Einzug der Moderne in die Energie-Fusionskontrolle

von Dr. Rolf Hempel, veröffentlicht am 12.01.2012

Seit der Pressemitteilung des Bundeskartellamts vom 09.12.2011 über die Freigabe einer 24 %-igen Beteiligung von RWE an den Stadtwerken Unna (Gesch.-Z.: B 8-91/11) wartete die Branche mit Spannung auf die Veröffentlichung der Freigabeentscheidung (vgl. meine damaligen Anmerkungen). Diese wurde nun am 11.01.2012 auf der Internetseite des Bundeskartellamts veröffentlicht.

Das Bundeskartellamt musste sich in dem Fall insbesondere mit der Frage auseinandersetzen, ob die in der Vergangenheit vertretene Einschätzung weiterhin richtig ist, dass durch den Erwerb von Beteiligungen an Stadtwerken durch die beiden großen sogenannten "Verbundunternehmen" eine marktbeherrschende Stellung dieser auf dem Markt für die Erzeugung und den Erstabsatz von Strom verstärkt wird. In dieser Frage bringt die aktuelle Entscheidung eine Neubewertung. Mit ihr ist auch die Energie-Fusionskontrolle in der Moderne angekommen.

Doch im Einzelnen:

Zusammenschlusstatbestand

Das Bundeskartellamt bejaht zunächst das Vorliegen des Zusammenschlusstatbestands der Erlangung wettbewerblich erheblichen Einflusses nach § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB. Im Einklang mit seiner früheren gerichtlich bestätigten Praxis stellt es auf das Vorliegen von Plusfaktoren ab.

Marktbeherrschende Stellung

In der Frage des Vorliegens einer marktbeherrschenden Stellung knüpft es zunächst an die früher, ebenfalls gerichtlich bestätigte Entscheidungspraxis an, nach der von einem marktbeherrschenden Duopol der Unternehmen RWE und E.ON auf dem Markt für den Erstabsatz von Strom ausgegangen wurde. Das Bundeskartellamt weist darauf hin, dass sich die Marktverhältnisse seither weiterentwickelt hätten. Es geht sodann auf seine bereits in der Sektoruntersuchung Stromerzeugung/Stromhandel vorgenommene Pivotalanalyse zur Feststellung von Einzelmarktbeherrschung auf dem Markt für den Erstabsatz von Strom ein. Maßgeblicher Maßstab für die Feststellung von Marktbeherrschung ist danach, ob ein Unternehmen in einer hinreichenden Zahl von Stunden im Jahr pivotal ist, d.h. mit seinen Erzeugungskapazitäten zur Deckung des Strombedarfs zu einem bestimmten Zeitpunkt unverzichtbar ist. Ob RWE diese Voraussetzung erfüllt, lässt das Bundeskartellamt offen. Das Bundeskartellamt ließ die Frage der Marktbeherrschung insgesamt offen und ging jedenfalls nicht von einer Verstärkung aus.

Keine Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung

Wie das Bundeskartellamt bereits in seiner Pressemitteilung vom 09.12.2011 festgehalten hatte, war das Zusammenschlussvorhaben jedenfalls mangels Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung freizugeben. Ausgehend von der traditionellen Auffassung des deutschen Kartellrechts, dass es für eine Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung nicht auf eine spürbare Verschlechterung der Marktstruktur ankommt, prüft das Bundeskartellamt zunächst die horizontalen Auswirkungen, also insbesondere die Marktanteilsadditionen, die sich auch auf dem Markt für den Erstabsatz von Strom ergeben. Unter Berufung auf seinen aktuellen Entwurf eines Leitfadens zur Marktbeherrschung in der Fusionskontrolle verneinte es jedoch eine Verstärkung eines – für Zwecke der Prüfung einmal unterstellten – fortbestehenden Oligopols der Unternehmen RWE und E.ON auf dem Markt für den Erstabsatz von Strom. In diesem Punkt zeigt sich, dass die modernere Kartellrechtsanwendung, wie sie insbesondere im Entwurf des Leitfadens zur Marktbeherrschung in der Fusionskontrolle Ausdruck gefunden hat, auch in der Energie-Fusionskontrolle angekommen ist.

Traditionell lag der Schwerpunkt der Prüfung in Fällen wie dem vorliegendem bei den vertikalen Auswirkungen, also einer etwaigen Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung durch Absicherung des Absatzes an Abnehmer. In dieser Frage löst sich das Bundeskartellamt von der engen früheren Praxis zugunsten einer moderneren Kartellrechtsanwendung. Im Beschluss werden die klassischen Kriterien "Rücksichtnahme der Mitgesellschafter auf die (Lieferanten-) Interessen des beteiligten Erzeugungsunternehmens", "Informationsvorteil des beteiligten Erzeugungsunternehmens im Hinblick auf Konkurrenzangebote" und "Rückflüsse aus dem Gewinn des Beteiligungsunternehmens" als Ausgangspunkt für die Prüfung genommen. Unter Berufung auf das "beobachtete Marktverhalten" des Zielunternehmens (!) lehnte das Bundeskartellamt ein Vorliegen dieser klassischen Kriterien jedoch ab. Das Zielunternehmen hatte sich beschaffungszeitig eigenständig gezeigt, auf den Minderheitsgesellschafter RWE bei der Strombeschaffung keine Rücksicht genommen, war zu einem aktiven Beschaffungsmanagement mit Aufbau eigener Erzeugungskapazitäten übergegangen, hatte von RWE nur standardisierte Produkte erworben und sich eigenständiges Know-how bei der Beschaffung beschafft. Solche Argumente zählten in der Vergangenheit kaum. Es ist sehr zu begrüßen, dass das Bundeskartellamt insoweit mit seiner Kartellrechtsanwendung in der Realität angekommen ist.

Im Übrigen verdienen die Ausführungen des Bundeskartellamts zur Marktabgrenzung im Gasbereich einer kurzen Erwähnung. Das Bundeskartellamt deutet an, dass es seine bisherige netzbezogene räumliche Marktabgrenzung zugunsten einer marktgebietsbezogenen Marktabgrenzung einer Überprüfung unterzieht. Mit Spannung bleibt abzuwarten, was sich insoweit in der näheren Zukunft ergibt. Für die Praxis von Bedeutung sind weiterhin die Hinweise des Bundeskartellamts dazu, dass die marktbeherrschende Stellung des Zielunternehmens auf den lokalen Märkten für SLP- und RLM-Gaskunden nicht dadurch verstärkt wird, dass RWE über ein bundesweit tätiges Gasvertriebsunternehmen (Eprimo) verfügt. Rechnerisch hätten sich insoweit Marktanteilsadditionen ergeben. Diese Konstellation tritt nicht nur bei den sog. großen "Verbundunternehmen" auf. Im Übrigen ergaben sich auf den relevanten Gasmärkten keine Probleme, insbesondere auch deswegen nicht, weil RWE weder vorgelagerter Gasnetzbetreiber noch Gas-Vorlieferant des Zielunternehmens war.

Die ebenfalls betroffenen Fernwärmemärkte waren Bagatellmärkte.

Fazit

Als Fazit kann man feststellen: Nach Jahren des relativen Stillstands kommt wieder Bewegung in die Energie-Fusionskontrolle.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

1 Kommentar

Kommentare als Feed abonnieren

rhp schrieb:
Das Zielunternehmen hatte sich beschaffungszeitig eigenständig gezeigt, auf den Minderheitsgesellschafter RWE bei der Strombeschaffung keine Rücksicht genommen, war zu einem aktiven Beschaffungsmanagement mit Aufbau eigener Erzeugungskapazitäten übergegangen, hatte von RWE nur standardisierte Produkte erworben und sich eigenständiges Know-how bei der Beschaffung beschafft.
Preisfrage: wie lange wird das wohl so bleiben?

RWE kann jetzt mühelos die Angebote konkurrierender Lieferanten einsehen und die eigene Kalkulation so "anpassen", dass dieser Energiedinosaurier und Abgeordnetenfinanzier zum Zuge kommen wird. Bezahlen werden es wie immer am Ende die Kunden.

Quote:
Es ist sehr zu begrüßen, dass das Bundeskartellamt insoweit mit seiner Kartellrechtsanwendung in der Realität angekommen ist.
die da lautet: eine Zerschlagung des für die Verbraucher milliardenteuren Oligopols ist politisch nicht durchsetzbar und auch nicht gewollt - es stehen ja dicke Parteispenden auf dem Spiel...

Quote:
Als Fazit kann man feststellen: Nach Jahren des relativen Stillstands kommt wieder Bewegung in die Energie-Fusionskontrolle.
korrekt: es geht bergab

Jeder sollte für sich den Energielieferanten aussuchen, der einen Energiemix anbietet, der auch den nachfolgenden Generationen gegenüber verantwortbar ist - und vor allem: der nicht mit einem der großen Vier wirtschaftlich verbandelt ist oder gar ein simples Tochterunternehmen.

Somit stehen noch vier Anbieter zur Wahl ...

Kommentar hinzufügen