BGH: Nicht nur die Gedanken sind frei, sondern auch polizeilich abgehörte Selbstgespräche sind als Beweis wertlos

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 29.12.2011

Nach der bahnbrechenden Entscheidung des BVerfG zum Großen Lauschangriff (BVerfGE 109, 279 = NJW 2004, 999) sowie des BGH zu den Selbstgesprächen im Krankenzimmer (BGH NStZ 2005, 700; vgl. dazu auch Kolz NJW 2005, 3248) hätte es das LG Köln wissen müssen: Der  polizeilich abgehörte vielsagende Monolog „Wir haben sie tot gemacht“ hätte bei der Verurteilung eines mutmaßlichen mörderischen Trios nicht verwertet werden dürfen; denn dieser ist dem innersten, unantastbaren Bereich der Persönlichkeit zuzuordnen (so jetzt der BGH im Urteil vom 22.12.2011 ; Az.: 2 StR 509/10; die Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor; nur die Pressemitteilung). Das Beweisverwertungsverbot ergebe sich im konkreten Fall direkt aus der Verfassung. Mit der heimlichen Aufzeichnung und Verwertung des nichtöffentlich geführten Selbstgesprächs liege ein Eingriff in den nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit vor.

 

Der Fall: Tötung der Ehefrau eines der Angeklagten

Nach den Feststellungen des LG Köln tötete der Angeklagten seine Ehefrau, nachdem diese sich von ihm getrennt hatte. Er wollte damit verhindern, dass sie das gemeinsame Kind mitimmt, das nach dem Willen des Angeklagten im Haushalt seiner mitangeklagten Schwester und deren ebenfalls mitangeklagten Ehemanns aufwachsen sollte. Die beiden Mitangeklagten waren an der Tat zumindest im Vorbereitungsstadium maßgeblich beteiligt, um das Kind der Getöteten selbst aufzunehmen und großzuziehen. Konkrete Feststellungen zur Art der Tötung und zu konkreten Tatbeiträgen konnten nicht getroffen werden, zumal die Leiche des Tatopfers sich nicht fand.

 

Als eines unter mehreren für die Tatbegehung selbst sowie für die Täterschaft der Angeklagten sprechendes Indiz wertete das LG Köln Bemerkungen des Ehemanns der Getöteten, die dieser bei Selbstgesprächen in seinem Pkw gemacht hatte. Das Kraftfahrzeug war auf richterliche Anordnung mit technischen Mitteln abgehört worden. Dabei wurden sowohl Gespräche von zwei der Angeklagten bei gemeinsamen Fahrten als auch – bruchstückhaft – Selbstgespräche des angeklagten Ehemanns der Getöteten aufgezeichnet. Auf beides hat das LG die Verurteilung der drei Angeklagten gestützt.

 

BGH: Selbstgespräche hätten nicht zu Überführung der Angeklagten verwendet werden dürfen

Die Selbstgespräche hätten nach BGH wegen eines sich unmittelbar aus der Verfassung ergebenden Beweisverwertungsverbots nicht zur Überführung der Angeklagten verwendet werden dürfen.

 

Maßgeblich für diese Bewertung sei eine Abwägung und Gesamtbetrachtung der maßgeblichen Umstände des konkreten Falles. Nicht jedes Selbstgespräch einer Person sei ohne Weiteres dem vor staatlichen Eingriffen absolut geschützten Kernbereich der Persönlichkeit zuzuordnen. Andererseits müsse nach den Grundsätzen des Schutzes der Menschenwürde und der Freiheit der Person ein Kernbereich privater Lebensgestaltung und Lebensäußerung verbleiben, in welchen der Staat auch zur Aufklärung schwerer Straftaten nicht eingreifen darf. Der Grundsatz, dass «die Gedanken frei» und dem staatlichen Zugriff nicht zugänglich sind, beschränke sich nicht allein auf innere Denkvorgänge , sondern erfasse auch ein in – unbewussten oder bewussten, unwillkürlich oder willkürlich geführten – Selbstgesprächen formuliertes Aussprechen von Gedanken, bei welchem sich die Person als «allein mit sich selbst» empfindet.

 

Wichtige Kriterien für die Entscheidung, ob Äußerungen in Selbstgesprächen diesem innersten, unantastbaren Bereich der Persönlichkeit zuzuordnen sind, sind laut BGH die Eindimensionalität der Selbstkommunikation, also die Äußerung ohne kommunikativen Bezug; die Nichtöffentlichkeit der Äußerungssituation und das Maß des berechtigten Vertrauens der Person darauf, an dem jeweiligen Ort vor staatlicher Überwachung geschützt zu sein; die mögliche Unbewusstheit der verbalen Äußerung; die Identität der Äußerung mit den inneren Gedanken sowie die Äußerungsform als bruchstückhafter, auslegungsfähiger oder -bedürftiger Ausschnitt eines «Gedankenflusses».

 

In der Flüchtigkeit und Bruchstückhaftigkeit des in Selbstgesprächen gesprochenen Worts ohne kommunikativen Bezug liegen nach Ansicht des BGH auch rechtlich erhebliche Unterschiede etwa zu Eintragungen in Tagebüchern. Aus dem Umstand, dass eine Äußerung innerhalb des nach Art. 13 GG geschützten Bereichs der Wohnung fällt, lasse sich nach der gesetzlichen Systematik zwar ein verstärkendes Indiz für die Zuordnung zum geschützten Kernbereich ableiten. Auch außerhalb der Wohnung sei dieser Kernbereich aber absolut geschützt, wenn andere der genannten Gesichtspunkte in der Wertung überwiegen.

 

Aus der Verletzung des von Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG geschützten Kernbereichs der Persönlichkeit ergebe sich danach ein absolutes Verwertungsverbot für die bei den Selbstgesprächen aufgezeichneten Äußerungen, das auch in Bezug auf die beiden Mitangeklagten wirke.

 

Der Mord ohne Leiche muss jetzt erneut vor dem LG Köln verhandelt werden.

  

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1 Kommentar

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Inkonsequent ist es aus meiner Sicht allerdings, daß sowohl der BGH als auch das BVerfG Niederschriften in persönlichen Tagebüchern nicht als Selbstgespräche akzeptieren und diese sogar dann für verwertbar halten, wenn es nicht um Verbrechens-, sondern nur um Vergehenstatbestände geht.  Wenn man schon die Auffassung vertritt, daß nur die Gedanken frei sind, nicht aber deren Freilassung in die Außenwelt, müßte man auch mündliche Selbstgespräche verwerten können, denn die Möglichkeit des staatlichen "Belauschens", gerade im Falle des Verdachts schwerwiegender Straftaten, dürfte heute jedermann bewußt sein.

 

Der neue Merksatz lautet also offenbar: mit sich selbst reden darf man, sich selbst schreiben darf man nicht.

 

 

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