Wie weit geht die Freiheit des Marktbeherrschers?

von Dr. Rolf Hempel, veröffentlicht am 29.02.2012

Erst unlängst hatte der Bundesgerichtshof wieder Gelegenheit, sich mit der Frage zu befassen, wie frei ein marktbeherrschendes Unternehmen bei seinem Wettbewerbsverhalten (noch) sein darf und wie weit die ihm durch das deutsche Kartellrecht aufgebürdete "Marktverantwortung" geht. Der am 31.01.2012 verkündeten und am 28.02.2012 auf der Internetseite des Bundesgerichtshofs veröffentlichten Entscheidung (KZR 65/10) lag - ganz verkürzt - folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin war eine Werbeagentur, die Werbetexte auch in Publikationen wie "Das Örtliche" platzierte. Die Beklagte verlegte "Das Örtliche" und ähnliche Publikationen. Die Beklagte stellte ab 2003 ihr Vertriebssystem um und wollte die Zusammenarbeit mit der Klägerin zurückfahren und beenden. Die Klägerin klagte auf Aushändigung der Agenturpreislisten zum Zeitpunkt des Anzeigenvertriebs. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen; das Berufungsgericht der Klage stattgegeben. Der BGH hob die Entscheidung des OLG auf.

Bei seiner Begründung bestätigte der Bundesgerichtshof den ein oder anderen bekannten "Lehrsatz" des deutschen Kartellrechts:

  1. Das deutsche Kartellrecht gebietet dem marktbeherrschenden Unternehmen grundsätzlich keine Gleichbehandlung von intern und extern. Will heißen: Marktbeherrschende Unternehmen dürfen eigene Konzernunternehmen bevorzugen. Oder in den Worten des BGH: Die (beherrschte) Tochtergesellschaft der Klägerin bildet mit dieser eine wirtschaftliche Einheit. Sie kann deswegen gegenüber der Klägerin nicht als gleichartiges Unternehmen angesehen werden. Das gleiche gilt für "echte" Handelsvertreter als in die Betriebsorganisation ihres Prinzipals eingegliederte Hilfsorgane.
  2. Auch marktbeherrschende Unternehmen dürfen ihr Vertriebssystem umstellen und auf den Eigenvertrieb übergehen. Tun sie dies, ohne den bisher für sie tätigen unabhängigen Absatzmittlern eine angemessene Umstellungsfrist zu gewähren, so verstoßen sie gegen das Behinderungsverbot (§ 20 Abs. 1 GWB).
  3. Im Einzelfall setzt sich das Interesse des Geschäftspartners an dem Fortbestehen der Geschäftsbeziehung gegen die Vertriebsgestaltungsfreiheit des marktbeherrschenden Unternehmens in der nach § 20 Abs. 1 GWB gebotenen Interessenabwägung durch. Das ist z. B. der Fall, wenn der vom marktbeherrschenden Unternehmen geplante Übergang zum Eigenvertrieb auf eine Monopolisierung eines nachgelagerten Marktes hinausläuft, auf dem der Geschäftspartner bisher aufgrund eigener erheblicher Wertschöpfung ein eigenes Leistungsergebnis anbietet, für das er die vom marktbeherrschenden Unternehmen bezogene Ware oder Dienstleistung braucht. Der Klassiker hierfür sind die Ersatzteilfälle.

Im hier behandelten Fall konnte der BGH keine abschließende Entscheidung treffen, da hierfür noch weitere Tatsachenfeststellungen erforderlich waren.

Der Fall zeigt anschaulich, dass marktbeherrschenden Unternehmen durch das Kartellrecht eine besondere Marktverantwortung auferlegt wird. Für die Fälle der Marktbeherrschung mag man dies noch nachvollziehen können. Schwieriger ist dies bei der im Gesetz vorgesehenen Erstreckung der für marktbeherrschende Unternehmen geltenden Verbote auf marktstarke Unternehmen (§ 20 Abs. 2 GWB). In den USA schüttelt man über solche Normen den Kopf und fragt sich, was das noch mit Kartellrecht zu tun haben soll.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

1 Kommentar

Kommentare als Feed abonnieren

rhp schrieb:
 In den USA schüttelt man über solche Normen den Kopf und fragt sich, was das noch mit Kartellrecht zu tun haben soll.

Reden Sie von den USA, die marktbeherrschende Unternehmen wie Standard Oil zerschlagen haben? Die mit der FCC eine Regulierungsbehörde mit Preisfestsetzung im Telekommunikationmarkt hatten, zwei Jahrzehnte früher als in Deutschland? Und die marktbeherrschende AT&T zwang, ihre die Netzinfrastruktur betreibenden Tochtergesellschaften zu verkaufen (wohingegen in Deutschland immer noch der Rosa Riese über den Zugang zum Kunden auch für Konkurrenten herrscht)?

Könnte es vielleicht sein, dass man in den USA viel eher über die deutsche Verfilzung der (Kommunal- und anderen) Politiker mit den Energieversorgern und -konzernen mit der Folge jahrelanger Preissteigerungen und gleichzeitiger Rekordgewinne den Kopf schüttelt? 

Kommentar hinzufügen