Aus gegebenem Anlass: Schadensersatz nach Dachlawine

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 23.01.2012

Zum Thema Dachlawine gab es bereits in der Vergangenheit Blogbeiträge. Aufgrund eines Hinweises in einem etwas zurückliegenden Beitrag im Fachdienst Straßenverkehrsrecht FD-StrVR 2011, 322479 bin ich aufmerksam geworden auf LG Bielefeld: Urteil vom 11.03.2011 - 8 O 310/10 = BeckRS 2011, 21935. Eine Dachlawine war auf ein vorbeifahrendes Auto gestürzt:

 

Der Kläger hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Ersatz seiner materiellen Schäden von insgesamt 5.181,02 € zuzüglich außergerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 546,69 wegen schuldhafter Verletzung von Verkehrssicherungspflichten aus §§ 823 I, 249, 421 BGB.

1. Der geltend gemachte Anspruch lässt sich allerdings nicht daraus herleiten, dass die Beklagten an ihrem Haus keine Schneefanggitter angebracht haben. Die Ortssatzung der Stadt C. sieht das Anbringen von Schneefanggittern nicht vor. Soweit dann bei der Beurteilung der Erforderlichkeit von Schneefanggittern oder sonstigen Schutzmaßnahmen auf die örtlichen Gegebenheiten abzustellen ist, liegt ein Pflichtverstoß der Beklagten deshalb nicht vor, weil das Anbringen von Schneefanggittern in C., wovon auch die Parteien übereinstimmend ausgehen, nicht üblich ist (vgl. zum Anbringen von Schneefanggittern z. B. die Entscheidung des Thüringer Oberlandesgerichts vom 18.06.2008, 2 U 202/08, zitiert nach Juris).

2. Eine Haftung der Beklagten folgt jedoch daraus, dass sie aufgrund der außergewöhnlichen Wetterverhältnisse im Januar 2010 die gebotenen Sicherungsmaßnahmen zum Schutz vor Dachlawinen schuldhaft nicht ergriffen haben.

Im Rahmen der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht kann ein Hauseigentümer grundsätzlich nur dann aus einem Unterlassen in Anspruch genommen werden, wenn er eine Rechtspflicht hatte, Vorkehrungen zu treffen, um einen durch Schneesturz entstehenden Schaden abzuwenden. Dabei ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass es zunächst Aufgabe eines jeden selbst ist, sich vor solchen Gefahren zu schützen. Eine Rechtspflicht zur Ergreifung von besonderen Sicherungsmaßnahmen kann dagegen nur beim Vorliegen besonderer Umstände verlangt werden. Solche können nach der allgemeinen Schneelage des Ortes, der Beschaffenheit und Lage des Gebäudes, den konkreten Schneeverhältnissen und der Art und des Umfangs des gefährdeten Verkehrs gegeben sein (vgl. dazu Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 18.06.2008, 2 U 202/08; OLG Hamm, Urteil vom 23.07.2003, 13 U 49/03; jeweils zitiert nach Juris).

Gemessen an diesen Grundsätzen bestand für die Beklagten eine Verkehrssicherungspflicht dahingehend, dafür Sorge zu tragen, dass von den auf dem Dach ihres Hauses liegenden Schneemassen keine Gefahren für Personen und/oder Sachen ausgingen.

Die Wetterverhältnisse waren bereits Tage vor dem Unfallereignis aufgrund des erhöhten Schneefalles außergewöhnlich. Schnee war in großen Mengen gefallen, der auf den Dächern liegen blieb, aufgrund wechselnder Temperaturen antaute, nachfolgend wieder festfror und die Gefahr des Abrutschens in den Verkehrsraum bot. Die ungewöhnliche Wetterlage war - insoweit unstreitig - Gegenstand einer umfangreichen Berichterstattung in den Medien.

Neben der außergewöhnlichen Wetterlage begründete auch die örtliche Lage des Hauses der Beklagten eine erhöhte Gefahrensituation. Die S.-Straße ist gerichtsbekannt eine Durchgangsstraße mit erhöhtem Verkehrsaufkommen und zentraler Verkehrsbedeutung für C. Das Haus S.-Straße ... wird von der einspurigen Fahrbahn, auf der ein Radweg verläuft, nur durch einen Fußweg getrennt. Ein Vorgarten ist nicht vorhanden, Parkbuchten befinden sich dort nicht. Das Dach ist zur Straße geneigt, so dass vom Dach herabfallende Schnee- und Eismassen eine erhebliche Gefahr für den öffentlichen Verkehrsraum bilden.

Angesichts der außergewöhnlichen Wetterlage einerseits und der besonderen Gefahrensituation andererseits hätten die Beklagten dafür Sorge tragen müssen, dass Schnee und Eis vom Dach ihres Hauses nicht zu Personen- und/oder Sachschäden für die Teilnehmer am Straßenverkehr führen konnten. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass für die Teilnehmer des „fließenden Verkehrs“ auf der S.-Straße keine Möglichkeit bestand, sich vor möglicherweise vom Hausdach herabstürzenden Schnee- und/oder Eismassen zu schützen. Die Risikoverteilung zwischen den Beklagten als sicherungspflichtigen Hauseigentümern und dem Kläger als der gefährdeten Person führt unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Streitfalls auch dazu, dass den Beklagten die Beseitigung der Gefahr zumutbar war. Die Räumung eines Hausdaches von Schnee und Eis ist zwar selbst mit erheblichem Aufwand und möglicherweise auch Gefahren verbunden. Angesichts der baulichen Ausgestaltung des Hauses mag eine Befreiung des Daches von Schnee und Eis auch nicht ohne weiteres durch die Eigentümer selbst möglich gewesen. Soweit die Beklagten deswegen Fachleute hätten einschalten müssen (vgl. dazu Oberlandesgericht, Urteil vom 18.06.2008, 2 U 202/08, zitiert nach juris), war dies im Hinblick auf die vom Hausdach der Beklagten ausgehende Gefahr, die bei ihrer Verwirklichung bei den Teilnehmern des fließenden Verkehrs zu schwerwiegenden Personenschäden und (den Aufwand für die Beseitigung der Gefahr weit übersteigenden) erheblichen Sachschäden führen konnte, geboten und erforderlich.

Die Gefährdung anderer war vorhersehbar, die Verwirklichung der Gefahr durch vom Hausdach abrutschende Schnee-/Eismassen war vermeidbar.

Der Umstand, dass die Beklagten nicht ortsansässig sind, kann sie nicht entlasten. Die außergewöhnliche Wetterlage war in weiten Teilen Deutschlands gegeben, so dass schon deshalb erwartet werden konnte und musste, dass sich die Beklagten nach möglicherweise erforderlichen Schutzmaßnahmen erkundigten.

3. Unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen im Termin am 18.02.2011 und des Ergebnisses der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ursächlich für die Beschädigung des im Eigentum des Klägers stehenden Fahrzeugs ist.

 

 

Ach so: Im aktuellen DAR-Heft 1/2012 findet sich eine Rechtsprechungsübersicht hierzu...

 

 

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2 Kommentare

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Einigermaßen lebensfremd und man fragt sich, ob der erkennende Richter sein Dach stets auf Schneemassen prüft, bevor er zum Gericht schlurft. Die Wahrscheinlichkeit, von einer Dachlawine geschädigt zu werden, ist so gering, daß dies eher in die Kategorie "Sh.. happens" fällt. Mit der gleichen Argumentation könnte man dem Geschädigten nach § 254 BGB eine Mitschuld zuweisen, weil er trotz der angeblich bekannten widrigen Witterungsverhältnisse unter Dächern mit Schneemassen hergefahren ist, statt sich vorher zu versichern, daß die Dächer auch geräumt sind.

 

Ähnlich lebensfremd ist die Rechtsprechung zur Räum- und Streupflicht. Die h.M. verlangt, daß stets zeitnah nach dem Ende des Schneefalls geräumt werden müsse, manche Gerichte meinen sogar: während des Schneefalls. Sei man nicht zu Hause, müsse man jemanden beauftragen, der das erledigt, anderenfalls hafte man für Schäden, die durch glättebedingte Unfälle auf den Bürgersteigen oder sogar auf dem eigenen Grundstück passieren.

 

In unserer Wohnstraße arbeiten sämtliche Nachbarn, sowohl Ehefrauen wie Ehemännen. Die Kinder sind in der Schule. Sämtliche Nachbarn arbeiten in 10-20 km Entfernung. Ob und wann und wie es zu Hause schneit, während man auf der Arbeit ist, bekommt also niemand mit. Geräumt wird morgens, bevor alle aus dem Haus gehen und nachmittags, wenn alle wieder nach Hause kommen. Die 8 bis 10 Stunden dazwischen kann bei verständiger Würdigung nicht geräumt werden. Es erscheint unzumutbar, daß jeder Nachbar einen privaten Räumdienst beauftragt, der bei einsetzendem Schneefall sofort in die Straße eilt, um sämtliche Bürgersteige und Grundstücke zu räumen. So will es aber die Rechtsprechung.

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