Wer schützt die Verfassung vor dem Verfassungsschutz?

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 08.01.2012

frägt mit Blick auf den Skandal um die Thüringer Neonazis der bekannte Journalist Heribert Prantl in seinem ebenso wichtigen wie lesenswerten Beitrag in der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung auf der ersten Seite der Beilage „WOCHENENDE“, den ich leider auf www.sueddeutsche.de bislang nicht gefunden und auf den ich deshalb (noch ?) nicht verlinken kann. Aber vielleicht gelingt mir dies Morgen nach einem Telefonat mit der SZ-Redaktion.

Sein Fazit: Entweder ist der Inlandsgeheimdienst überflüssig, wenn der Verfassungsschutz von den Neonazi-Morden nichts wusste, oder gefährlich, wenn er davon nichts hören oder sehen wollte.

Wenn denn der Verfassungsschutz bis Spätherbst 2011 von den terroristischen Umtrieben der Neonazi-Bande nichts gewusst hat, würde ich noch nicht so weit gehen, ihn als überflüssig abzuschaffen, aber eine dringende Strukturreform und justizielle Kontrolle einfordern; denn in der Geschichte der Bundesrepublik war der Verfassungsschutz bislang nicht da, wo man ihn brauchte – wie Heribert Prantl pointiert beschreibt. War der Verfassungsschutz allerdings informiert, dann ist er tatsächlich gefährlich, weil er dann nicht zum ersten Mal weitgehend unkontrolliert darüber entscheidet, welche Taten der Justiz unterbreitet werden und welche nicht. 

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4 Kommentare

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Der Artikel und die Art und Weise, wie er erschienen ist, wirft ein treffendes Licht auf den Zustand unserer Republik. Eigentlich hätte der Text als Leitartikel in den Haupteil der Süddeutschen Zeitung (SZ) gehört. Er erscheint jedoch (durch einen Titel-Comic noch verharmlost) "nur" in der Wochenendbeilage. Zunächst wollte ich die Beilage schon wegschmeißen, als ich aber den Namen Prantl sah, habe ich den Text zum Glück noch gelesen. Seine Lektüre ist wirklich zu empfehlen aber es ist erbärmlich, wie die SZ ihn in der Printausgabe versteckt und im Internet gar nicht erst verbreitet.

Früher wäre ein solcher Artikel ein echter Aufreger gewesen und hätte als Basis für eine breitere Dikussion über das Verhältnis von Geheimdiensten und Rechtsstaatlichkeit dienen können. Heute ist die Verfassung unserer Gesellschaft schon so weit erschüttert, dass es normal zu sein scheint, dass die Geheimdienste in unserem Staat unkontrolliert machen können, was sie wollen. Wenn man die Debatte in den Medien verfolgt, beschleicht einen der Verdacht, dass die meisten Journalisten kein Interesse haben, hier Licht ins Dunkle zu bringen.

Wenn man z.B. die Prozesse um die Ermordung Siegfried Bubacks betrachtet oder die von Herrn Prantl erwähnten Schmücker-Prozesse, in denen die Geheimdienste wesentliche Akten und Beweisstücke den Gerichten vorenthalten haben, sollten wir Juristen uns fragen, ob der Schutz der Geheimdienste mittlerweile das höchste Gut in unserem Staate ist. Wir sollten uns dann fragen, ob wir als Rechtsanwälte nicht die Pflicht haben, hier deutschlich unsere Stimme zu erheben.

Ich habe bisher nirgendwo aus Anlass des aktuellen Buback-Prozesses ein Engagement der Anwaltvereine zu diesem Thema ausfindig machen können. Selbst der Republikanische Anwaltverein (RAV) schweigt. Dies ist umso befremdlicher, als der RAV nach seiner Selbstdarstellung unter anderem als Reaktion auf die im Rahmen der Terroristenprozesse der 70er Jahre erfolgten massiven Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit gegründet wurde. Dies mag damit zu tun haben, dass einige der Gründer des RAV mit ihren Kanzleien auch heute noch an den Verfahren beteiligt sind. Für das Wohl ihrer Mandanten mag ihr Schweigen opportun sein. Für unseren Rechtsstaat ist es das nicht!

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http://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Urbach

auch sehr lesenswert: wie der Verfassungsschutz die Radikalisierung der linken Szene gefördert hat

die Förderung und Finanzierung von Terroristen durch den Verfassungs"schutz" hat also eine lange Tradition...

Sehr geehrter Herr Sander,

vielen Dank für den Link auf den eingangs angesprochenen Artikel!

Am Montag war der zuständige Mitarbeiter der SZ nicht zu erreichen. Es wurde mir geraten, an ihn eine Mail zu schicken. Das hab ich sofort in die Tat umgesetzt, aber leider (bislang) keine Antwort erhalten.

 

Beste Grüsse

Bernd von Heintschel-Heinegg

 

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