Neues aus Brüssel oder alter Wein in neuen Schläuchen? Auf dem Weg zu einer Richtlinie zu kartellrechtlichen Schadensersatzklagen

von Dr. Rolf Hempel, veröffentlicht am 04.01.2012

Es gibt Neues aus Brüssel zu einem seit Jahren heiß diskutierten Thema – die private Kartellrechtsdurchsetzung. Auf der Internetseite der Europäischen Kommission über Folgenabschätzungen für ihre Gesetzgebungsvorhaben wurde vor kurzem eine "Roadmap" zu dem Thema veröffentlicht. Nach dem Kommissions-Fahrplan  soll es im Juni 2012 einen Gesetzgebungsvorschlag, wohl für eine Richtlinie, geben.

 

Zunächst sei ein Blick zurück in die Vergangenheit geworfen:

 

Erste Überlegung für eine verstärkte Einbeziehung der Marktteilnehmer in die Kartellrechtsdurchsetzung finden sich bereits in dem Weißbuch der Kommission über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Art. 85 und 86 EG-Vertrag aus dem Jahre 1999. In der Folgezeigt veröffentlichte die Kommission im 2005 ein Grünbuch zu Schadensersatzklagen gegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts, in der verschiedene Optionen für eine Förderung von Schadensersatzklagen wegen Kartellrechtsverstößen betrachtet wurden. An das Grünbuch schloss sich im Jahr 2008 ein Weißbuch mit konkreten Vorschlägen an. In einem inoffiziellen Richtlinienentwurf von April 2009 konkretisierte die Kommission ihrem im Weißbuch erläuterten Vorschlägen die Form von Rechtsvorschriften. Ab Juni 2009 kursierte ein weiterer inoffizieller Entwurf eines Vorschlags für eine auf dem Weißbuch aufbauende Richtlinie. Da das Vorhaben umstritten war, wurde die verantwortliche Generaldirektion Wettbewerb der Kommission ausgebremst. Die Richtlinienentwürfe verschwanden wieder in den Schubladen, die sie niemals offiziell verlassen hatten. Anfang des Jahres 2011 führte die Kommission zur Zusammenführung der Aktivitäten verschiedene Generaldirektionen, darunter derer für Wettbewerb (COMP) und für Gesundheit und Verbraucher (SANCO) eine Konsultation zu einem kohärenten europäischen Ansatz beim kollektiven Rechtsschutz ein. Dieser betraf auch die kollektive Geltendmachung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche (vgl. hierzu auch meine früheren Beiträge hier und hier und unsere Stellungnahme). Im Jahr 2011 führte die Europäische Kommission außerdem eine Konsultation zur Schadensberechnung bei kartellrechtlichen Schadensersatzklagen durch (vgl. auch hier).

 

Ausweislich der "Roadmap" nimmt die Kommission jetzt erneut Anlauf, ein Gesetzgebungsvorhaben zur Förderung kartellrechtlicher Schadensersatzklagen anzustoßen. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist, dass nach der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH jedermann, der durch einen Kartellrechtsverstoß einen Schaden erlitten hat, die Möglichkeit haben muss, vom Schädiger Schadensersatz zu verlangen. Die Kommission attestiert den EU-Mitgliedstaaten das Fehlen eines wirksamen rechtlichen Rahmens für die Geltendmachung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche. Dies wirke sich wettbewerbsverzerrend aus. Eine Abhilfe sei nur durch Tätigwerden der EU möglich. Mit dem Gesetzgebungsvorhaben soll den Mitgliedstaaten ein Mindeststandard für kartellrechtliche Schadensersatzklagen vorgeschrieben werden. Dieser beinhaltet nach den Vorstellungen der Kommission

 

  • Regelungen über den Zugang zu Beweismitteln, ohne dass die Kronzeugenprogramme der Kartellbehörden der Mitgliedstaaten beeinträchtigt werden,
  • Regelungen über die bindende Wirkung von kartellbehördlichen Entscheidungen für die Zivilgerichte in dem Punkt der Feststellung eines Kartellrechtsverstoßes,
  • Regelungen über den sog. Schadensweiterwälzungseinwand (passing-on defence),
  • Regelungen über die Klageberechtigung indirekt Geschädigter (also solcher, auf die Schäden weitergewälzt wurden) sowie den kollektiven Rechtsschutz.

 

Die Kommission stellt sich vor, den Mindeststandard durch eine Richtlinie vorzugeben.

 

Der in Aussicht gestellte Richtlinienentwurf darf mit Spannung erwartet werden. Womöglich bietet uns die Kommission nur alten Wein in neuen Schläuchen an. Sie kann zur Umsetzung ihrer "Roadmap" auf die Vorentwürfe aus dem Jahre 2009 zurückgreifen.

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