BAG: Keine Überprüfung einer Probezeitkündigung nach Unionsrecht

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 17.01.2012

 

Seit kurzem liegen die Entscheidungsgründe des BAG (Beschluss vom 8.12.2011, 6 AZN 1371/11) in einem Kündigungsrechtsstreit vor, in dem sich der Kläger u.a. auf die mit dem Vertrag von Lissabon verbindlich gewordene Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) berufen hatte. In welchen Fallkonstellationen und unter welchen Voraussetzungen die Grundrechtscharta Bedeutung im Arbeitsrecht gewinnt, ist noch offen. Aussagen des BAG zu dieser Problematik sind daher besonders bedeutsam. Im konkreten Fall ging es um eine Probezeitkündigung, also um eine Kündigung in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses, in denen das Kündigungsschutzgesetz noch keine Anwendung findet. Dem Arbeitnehmer war gekündigt worden nachdem er in der Probezeit einen vom Arbeitgeber offenbar zu verantwortenden Arbeitsunfall erlitten hatte. Die Instanzgerichte hatten entschieden, dass die Kündigung rechtmäßig sei, da kein Verstoß gegen § 138 BGB oder § 242 BGB vorliege. Die Revision war nicht zugelassen worden. Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde rügte der Kläger, das LAG hätte die Sittenwidrigkeit bzw. Treuwidrigkeit der Kündigung nicht ohne vorherige Vorlage an den EuGH nach Art. 267 AEUV verneinen dürfen. Hierzu berief er sich u.a. auf Art. 30 GRC, der wie folgt lautet: „Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten Anspruch auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung.“ Das BAG wies die Nichtzulassungsbeschwerde ab und führte aus, der Kläger verkenne, dass die Fragen der Sittenwidrigkeit im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB und der Treuwidrigkeit im Sinne von § 242 BGB nicht den für ein Vorabentscheidungsersuchen erforderlichen Bezug zu einem durch Unionsrecht geregelten Sachverhalt aufweisen. Nur wenn ein konkreter Anhaltspunkt dafür vorliege, dass der Gegenstand des Rechtsstreits eine Anknüpfung an das Unionsrecht aufweist, komme ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV in Betracht. Unterfalle ein Sachverhalt nicht dem Unionsrecht und gehe es auch nicht um die Anwendung nationaler Regelungen, mit denen Unionsrecht durchgeführt wird, sei der EuGH nicht zuständig. Die Zuständigkeit des Gerichtshofs beschränke sich auf die Prüfung der Bestimmungen des Unionsrechts. Wörtlich heißt es sodann:

„Im Vergleich zu den Grundrechten des Grundgesetzes fehlt der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12. Dezember 2007 (GRC) ein solcher umfassender und damit auch tendenziell expansiver Charakter. Die Charta gilt nach ihrem Art. 51 Abs. 1 `für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union´. Nach Art. 6 Abs. 1 EUV, der ihr verbindlichen Charakter verleiht, und nach der Erklärung der GRC im Anhang zur Schlussakte der Regierungskonferenz, die den Vertrag von Lissabon angenommen hat, begründet die GRC keine neuen Zuständigkeiten für die Union und ändert deren Zuständigkeiten nicht. Art. 51 Abs. 2 GRC, wonach die GRC den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die Zuständigkeiten der Union hinaus ausdehnt und weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Union begründet noch die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben ändert, stellt dies nochmals klar. Art. 30 GRC, wonach jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten Anspruch auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung hat, ändert somit nichts daran, dass nach dem gegenwärtigen Stand des Unionsrechts die §§ 138, 242 BGB keine Durchführung einer europäischen Richtlinie darstellen und auch keine sonstigen Anknüpfungspunkte an das Unionsrecht aufweisen.“

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