Bezugnahme auf mehrgliedrige Tarifverträge der Zeitarbeitsbranche auf dem Prüfstand

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 02.01.2012

 

Schon im Vorgriff auf die zu erwartende CGZP-Entscheidung des BAG haben die Verbände der Zeitarbeitsunternehmen und die christlichen Gewerkschaften ihr Tarifmodell modifiziert. Wurden die Tarifverträge auf Arbeitnehmerseite zunächst von der CGZP allein abgeschlossen, zählen seit dem 1.1.210 auch fünf Einzelgewerkschaften des Christlichen Gewerkschaftsbundes Deutschland (CGB)  zu den tarifvertragsschließenden Parteien. Es handelt sich um sog. mehrgliedrige Tarifverträge, die praktisch nur durch arbeitsvertragliche Bezugnahme zur Anwendung gelangen. Diese Konstruktion wirft zahlreiche Rechtsfragen, insbes. auch AGB-rechtlicher Natur, auf, von deren Beantwortung mögliche Equal-Pay-Ansprüche der betroffenen Leiharbeitnehmer abhängen. Mittlerweile befassen sich auch die Arbeitsgerichte mit diesen Fragen. Beachtenswert ist ein Urteil des LAG Düsseldorf vom 08.12.2011 (Az. 11 Sa 852/11). Gestritten wurde über den Ausschluss von Ansprüchen durch eine in Bezug genommene Ausschlussfrist im Manteltarifvertrags zwischen der AMP und den Einzelgewerkschaften des CGB (MTV). Diesen qualifiziert das LAG als einen mehrgliedrigen Tarifvertrag mit der Folge, dass selbst dann, wenn die CGZP tarifunfähig sei, dies nicht für die Einzelgewerkschaften des CGB gelte. Das LAG gelangt dementsprechend zu dem Ergebnis, dass die Ansprüche des Klägers wegen der wirksamen Ausschlussfrist verfallen seien. Das LAG Düsseldorf hat allerdings die Revision zum BAG zugelassen. Mit der Problematik befassen sich auch einige Beiträge aus den Reihen der Wissenschaft, so etwa der Aufsatz von Bayreuther mit dem Titel „Tarifzuständigkeit beim Abschluss mehrgliedriger Tarifverträge im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung“. Er wird in einer der ersten Hefte der NZA im neuen Jahr 2012 erscheinen. Ferner ist auf einen sehr ausführlichen Beitrag von Stoffels und Bieder hinzuweisen, der im ersten Heft der RdA abgedruckt werden wird. Er befasst sich mit „AGB-rechtliche(n) Probleme(n) der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf mehrgliedrige Zeitarbeitstarifverträge“ und gelangt zu dem Ergebnis, dass keine durchgreifende Wirksamkeitsbedenken gegen die Bezugnahme bestehen.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

8 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Da stell' ma uns ma janz dumm und sagen "en jülticha Tarifvertrag is enn Vertrach mit eena tarifffähigen Jewerkschaft".

Der Kläger betreffend des Urteils des LAG Düsseldorf vom 08.12.2011 (Az. 11 Sa 852/11) war "als Ableser im Kundenaußendienst eines großen Energieunternehmens eingesetzt." (http://www.justiz.nrw.de/JM/Presse/presse_weitere/PresseLArbGs/08_12_2011/index.php)

Demzufolge ist die fachlich zuständige Einzelgewerkschaft die CGBE (http://www.cgbce.org/wirueberuns.htm). Dieser hat das BAG jedoch in seiner Entscheidung vom 16. Januar 1990 (1 ABR 10/89) die Tariffähigkeit abgesprochen. Eine andere Einzelgewerkschaft kommt alleine schon wegen der AGB-Kontrolle nicht in Frage ("wir nehmen halt die Einzelgewerkschaft, die uns passt bzw. irgendeine, die tariffähig ist").

Also nochmal von vorne: Tarifpartner in dem mehrstufigen TV sind

- die CGZP -> nicht tariffähig

- die zuständige Einzelgewerkschaft, hier die CGBE -> nicht tariffähig

Hat das LAG D'dorf den Beschluss 1 ABR 10/89 übersehen? Oder beruft es sich willkürlich auf eine andere Einzelgewerkschaft? Hat das beklagte Unternehmen einen TV mit einer anderen CGB-Gewerkschaft abgeschlossen, die tariffähig ist? Falls ja, wurde dieser TV bzw. die Gewerkschaft in der Zusatzvereinbarung aufgeführt? Nur dann kann der Arbeitnehmer ja herausfinden, auf welche Vertragsverhältnisse er sich einlässt -- ansonsten sehe ich schwarz  für die AGB-Kontrolle...

Liegt Ihnen das Urteil vor? Dann wäre die Beantwortung der o.g. Fragen sehr nützlich, um mehr Klarheit zu erhalten.

@ Mein Name:

Der von Ihnen zitierte BAG-Beschluss vom 16.01.1990 (1 ABR 10/89) hat nach meiner Meinung heute keine Bedeutung mehr. Denn im Verfahren um die Tariffähigkeit der CGM hat das BAG entschieden, dass Entscheidungen über die Tariffähigkeit aus der Zeit vor dem Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 18.05.1990 keine Rechtskraft mehr entfalten (Beschluss vom 6.6.2000 - 1 ABR 21/99, NZA 2001, 156, zu B II 4 c der Gründe).

Dann ist die Frage: hat die CGBE überhaupt einen TV mit diesem Zeitarbeitsunternehmen bzw. dem AMP abgeschlossen? 

Laut AMP-Homepage gibt es nur den "mehrstufigen" TV mit der nicht tariffähigen CGZP und den Einzelgewerkschaften CGM, DHV, BIGD, ALEB und medsonet. Von diesen Einzelgewerkschaften ist keine für den Energiesektor zuständig, dies wäre im CGB die CGBE. Ich habe bisher nichts gefunden was darauf hinweist, dass die CGBE (tariffähig oder nicht, dies wäre erst noch festzustellen) überhaupt einen TV mit dem AMP abgeschlossen hätte. Es existiert also im fraglichen Zeitraum für die dem AMP angeschlossenen Zeitarbeitsunternehmen kein TV für Energieunternehmen bzw. bei solchen Unternehmen eingesetzten Arbeitnehmern.

Im Tarifregister des Landes Berlin (Sitz des AMP) gibt es keinen registrierten TV für die Energiebranche - logischerweise also auch keinen zwischen AMP und CGBE, nur den o.g. Zeitarbeits-TV (der aber laut der Begründung des BAG zum Beschluss vom 14.12.2010 nur die Tätigkeitsbereiche umfassen kann, in denen die Einzelgewerkschaften fachlich zuständig sind).

-> weiterhin kein gültiger TV bzw. Bezugnahme darauf für Zeitarbeitnehmer, die in Wirtschaftszweigen eingesetzt sind, die nicht von CGM, DHV, BIGD, ALEB und medsonet abgedeckt sind und deren Arbeitgeber im AMP ist bzw. für den Zeitpunkt der Ansprüche war.

Außer die o.g. Detailfragen können anders beantwortet werden ...

Solange keine Tarifbindung dadurch besteht, daß Arbeitnehmer und Arbeitgeber in der jeweiligen tarifschließenden Organisation (Gewerkschaft bzw Arbeitgeberverband), werden die Tarifverträge im jeweiligen Arbeitsvertrag einbezogen.

 

Und wenn die Beteiligten Spaß dran haben, können die für einen Vertrag mit einem Ableser im Kundenaußendienst auch einen Tarifvertrag für Gastronomie, Sanitärhandwerk, Gebäudereiniger oder was auch immer einbeziehen. Ist zwar nicht unbedingt sinnvoll, geht aber, solange keine konkurrierenden Tarifverträge durch die jeweilige Verbandsmitgliedschaft ebenfalls einbezogen sind. Dabei ist auch relativ egal, für wen diese Verträge eigentlich gedacht sind.

 

Ich kann mir vorstellen, dass auf diesem Wege die Einbeziehung der Tarifverträge einer der beteiligten Einzelgewerkschaften erfolgt ist.

0

darum ja - s.o.:

 "wurde dieser TV bzw. die Gewerkschaft in der Zusatzvereinbarung aufgeführt? Nur dann kann der Arbeitnehmer ja herausfinden, auf welche Vertragsverhältnisse er sich einlässt -- ansonsten sehe ich schwarz  für die AGB-Kontrolle..."

Ich zitiere mal ein Beispiel aus einer tatsächlich exisitierenden Zusatzvereinbarung eines AMP-Arbeitgebers ("Gewerkschafts"bezeichnungen weggelassen, nur Abk.):

"... wird vereinbart, dass mit Wirkung ab ... die zwischen dem Arbeitgeberverband AMP einerseits und der Tarifgemeinschaft CGZP, der CGM, der DHV, dem BIGD, dem ALEB, der medsonet andererseits abgeschlossenen Tarifverträge (derzeit bestehend aus MTV, MTV für Azubis, ERTV, ETV West und Ost sowie Beschäftigungssicherungs-TV) in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung finden."

So - die CGZP ist nicht tariffähig, und für die anderen Gewerkschaften hat das BAG in seinem Beschluss vom 14.12.2010 Folgendes festgehalten (http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=en&Datum=2010-12&Seite=0&nr=15001&pos=21&anz=54):

Rdnr. 98: "Jedenfalls ist der Organisationsbereich der CGM auf Arbeitnehmer beschränkt, die mit einem in § 1 Abs. 3, § 3 Abs. 1 CGM-Satzung angeführten Unternehmen oder Betrieb ein Leiharbeitsverhältnis begründet haben." (Auszug aus der Satzung: "Der Organisationsbereich erstreckt sich auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und umfasst die Bereiche der metallerzeugenden und -verarbeitenden Industrie, des Metallhandwerks, der Elektroindustrie und der sonstigen Metallbetriebe.")

Rdnr. 99: " Nach § 2 Abs. 1 Unterabs. 2 und 4 der am 12. Juni 2009 in das Vereinsregister eingetragenen Satzung ist die DHV nunmehr auch für Arbeitnehmer zuständig, die in eine Branche oder in Unternehmen überlassen werden, die in § 2 Abs. 1 Unterabs. 2 DHV-Satzung 2009 oder im Anhang zur Satzung aufgeführt sind. Selbst nach dieser Satzungsänderung erstreckt sich der Organisationsbereich der DHV aber allenfalls auf Leiharbeitnehmer für die Dauer ihres Einsatzes in Betrieben des Groß-, Außen- und Einzelhandels, der Warenlogistik, der Finanz- und Versicherungswirtschaft, der gesetzlichen Sozialversicherung sowie in Dienstleistungsbetrieben, die diesen Branchen zugeordnet sind, sowie in den im Anhang 1 genannten Branchen und Unternehmen." (Anhang hier: http://www.dhv-cgb.de/dhv_data/wir/satzung.php - kein Energieversorger dabei)

Rdnr. 100: "Die GÖD ist nur für Leiharbeitsverhältnisse zuständig, die mit öffentlichen Arbeitgebern begründet werden."

Das BAG hat im Beschluss vom 27. 9. 2005 (1 ABR 41/04) festgestellt: "Für die Tarifzuständigkeit einer Gewerkschaft ist ihre Satzung entscheidend." (Rdnr. 41, http://lexetius.com/2005,3398) und eine Ausweitung durch wachsweiche Formulierungen wie in der DHV-Satzung "insbesondere in kaufmännischen und verwaltenden Berufen" ausdrücklich verneint (Beschluss vom 10. 2. 2009 - 1 ABR 36/08, http://lexetius.com/2009,1698). Und was dort in Rdnr. 45 für die DHV formuliert wurde, gilt auch  für alle anderen CGB-Einzelgewerkschaften: eine Ausweitung der Tarifzuständigkeit über den satzungsgemäßen Organisationsbereich hinaus führt zwangläufig zum Verlust der Tariffähigkeit, da die soziale Mächtigkeit nicht mehr gegeben ist (für den Fall, dass die Arbeitnehmervereinigung vorher überhaupt tariffähig war, was bei der DHV keineswegs klar ist).

Und da es mit der CGBCE eine "christliche" Arbeitnehmerverinigung im CGB gibt, die für den Energiesektor satzungsgemäß zuständig ist, spricht nichts dafür, dass eine andere CGB-Vereinigung in ihrer Satzung EVU in ihren Organisationsbereich aufgenommen hat. Damit steht fest: es gab und gibt keinen gültigen AMP-Tarifvertrag für bei Energieversorgern eingesetzte Leiharbeitnehmer wie der Kläger einer ist. 

Die Frage bleibt, wie das LAG D'dorf angesichts dieser Tatsachen zu seinem Urteil gekommen ist ...

Was sagen denn die Herren Blog-Professoren dazu?

Man muss differenzieren:

Schritt 1: Ist ein wirksamer Tarifvertrag zustande gekommen?

Das müsste bei einem mehrgliedrigen Tarifvertrag schon der Fall sein, wenn EINE der beteiligten Einzelgewerkschaften, egal welche, tariffähig ist. Da die Tariffähigkeit der CGM schon gerichtlich festgestellt worden ist, besteht zumindest dieser Vertrag.

Der Vertrag gilt aber unmittelbar nur, wenn der Arbeitgeber Mitglied des AMP ist und der Arbeitnehmer in der CGM ist. Und das wiederum kann wegen der Tarifzuständigkeit der CGBCE eigentlich nicht der Fall sein.

Im Ergebnis haben wir dann einen Tarifvertrag, der mit dem Arbeitsverhältnis noch nichts zu tun hat.

 

Schritt 2: Ist der Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis anwendbar

Auf diesen bestehenden Tarifvertrag kann aber einzelvertraglich verweisen. Dabei ist es egal, ob es um ein Arbeitsverhältnis geht, für das die CGM tarifzuständig wäre. Der Tarifvertrag wird (durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer ohne Zutun der Gewerkschaft) in den Einzelarbeitsvertrag einbezogen.

Genauso können im Arbeitsvertrag die Tarifverträge für Thüringen einbezogen werden, auch wenn der Arbeitsplatz in Flensburg ist. Die Vertragsfreiheit für den Einzelarbeitsvertrag ermöglicht das. Das BAG hat 1965 entschieden, das der Verweis auf einen fremden Tarifvertrag zumindest dann gestattet ist, wenn ein eigener nicht besteht. (Wiedemann, TVG § 3 TVG, RNr. 290)

Die Frage nach der Tarifzuständigkeit, insbesondere ob die Gewerkschaft ihre Zuständigkeit unzulässig aufgeweitet hat, dürfte in so einer Konstellation schon deshalb nicht passen, weil der Gewerkschaft ja die Gültigkeit des Tarifvertrags für dieses Arbeitsverhältnis durch die Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgezwungen wurde.

Solange nicht konkurrierend auch ein Tarifvertrag unmittelbar gilt (was hier nicht der Fall sein wird, s.Punkt 1), bleibt nur die Kontrolle mittels BGB. Dabei stimme ich zu, dass ein Vertragsschluss mit Bezugnahme auf einen Tarifvertrag besonders dann problematisch wird, wenn der Arbeitnehmer den einbezogenen Tarifvertrag gar nicht zur Kenntnis nehmen konnte. Wird der Tarifvertrag als AGB gewertet, dürfte er dann nach 305 II Nr. 2 BGB nicht wirksam in den Vertrag einbezogen sein.

0

I.S. schrieb:
... dass ein Vertragsschluss mit Bezugnahme auf einen Tarifvertrag besonders dann problematisch wird, wenn der Arbeitnehmer den einbezogenen Tarifvertrag gar nicht zur Kenntnis nehmen konnte. Wird der Tarifvertrag als AGB gewertet, dürfte er dann nach 305 II Nr. 2 BGB nicht wirksam in den Vertrag einbezogen sein.

Daher enthalten solche Zusatzvereinbarungen bzw. arbeitsvertragliche Bezugnahmen stets den Passus: "Die jeweils gültigen Fassungen sämtlicher dieser Tarifverträge liegen im Personalbüro des Arbeitgeber aus und können auf Wunsch des Mitarbeiters eingesehen werden." - und schon ist die "AGB-Klippe" umschifft ...

Mein Name schrieb:

Daher enthalten solche Zusatzvereinbarungen bzw. arbeitsvertragliche Bezugnahmen stets den Passus: "Die jeweils gültigen Fassungen sämtlicher dieser Tarifverträge liegen im Personalbüro des Arbeitgeber aus und können auf Wunsch des Mitarbeiters eingesehen werden." - und schon ist die "AGB-Klippe" umschifft ...

Ich kenne den Umfang der entsprechenden Tarifverträge nicht. Aber bei der Nutzung von AGB gegenüber Verbrauchern sind die Anforderungen an die Zumutbarkeit nicht unbedingt klein. Bei einem 20-seitigen Regelwerk, was man nur einsehen, aber nicht in Kopie mitnehmen kann, stellt sich, dann die Frage nach der Möglichkeit der Kenntnisnahme in "zumutbarer Weise".

5

Kommentar hinzufügen