besitz oder Erwerb schließen lasse.

Polizei ordnet erkennungsdienstliche Behandlung an - Kläger: Keine Wiederholungsgefahr

Gleichwohl ordnete die Polizeibehörde nach der Einstellung gegenüber dem Kläger die erkennungsdienstliche Behandlung an (Abnahme von Fingerabdrücken sowie Fertigung von Lichtbildern). Es sei davon auszugehen, dass der Kläger sich die Drogen selbst beschafft habe. Da Drogenkonsum typischerweise zu einem Abhängigkeitsverhalten führe, das zu neuer Tatbegehung nahezu zwinge, sei damit zu rechnen, dass der Kläger sich auch künftig Drogen besorgen werde. Der Kläger wendete dagegen ein, er habe kein Suchtproblem. Das habe auch ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis bestätigt. Deshalb liege eine Wiederholungsgefahr als Voraussetzung für die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung nicht vor.

VG Neustadt: Trotz eingestelltem Ermittlungsverfahren besteht ausreichender Verdacht strafbaren Drogenbesitzes

Die Klage hatte keinen Erfolg. Nach VG Neustadt ist nach kriminalistischer Erfahrung von einer gewissen Drogenerfahrenheit auszugehen, weil der Kläger Cannabis und Kokain konsumiert habe. Die Polizei habe daher annehmen können, dass der Kläger trotz Einstellung des Ermittlungsverfahrens ausreichend verdächtig sei, Drogen in strafbarer Weise erworben oder besessen zu haben.

Wiederholungsgefahr bei Drogendelikten groß

Das Gericht bejaht auch eine Wiederholungsgefahr. Bei Drogendelikten sei die Wiederholungsgefahr groß, weil typischerweise der Drogenkonsum zu einem Abhängigkeitsverhalten führe, das die Begehung weiterer Verstöße gegen die Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes sehr wahrscheinlich mache. Das gelte vor allem, wenn im Einzelfall objektive Anhaltspunkte für eine weitergehende Involvierung in die Drogenszene bestünden. Solche Anhaltspunkte lagen nach der Überzeugung des Gerichts beim Kläger vor. Dieser sei seit Jahren drogenerfahren, habe regelmäßig Joints geraucht und sei auf Partys verkehrt, auf denen Kokain konsumiert worden sei. Er habe sich somit zumindest in einem Randbereich des Drogenmilieus bewegt und kenne Quellen, wo Drogen erhältlich seien. Dass er aufgrund eines positiven Gutachtens inzwischen wieder eine Fahrerlaubnis bekommen habe, stehe der Prognose, es bestehe Wiederholungsgefahr in Bezug auf Drogendelikte, nicht entgegen.

Allgemein zur Rechtslage

Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung ist § 81 b 2. Alt. StPO. Danach können Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit es für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist.

Die Notwendigkeit der Anfertigung von erkennungsdienstlichen Unterlagen bemisst sich danach, ob der anlässlich des gegen den Betroffenen gerichteten Strafverfahrens festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls - insbesondere angesichts der Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, seiner Persönlichkeit sowie unter Berücksichtigung des Zeitraums, während dessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist - Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen - den Betroffenen schließlich überführend oder entlastend - fördern könnten (BVerwG, Urteile vom 23. November 2005 - 6 C 2.05 -, und vom 19. Oktober 1982 - 1 C 29.79  sowie Beschluss vom 6. Juli 1988 - 1 B 61.88 ; OVG NRW, Beschlüsse vom 23. September 2008 - 5 B 1046/08 -, vom 18. August 2008 - 5 B 597/08 -, sowie VG Aachen BeckRS 2011, 45978).

Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG), der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der präventive Charakter der erkennungsdienstlichen Maßnahmen verlangen eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer effektiven Verhinderung und Aufklärung von Straftaten und dem Interesse des Betroffenen, entsprechend dem Menschenbild des Grundgesetzes nicht bereits deshalb als potenzieller Rechtsbrecher behandelt zu werden, weil er sich irgendwie verdächtig gemacht hat oder angezeigt worden ist. Im Rahmen der Abwägung ist insbesondere danach zu differenzieren, in welchem Umfang Verdachtsmomente gegen den Betroffenen bestehen. Sind die für das Ermittlungsverfahren bestimmenden Verdachtsmomente ausgeräumt, sind erkennungsdienstliche Maßnahmen nicht mehr notwendig. Ist das nicht der Fall, kommt es entscheidend darauf an, welcher Art das Delikt ist, auf das sich die bestehenden Verdachtsmomente beziehen. Je schwerer ein Delikt wiegt, je höher der Schaden für die geschützten Rechtsgüter und die Allgemeinheit zu veranschlagen ist und je größer die Schwierigkeiten einer Aufklärung einzustufen sind, desto mehr Gewicht erlangt das oben beschriebene öffentliche Interesse (BVerwGE 26, 169; OVG NRW, Beschlüsse vom 23. September 2008 - 5 B 1046/08 -, vom 18. August 2008 - 5 B 597/08 -, sowie vom 7. März 2001 - 5 B 1972/00).

§ 81 b 2. Alt. StPO stellt hinsichtlich der Notwendigkeit der Maßnahmen nicht (nur) auf den Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung ab. Im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle kommt es deshalb für die Notwendigkeit der angeordneten Maßnahme auf die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz an (BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1982 - 1 C 29.79 ).

Der Klageantrag müsste lauten: "den Bescheid des ... vom ... über die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung des Klägers aufzuheben."

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