EuGH: Einbeziehung des Luftverkehrs in den Emissionshandel

von Dr. Ludger Giesberts, LL.M., veröffentlicht am 10.02.2012

 

Auch Fluggesellschaften mit Sitz außerhalb der EU sind seit dem 1.1.2012 verpflichtet, für Flüge in die oder aus der EU Zertifikate für die von ihnen ausgestoßenen Emissionen nachzuweisen. Dies ist die Konsequenz des Urteils des EuGH vom 21.12.2011 in der Rechtssache Rs. C-366/10.

Die American Air Transport Association hatte (zusammen mit anderen Parteien) vor dem High Court of Justice of England and Wales gegen die Einbeziehung des Luftverkehrs in das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der EU, die mit der Richtlinie 2008/101/EG beschlossen wurde, geklagt. Die Richtlinie sieht vor, dass auch Luftverkehrsunternehmen aus Drittländern für ihre Flüge mit Abflug von oder Ankunft auf europäischen Flughäfen Emissionszertifikate erwerben und abgeben müssen. Die Kläger stellten sich auf den Standpunkt, dass diese Ausdehnung auf Luftverkehrsunternehmen aus Drittsaaten gegen Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts, sowie gegen das Chicagoer Abkommen, das Kyoto-Protokoll und das Open Skies-Abkommen verstoße. In seinem Vorabentscheidungsverfahren stellt der EuGH fest, dass die Richtlinie nicht gegen geltendes Völkerrecht verstößt.

Zunächst verneint der Gerichtshof eine Bindung der Europäischen Union an das Chicagoer Abkommen. Dies wird schlicht damit begründet, dass die Union nicht Vertragspartei dieses völkerrechtlichen Vertrages sei. Auch gegen die im Kyoto-Protokoll vorgesehene Verpflichtung, die Bemühungen um eine Begrenzung oder Reduktion der Emissionen aus dem Luftverkehr im Rahmen der ICAO fortzusetzen, erkennt der EuGH keinen Verstoß. Zwar anerkennt der EuGH die grundsätzliche Bindung der EU an das Kyoto-Protokoll, allerdings seien die genannten Pflichten nicht unbedingt und nicht hinreichend genau, um im vorliegenden Verfahren geltend gemacht werden zu können.

Auch einen Verstoß gegen das Open Skies-Abkommen zwischen der EU und den USA verneint der Gerichtshof. Diesbezüglich rügten die Kläger, es handele sich bei der Einbeziehung des Luftverkehrs in den Emissionshandel um eine Gebühr oder eine Abgabe auf Treibstoff. Diese sind nach dem Open Skies-Abkommen untersagt. Der Gerichtshof stellt sich jedoch auf den Standpunkt, dass das Emissionshandelssystem keinen hinreichenden Zusammenhang zwischen der getankten oder verbrauchten Treibstoffmenge aufweist, wie sie für Gebühren oder Abgaben typisch ist. Vielmehr hingen die Kosten, die das Luftverkehrsunternehmen zu tragen habe, von der Menge der ihnen ursprünglich zugeteilten Zertifikate und deren Marktpreis ab. Auch eine vom Open Skies-Abkommen verbotene Diskriminierung liege nach Ansicht des EuGH nicht vor, da alle Airlines von den Maßnahmen betroffen seien.

Auch die relevanten völkergewohnheitsrechtlichen Maßgaben sieht der EuGH nicht als verletzt an. Er stellt zunächst fest, dass die Richtlinie keine Anwendung auf Flugzeuge auf hoher See bei bloßem Überflug finde, sondern nur, soweit sich die Flugzeuge auch physisch im Hoheitsgebiet eines EU-Mitgliedstaats befinden. Damit sei sowohl ein Verstoß gegen den Grundsatz der Territorialität, als auch gegen den Grundsatz der Souveränität der Drittstaaten, und den Grundsatz des freien Flugs über die hohe See ausgeschlossen.

Diese Auslegung stößt auf rechtliche Bedenken. Bei der Berechnung der Emissionen wird nämlich nicht nur die Teilstrecke über dem Hoheitsgebiet der EU-Mitgliedstaaten, sondern auch die Strecken im Luftraum über Drittstaaten und über der hohen See mit eingerechnet. Dass als Anknüpfungspunkt für eine solche Ausdehnung der Zertifizierungspflicht bereits der Abflug aus oder die Ankunft in einem Mitgliedsstaat ausreichen soll, erscheint jedenfalls zweifelhaft. Die Begründung des EuGH, dass die Union bei ihrer Umweltschutzpolitik auf ein hohes Schutzniveau abzielt, vermag diese völkerrechtlichen Fragestellungen nur unzureichend zu beantworten.

Aus juristischer Sicht bleibt insbesondere die Frage interessant, ob die Richtlinie und die auf der Richtlinie beruhenden Umsetzungsmaßnahmen,  mit dem Chicagoer Abkommen in Einklang stehen. Diese Frage konnte der EuGH nicht beantworten, weil er die EU nicht an das Abkommen gebunden sieht. Das Chicagoer Abkommen ist demnach also nicht Bestandteil des Unionsrechts und somit auch kein tauglicher Prüfungsmaßstab für den EuGH. Auf nationaler Ebene hingegen bleibt ein entsprechender Normenkonflikt bestehen, weil das Chicagoer Abkommen durch die entsprechenden Zustimmungsgesetze Bestandteil nationalen Rechts ist und somit einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden kann. Es scheint nicht unwahrscheinlich, dass deswegen auch ein Schiedsverfahren im Rahmen der ICAO, wie es im Chicagoer Abkommen vorgesehen ist, eingeleitet werden wird.

Auch wenn die Luftfahrtbranche gut auf die Einbeziehung in den Emissionshandel vorbereitet zu sein scheint, hat das Urteil erhebliche politische und wirtschaftliche Konsequenzen. Es herrscht ein massiver politischer Widerstand gegen diesen europäischen Alleingang. Dementsprechend drohen nicht nur die USA, sondern auch China, Indien, Brasilien oder Russland mit Gegenmaßnahmen, um die EU zurück an den Verhandlungstisch zu bewegen. So steht beispielsweise die Stornierung von Aufträgen an Airbus oder gar die Streichung von Flugrechten für europäische Airlines im Raum. Die europäische Luftfahrtindustrie fürchtet diese Gegenmaßnahmen ebenso wie die Möglichkeit, dass sich einzelne Konkurrenten aus Drittstaaten letztlich doch dem Emissionshandel entziehen könnten. Sie anerkennt zwar die Notwendigkeit, auch den Luftverkehr in den Emissionshandel einzubeziehen, verwehrt sich allerdings gegen die aktuelle Lösung, weil sie nicht wettbewerbsneutral sei. Die politischen Kontroversen drohen also letztlich auf dem Rücken der Airlines ausgetragen zu werden, die sich derzeit ohnehin in einem schwierigen Umfeld bewegen. Negative Auswirkungen auf die Passagiere dürften die logische Konsequenz aus dieser Entwicklung sein. Auch wenn eine globale Lösung mit größeren diplomatischen Anstrengungen verbunden ist, stellt sie die einzige Möglichkeit dar, ein level playing field im Emissionshandel für den Luftverkehr herzustellen. Auch wenn, - wie der EuGH behauptet - die Verpflichtung aus Art. 2 Abs. 2 des Kyoto-Protokolls, die Bemühungen um eine Begrenzung oder Reduktion der Emissionen aus dem Luftverkehr im Rahmen der ICAO fortzusetzen, nicht zur Unwirksamkeit der Richtlinie 2008/101/EG führt, wäre die EU gut beraten, dieser Verpflichtung nachzukommen. Anzeichen für eine konstruktive Gesprächsbereitschaft seitens der EU sind aber derzeit nicht auszumachen und angesichts des Urteils des EuGH noch unwahrscheinlicher geworden. Die aktuelle Kontroverse zeigt jedoch, dass nationale oder regionale Alleingänge einem effektiven Klimaschutz ebenso abträglich sind wie dem Ziel, ausgewogene Wettbewerbsbedingungen in weltweiten Märkten zu schaffen.

 

Rechtsanwalt Dr. Ludger Giesberts, LL.M. (LSE)

 

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Gegen welchen Punkt des Chicagoer Abkommens (http://www.admin.ch/ch/d/sr/i7/0.748.0.de.pdf) soll denn die EU-Richtlinie bzw. deren Durchsetzung durch die Mitgliedsstaaten verstoßen? Und gegen welchen des Open-Skies-Abkommen (das von den USA sowieso seit Jahren nicht eingehalten wird)?

Ihren beinahe schon naiven Wunsch nach globaler Regelung in allen Ehren - aber nennen Sie doch mal bitte nur ein Beispiel, wo eine kurzfristig teure, langfristig aber auch wirtschaftlich sinnvolle Selbstbeschränkung bzw. Regelung im privatwirtschaftlichen Sektor auf Anhieb weltweit eingeführt werden konnte.

Es handelt sich hier eindeutig und ganz unjuristisch um ein ökonomisches rat race: der Billigste gewinnt kurzfristig, und der kann Zusatzkosten egal woher nicht gebrauchen und klagt notfalls dagegen - oder investiert in Lobbyarbeit, um "seine" Regierung zu wunschgemäßem Verhalten zu bewegen (wie das geht, sieht man nicht zuletzt an einem Bauherrn aus Großburgwedel). Wenn also nachhaltig sinnvolle (nicht nur ökologisch, auch ökonomisch kalkuliert) Abgaben durchsetzbar sind, dann nur im Alleingang einer Region, die auch für Fluglinien von außerhalb so attraktiv ist, dass sie sich diesem "Diktat" beugen müssen (die seltsame Berechnungsgrundlage kann ja korrigiert werden). Nur wirtschaftliche Macht kann nämlich Regelungen international auch wirksam durchsetzen (und militärische, aber die steht hier ja nicht zur Debatte). Was internationale Verträge ohne Exekutive wert sind, zeigt sich ja gerade an den sich reihenweise aus dem Kyoto-Protokoll verabschiedenden Industrienationen wie Kanada u.a.

Wenn es einzelnen Flughäfen gestattet ist, Flugzeugen mit einer bestimmten Lautstärke höhere Gebühren abzuverlangen oder die Landung ganz zu verweigern, kann es schlechterdings den Staaten nicht verwehrt bleiben, ihre Luft sauber zu halten (und die schwimmenden Sondermüllverbrennungsanlagen, die ohne Partikelfilter "Schweröl" statt Diesel verheizen, sollten als nächstes dran sein) . Wenn dadurch das Fliegen weniger wird oder teurer, dann ist das genau im Sinne der Nachhaltigkeit, die sonst nur in Sonntagsreden auftaucht. Es gibt nämlich kein Grundrecht auf Flüge für 29, 59 oder 99 Euro - aber eine Verpflichtung zum Erhalt der Lebensgrundlagen.

Und wenn Sie von "ausgewogenen Wettbewerbsbedingungen in weltweiten Märkten" träumen, empfehle ich Ihnen, mal Ihren Elfenbeinturm zu verlassen und sich mit dem Geschäftsführer eines weltweit exportierenden Unternehmens zu unterhalten. Was der trotz GATT und WTO in der praktischen Durchführung international einheitlicher Bestimmungen erlebt, hat mit dem schönen Vertragspapier wenig bis gar nichts zu tun.

Fazit: international einheitliche Regelungen freuen vielleicht den Juristentheoretiker - sie sind aber wertlos, wenn sich keiner daran hält oder jeder die Bestimmungen so auslegt, wie es ihm gerade passt. Eine bessere Welt schafft man eher, indem man als Vorbild andere zu ihrem Glück zwingt.

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