Unfallflucht: Strafzumessung darf auch Schwere des Unfalls berücksichtigen!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 08.01.2012

Irgendwie weist schon der gesunde Menschenverstand den Weg (was in der Juristerei nicht unbedingt etwas heißen muss): Findet die Unfallflucht bei einem Unfall statt, der schwere Schäden verursacht hat, so ist dies "schlimmer", als bei einem "Fastbagatellschaden":

 

Das Amtsgericht Frankfurt am Main verurteilte den Beschwerdeführer am 3. September 2010 wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Gegen dieses Urteil legten sowohl die Nebenkläger als auch die Staatsanwaltschaft, letztere beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch, Berufung ein. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht das Urteil im Rechtsfolgenausspruch abgeändert und den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von 18 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Die Berufung der Nebenkläger blieb erfolglos.

Gegen dieses Urteil wendet sich nunmehr der Angeklagte mit der Revision, die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützt ist.

Nach den Feststellungen befuhr der Angeklagte am 12. Dezember 2009 mit einem Pkw der Marke Mercedes gegen 20.20 Uhr die R. Landstraße in Frankfurt am Main. Er hielt die dort erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h ein. Im Bereich der Sternbrücke erfasste er den 14jährigen Marc Schäfer, der auf seinem Skateboard stehend unvermittelt auf die Fahrbahn geraten war. Marc Schäfer wurde auf die Frontscheibe des Pkw geschleudert und kam 35 Meter nach der Kollisionsstelle mit schwersten Verletzungen auf der Fahrbahn zum Liegen. Nachdem der Angeklagte sein Fahrzeug verlassen und sich den Verletzten angesehen hatte, fuhr er vom Unfallort davon, ohne seinen Gestellungspflichten zu genügen. Während der Weiterfahrt schaltete er die Beleuchtung seines Fahrzeugs aus. Marc Schäfer erlag seinen Verletzungen knapp zwei Stunden nach dem Unfall im Krankenhaus.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Angeklagte den Unfall hätte vermeiden können. Die Strafverfolgung war gemäß § 154a StPO auf den Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort beschränkt. Zu Ausführungen dazu, ob sich der Angeklagte auch wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar gemacht hat, sah sich das Landgericht daher nicht veranlasst.

Das Rechtsmittel hat aus den Gründen der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft keinen Erfolg.

Ergänzender Erörterung bedarf nur Folgendes:

Das Landgericht durfte dem Angeklagten strafschärfend anlasten, dass M. S. bei dem Unfall schwerste Verletzungen erlitten und der Angeklagte dies erkannt hatte. Die Schwere des Unfalles und seiner Folgen können bei der Strafzumessung zum Nachteil des Täters berücksichtigt werden, da in diesen Fällen das durch § 142 StGB geschützte Interesse der Unfallbeteiligten an der Feststellung des Hergangs und der Sicherung und Erhaltung der Beweise für etwaige zivilrechtliche Ansprüche besonders hoch ist (vgl. Geppert in LK StGB 12. Aufl. § 142 Rn. 234; Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder StGB 28. Aufl. § 142 Rn. 86; König in Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 41. Aufl. § 142 StGB Rn. 65; Kudlich in BeckOK-StGB § 142 Rn. 74). Welche Ansprüche der Beteiligten sich nach Abschluss der Ermittlungen tatsächlich herausstellen, ist dabei von untergeordneter Bedeutung. Die Feststellungspflicht trifft auch einen Verkehrsteilnehmer, der ohne jede eigene Schuld in Verdacht gerät, einen Unfall verursacht zuhaben (BGHSt 12, 253, 255).

Bis zur Neufassung des § 142 StGB aufgrund des 13. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 13. Juni 1975 (BGBl. I 1975 S. 1349) war zudem anerkannt, dass in Fällen wie hier, in denen der Täter erkannte, dass bei dem Unfall ein Mensch schwer oder gar tödlich verletzt worden war, regelmäßig ein besonders schwerer Fall im Sinne des § 142 Abs. 3 StGB a.F. vorlag (vgl. BGHSt 12, 253, 256; 18, 9, 12; BGH VRS 17, 185; 22, 271, 273; 22, 276, 278; 27, 105; 28, 359, 361; 33, 108). Diese Rechtsprechung ist für die Strafzumessung weiterhin von Bedeutung (vgl. Sternberg-Lieben aaO Rn. 87; Kudlich aaO; Burmann in Burmann/Heß/Jahnke/Janker Straßenverkehrsrecht 21. Aufl. § 142 StGB Rn. 38; a.A. Zopfs in MünchKomm-StGB § 142 Rn. 134). Gerade wegen des Wegfalls des § 142 Abs. 3 StGB, der eine Strafdrohung von sechs Monaten bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe vorsah, hielt es der Gesetzgeber für Fälle besonders verwerflicher Handlungsweise und deren sozialethischer Einordnung - wobei nach dem Kontext der Gesetzesmaterialen diejenigen Fälle gemeint sind, in denen der Täter die Verkehrsunfallflucht gegenüber einem schwerverletzten Unfallbeteiligten begeht - für angezeigt, das Höchstmaß der Strafdrohung des § 142 Abs. 1 StGB von zwei auf drei Jahre anzuheben (vgl. BT-Drs. 7/2424 S. 9 unter 6. a.E.; dies übersieht Zopfs aaO, dort Fußn. 534, mit insoweit unzutreffendem Hinweis auf die Gesetzesmaterialien). Danach hat er für diese besonders schwerwiegenden Fälle des unerlaubten Entfernens vom Unfallort bewusst einen Bereich eröffnet, in dem eine etwa zu verhängende Freiheitsstrafe nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann.

 

OLG Frankfurt a. M.: Beschluss vom 22.11.2011 - 3 Ss 356/11    BeckRS 2011, 27341

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

5 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

TF schrieb:
 etwas genauere Analyse
selten so danebengelegen ...

Dass Unterlassene Hilfeleistung gegenüber der Unfallflucht "nicht beträchtlich ins Gewicht falle", ist eine sinnentstellende Verkürzung des §154a und dient dem selbsternannten Ritter nur dazu, seine Verdrehung der Hintergründe zu unternauern (Vermögensschaden angeblich wichtiger als körperlicher Schaden; auch ist Unfallflucht keineswegs ein "Vermögensgefährdungsdelikt" wie behauptet, sondern eines gegen die öffentliche Ordnung - 7. Abschnitt StGB). Die zu erwartende Strafe ist bei §323c eben nur maximal 1 Jahr und dies fällt gegenüber 3 Jahren Höchststrafe eben nicht ins Gewicht - nicht die Tat selbst.

@Mein Name,

dennoch hat Oliver Garcia (de legibus-Blog) nicht Unrecht: Eigentlich wird doch mit der hohen Strafe in diesem Fall nicht der (im Falle eines schweren Unfalls auch höhere) Vermögensschaden bestraft. Der Aufreger, der auch den "gesunden Menschenverstand" entzündet, ist doch, dass der Fahrer sich bei einem schwerstverletzten Opfer heimlich davon gemacht hat, also doch im Kern die Unterlassene Hilfeleistung, die in ihrer Strafdrohung aber eben vergleichsweise gering ausfällt. Insoweit hat § 142 StGB eine Art Ersatzfunktion. Dass § 142 StGB im 7.Abschnitt des StGB falsch einsortiert ist, ist einhellige Meinung. Die öffentliche Ordnung wird nicht geschützt, § 142 StGB ist ein (abstraktes) Vermögensgefährdungsdelikt.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

@Mein Name:

Mal sehen, ob ich mich von den Vorwürfen der Sinnentstellung und Verdrehung reinwaschen kann.

Ich bin im letzten Absatz meiner Entscheidungsbesprechung http://blog.delegibus.com/2011/10/09/fahrerflucht-als-auffangtatbestand-... darauf zu sprechen gekommen, daß die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main von der Strafverfolgung wegen unterlassener Hilfeleistung gemäß § 154a StPO abgesehen hat. Wo liegt hier die sinnentstellende Verkürzung? Falls Sie meinen, daß die Staatsanwaltschaft § 323c StGB nicht hinter § 142 StGB, sondern hinter § 222 StGB "zurücktreten lassen" wollte, dann stellt sich die Frage, warum sie § 323c StGB nicht gemäß § 154a Absatz 3 StPO wieder einbezogen hat, nachdem sich alle Prozeßbeteiligten einig waren, daß eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ausschied.

Ich weiß nicht, ob Sie gesehen haben, daß nicht ich sage, daß "Vermögensschaden wichtiger als körperlicher Schaden" sei, sondern daß ich den Nebenklägern darin beipflichte, daß diese Tendenz im deutschen Strafrecht kritikwürdig ist. Die Pointe in diesem Fall ist nun einmal, daß hier eine ungewöhnlich harte Strafe für ein Vermögensdelikt verhängt wird, die erklärtermaßen einer "hohe menschen- und lebensverachtende Einstellung" (Zitat aus dem Berufungsurteil) gilt. Was die Einordnung von § 142 StGB betrifft, so hat Prof. Müller das erforderliche gesagt.

Wenn die Strafzumessung bei § 142 StGB allein gestützt (nicht etwa nur ergänzt) wird auf Gesichtspunkte, die mit dem geschützten Rechtsgut nicht korrespondieren, dann ist etwas an ihr grundfalsch. Die Begründung, die die Strafkammer gegeben hat, ist selbst nach den Maßstäben, die das OLG Frankfurt für richtig gehalten hat, ein argumentativer Amoklauf. Es fehlt jede Auseinandersetzung mit primär am Schutzweck der Norm ausgerichteten Gesichtspunkten. Es werden stattdessen ausschließlich akzessorische Gesichtspunkte bemüht (§ 46 Abs. 2 StGB). Und auch insoweit verzettelt sich die Strafkammer heillos und schreibt, sie müßte aus irgendwelchen "rechtssystematischen und rechtslogischen" Gründen die Strafe verhängen, die sie verhängt hat. Das ist Strafjustiz auf desolatem Niveau. Es ist erstaunlich - und schmerzlich -, wenn man sich den Kontrast etwa zur Verwaltungsrechtsprechung bewußt macht: Dort werden - in Form von Ermessens- und Abwägungsfehlerlehren - filigrane Gedankengebäude errichtet, wenn es um Baugenehmigungen geht. Wenn es aber um Gefängnisstrafen geht, dann dürfen Strafgerichte fröhlich vor sich hinpfuschen, ohne daß es revisionsrechtlich ins Gewicht fiele.

0

Na ja - zwischen "gesundem Menschenverstand" und besagtem Voksempfinden ist ja doch ein erheblicher Unterschied, mit dem begrifflich m.E. nicht leichtfertig gespielt werden sollte.

Außerdem: Auch für § 142 StGB gilt, dass die Strafzumessung sich nicht nur darin erschöpfen darf, dass die gesetzlichen Merkmale erfüllt sind. Vielmehr gilt bekanntlich § 46 StGB - es bedarf also einer umfassenden Abwägung. Warum da die Ansicht des BGH falsch sein sollte, ist mir nach wie vor nicht klar.

 

Zur Erinnerung:

§ 46
Grundsätze der Strafzumessung

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters,

die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,

das Maß der Pflichtwidrigkeit,

die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,

das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie

sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

Kommentar hinzufügen