Neues zur Frage nach der Schwerbehinderung

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 21.02.2012

Ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nach einer bestehenden Schwerbehinderung fragen darf, ist seit längerer Zeit umstritten. Das BAG hat die Frage im Einstellungsgespräch zuletzt 1995 für zulässig erachtet (BAG, Urt. vom 05.10.1995 - 2 AZR 923/94, NZA 1996, 371). Das ist schon damals auf Kritik gestoßen (Bachmann ZfA 2003, 43 [66]; Düwell BB 2001, 1527 [1529 f.]; Joussen NJW 2003, 2857 [2860]; Pahlen RdA 2001, 143 ff.). Spätestens seit dem Inkrafttreten des AGG 2006, das die Benachteiligung wegen einer Behinderung verbietet, nimmt die h.L. an, dass die Frage unzulässig sei. Das BAG hat zuletzt offen gelassen, ob es an seiner Linie festhält (BAG, Urt. vom 07.07.2011 - 2 AZR 396/10, NZA 2012, 34).

Auch ein in der vergangenen Woche verhandelter Fall bot dem Gericht erneut keine Gelegenheit, zu entscheiden, ob die Frage nach der Schwerbehinderung vor Abschluss des Arbeitsvertrages zulässig ist:

Der mit einem GdB von 60 schwerbehinderte Kläger stand seit 2007 in einem bis zum 31.10.2009 befristeten Arbeitsverhältnis. Am 08.01.2009 wurde der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der Arbeitgeberin bestellt. Während des Insolvenzeröffnungsverfahrens erbat der Beklagte in einem Fragebogen zur Vervollständigung bzw. Überprüfung der ihm vorliegenden Daten u.a. Angaben zum Vorliegen einer Schwerbehinderung, die der Kläger verneinte. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens kündigte der Beklagte als Insolvenzverwalter dem Kläger zum 30.06.2009. Der Kläger hält die Kündigung unwirksam, weil das Integrationsamt ihr nicht zugestimmt habe.

Das BAG hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Der Kläger habe gegen das aus § 242 BGB resultierende Verbot widersprüchlichen Verhaltens verstoßen, indem er die Frage nach der Schwerbehinderung im Vorfeld der Kündigung verneint, sich dann aber in der Klageschrift auf sie berufen habe. Die Frage nach der Schwerbehinderung im bestehenden Arbeitsverhältnis, hier konkret: im Vorfeld einer vom Arbeitgeber beabsichtigten Kündigung, sei zulässig. Sie stehe im Zusammenhang mit der Pflichtenbindung des Arbeitgebers durch die Anforderungen des § 1 Abs. 3 KSchG, der die Berücksichtigung der Schwerbehinderung bei der Sozialauswahl verlangt, sowie durch den Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX, wonach eine Kündigung der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf. Sie soll es dem Arbeitgeber ermöglichen, sich rechtstreu zu verhalten. Die Frage diskriminiere behinderte Arbeitnehmer nicht gegenüber solchen ohne Behinderung. Auch datenschutzrechtliche Belange stünden der Zulässigkeit der Frage nicht entgegen (BAG, Urt. vom 16.02.2012 - 6 AZR 553/10).

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