Gewalt in der Erziehung auf dem Rückzug (lt. Forsa-Studie)

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 12.03.2012

Heute wurde eine Forsa-Studie, in Auftrag gegeben von der Zeitschrift Eltern veröffentlicht.

Auf Spiegel-Online ("Fast die Hälfte der Eltern schlägt ihre Kinder"),  Stern-Online ("Haue und Ohrfeigen: Die Hälfte der Eltern schlägt zu"), Welt-Online ("Erschreckende Studie: Die Hälfte der Deutschen schlägt ihre Kinder") sind die Überschriften (wieder mal) im Wesentlichen irreführend.

Denn wenn man sich die Umfrageergebnisse anschaut, kann man eigentlich wieder nur den anhaltenden kulturellen Wandel der Erziehungsmethoden bestätigt sehen, der sich auch in solchen Umfrageergebnissen niederschlägt. Noch vor einem Jahrhundert war die Prügelstrafe in Deutschland nicht nur verbreitet, sondern normal im wörtlichen Sinne: Sie entsprach der "Norm" in der Kindererziehung.

Heute ist sie kulturell so weit zurückgedrängt, dass die dpa-Journalisten die Umfrage schon verfälschen müssen, um das von ihnen wohl erwünschte Ergebnis zu generieren:

So heißt es  bei Stern-Online:

Berlin (dpa) - Ein kräftiger Schlag auf den Po oder eine schallende Ohrfeige: Nach einer repräsentativen forsa-Umfrage rutscht rund der Hälfte der Eltern in Deutschland bei der Erziehung noch immer die Hand aus.

In der Originalfrage von Forsa ist aber von "kräftig" oder "schallend" gar nicht die Rede:

Wenn Sie jetzt einmal an die letzten 12 Monate denken: Wie häufig ist es in dieser Zeit vorgekommen, dass Sie Ihr Kind/Ihre Kinder mit folgenden Maßnahmen bestraft haben?

Klaps auf den Po
Ohrfeige
Hintern versohlen
mit Stock o.ä. versohlen

Zudem ergeben sich höhere Zahlen von annährend 50% nur bei der geringsten Häufigkeitsstufe (1-2mal in den letzten 12 Monaten).

Nun will ich keineswegs einen Klaps auf den Po verharmlosen, zumal selbst dieser bei 4/5 der Eltern ein schlechtes Gewissen verursacht, aber die Tendenzen zur gewaltfreien Erziehung sind eindeutig zu erkennen:

1. Gegenüber einer Studie von vor 5 Jahren ist ein weiterer - sogar erheblicher - Rückgang zu verzeichnen (Vergleich hier).

2. Selbst wenn man davon ausgeht, dass viele der Befragten in Richtung der "sozialen Erwünschtheit" geantwortet haben (und vielleicht die Wahrheit über weitere und/oder härtere Schläge verschwiegen haben), so ist auch dies, nämlich die Einschätzung der sozialen Erwünschtheit der gewaltlosen Erziehung, ein deutliches Signal.

3. Regelmäßig wird ein schlechtes Gewissen oder gar eine Entschuldigung beim Kind als weitere Reaktion genannt, wenn Eltern doch einmal zum Klaps bzw. zur Ohrfeige gegriffen haben, d.h. der Klaps/die Ohrfeige wird von den Eltern regelmäßig nicht legitimiert.

4. Die Antworten auf die Frage 11 der Umfrage:"Sind Sie selbst als Kind geschlagen worden? (Hier ist nicht ein gelegentlicher Klaps auf den Hintern gemeint)" sind ebenfalls bezeichnend: Nur 25 % der Befragten im Alter von 50+ antworteten "Nie", aber diese Zahlen gehen bei den jüngeren Eltern kontinuierlich nach oben, 40-49 Jahre: 43%, 30-39 Jahre: 49%, 18-29 Jahre: 52 % wurden "nie" geschlagen. Den entscheidenden kulturelle "Bruch" mit der Gewalterzeihung gab es insofern schon vor ca. 40-50 Jahren: die Generation 50+ (Jahrgang 1962 und früher) gibt an, noch zu 13% regelmäßig geschlagen worden zu sein, die jüngeren Generationen nur noch zu 5 % oder weniger.

5. Bei den meisten Antworten ergeben sich keine oder nur geringfügige Unterschiede je nach Bildungsstatus oder Haushaltseinkommen, dies ist ein weiteres Signal dafür, dass die gewaltfreie Erziehung auf dem Weg zur allgemeinen Verbreitung ist.

Zu beachten: Die Studie ist eine Einstellungs- bzw. Meinungsumfrage und deshalb nicht zu vergleichen mit einer elaborierten wissenschaftlichen Dunkelfeld-Studie. Dennoch scheint sie mir beachtlich.

Selbstverständlich besagt die Studie nichts dazu, wie häufig in Deutschland (noch immer) Kindesmisshandlungen begangen werden und selbstverständlich ist jedes geschlagene Kind eines zu viel. Aber an einer positiven Entwicklung kann ich nichts "erschreckendes" finden.

 

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

7 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Das Tätergeschlecht schneidet in dieser Umfrage überraschend gut ab, während Mann sich fragen kann/darf/sollte/muss(?), was mit dem Opfergeschlecht los ist? Es drängen sich mir weitere Fragen auf, aber diese in diesen Zusammenhang zu setzen ist politisch nicht korrekt. ;o)

MfG

Beim Hintern versohlen kann man eine klare Grenze ziehen, aber bei einem Klaps auf den Po sehe ich diese Möglichkeit nicht. Ab wann ist das Gewalt oder kommt es ausschließlich auf die Intention an?

Wenn ich meinem 1-2 jährigem Kind, das ohnehin eine gepolsterte Windel trägt, einen aufmunternden Klaps (i.S.v. Schubs) auf den Po-wie man es vielleicht auch gelegentlich spaßeshalber mal beim Partner macht- gebe, damit es z.B. mit seinen ersten wackeligen Schritten seinem Papa entgegen läuft, dann ist das zweifellos ein Klaps auf den Hintern, kann aber selbst bei extensiver Auslegung wohl nicht als Tätlichkeit in der Erziehung angesehen werden.

Wenn ich denselben kaum spürbaren Klaps mit einer anderen Intention, nämlich anstatt eines erhobenen Zeigefingers i.S.v. "Nanana, das darf man nicht" mache-selbst wenn es vielleicht unsinnig ist, da das Kind kaum eine Berührung spürt und quasi nicht mal theortisch ein Erziehungszweck spürbar ist- muss ich dann reuig gestehen, dass ich Gewalt in der Erziehung ausübe?

So lange da keine handhabbare Abgrenzung, die zumindest explizit eine Spürbarkeit verlangt, halte ich die Frage nach dieser "Gewalt" für völlig sinnlos. Denn wenn weder eine körperliche Beeinträchtigung noch eine Demütigung, weil es eben nicht spürbar ist, für das Kind vorliegt, kann man dies nicht als Gewalt einordnen. Bei den anderen Varianten ist unabhängig von der Härte der Tätlichkeit zumindest immer der Demütigungseffekt gegeben, weil man einen Klaps/Schlag auf die Finger, eine Ohrfeige oder schlimmeres eben neben dem Schmerz immer mitbekommt. Bei einem Klaps auf den Po ist das häufig nicht der Fall.

0

Sehr geehrte Leserin,

die Frage (oben wiedergegeben) spricht von "mit Maßnahme bestraft"; das schließt den aufmunternden oder nicht einmal spürbaren Klaps aus. Da die Eltern nicht die Kinder gefragt wurden, kommt es wohl in der Tat auf die Intention an. Aber natürlich geht es um die untere Grenze der Tätlichkeit, so dass "Gewalt in der Erziehung" - wo jeder erst einmal Prügelstrafe oder zumindest Ohrfeige assoziiert - als Überschrift etwas hoch gehängt anmutet.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

§ 1631 II BGB lautete in der Urfassung vom 01.01.1900

(2) [1] Der Vater kann kraft des Erziehungsrechts angemessene Zuchtmittel gegen das Kind anwenden.

Sie galt bis 1958 und wurde dann ersatzlos gestrichen.

1980 wurde eingefügt

 (2) Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen sind unzulässig.

Ab 2002 gilt

(2) [1] Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. [2] Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.

 

Danke, Herr Burschel,

der tatsächliche Rückgang der "erzieherischen Gewalt" wird begleitet von diesen normativen Regelungen. Von der Kriminologie (genauer Normwirkungsforschung) kann allerdings meist nicht bestimmt werden, ob das Gesetz hier nur einer außerhalb des Gesetzes stattfindenden tatsächlichen Entwicklung nachfolgt oder ob es eine tatsächliche Entwicklung initiiert (entspr. Henne-Ei-Problem).

Die Annahme liegt nicht fern, dass solche Gesetzesänderungen dann eine gute Chance haben, eine tatsächliche Entwicklung zu verstärken, wenn schon bei Einführung eine (u.U. schweigende) Mehrheit inhaltlich hinter einem solchen Gesetz steht. Jedenfalls steigt die Akzeptanz gravierend, wenn eine Mehrheitsmeinung gesetzliche Unterstützung bekommt. Eine "Erziehung" allein durch den Gesetzgeber quasi von oben herab gelingt dagegen seltener.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

@ Prof. Dr. H. E. Müller:

 

Ja, Henne und Ei. Ich meine aber, mit einem von beiden muss es angefangen haben. Nennen wir es "Ei".

Das "Ei" kann man auch "Sein" nennen, sofern für den Überbau "Recht" gelten sollte, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt. So will es mir vorkommen.

 

In diesem Zusammenhang hat Ernst Jünger - bitte jetzt keine Diskussion, ob der "umstritten" sei -  einmal etwas Gutes gesagt:  Das Recht benötigt, um zu funktionieren, den Rückhalt im wirklichen Leben. Was dort nicht praktiziert und anerkannt wird wird, kann auch der Staat nicht durchsetzen, mag er es auf dem Papier auch "normieren". Selbst staatliche Grundrechtsgarantieren entfalten nur in dem Maße Wirkung, wie der Vorgang im wirklichen Leben Wertschätzung genießt. So spiegelt sich laut Jünger etwa in der frühen Schaffung des Grundrechts "habeas corpus" in England und seiner Akzeptanz und Bekanntheit die Vorstellung des Vaters wider, in der Not auch selbst zur Axt zu greifen und den Eindringling totzuschlagen, um Haus und Hof und Frau und Kinder zu schützen. Nur, wo so ein Wert gelebt wird, kann er auch wirksamer Gegenstand einer gesetzlichen Normierung sein.

 

Umgekehrt wird eine Norm schwach und wird zum sog. "law in the books", wenn der Zeitgeist so etwas nicht mehr mitmacht. Siehe § 1300 BGB. Oder § 218 StGB.

 

Und so auch hier: Der neue § 1631 Abs. 2 BGB ist gekommen, als die angesehene Generation derer, die als Väter und Mütter glühende Verehrer der körperlichen Züchtigung waren, längst abgetreten war und einer neuen Platz gemacht hatte, für die schon die Abwehrhaltung "Ein Klaps hat noch niemandem geschadet" typisch war. Selbst diese Eltern bekommen aber von den Nachwachsenden heute gesagt, dass der Klaps genausowenig genützt hat. Tout le monde verschmäht die Schwarze Pädagogik, und da sagt sich endlich der Gesetzgeber: Nichts leichter das als!

 

 

5

Sehr geehrte/r Herr/Frau Notker,

ich stimme Ihnen (und in diesem Fall Jünger) völig zu - der "Zeitgeist" (bei mir die Mehrheit) muss dahinter stehen, sonst bleibt ein Gesetz bzw. wäre weitgehend funktionslos.

Aber es stellt sich die Frage, ob das Gesetz, das ohnehin den Zeitgeist hinter sich hat, dann noch eine Wirkung hat - auf die übrigen/die Minderheit, oder ob es "überflüssig" ist, weil sich der Zeitgeist ohnehin durchsetzt.

Für die Akzeptanz des Rechts insgesamt (auch für die anderen Normen) erscheint es wichtig, dass das, was der Zeitgeist als falsch, gefährlich, Unrecht ansieht, auch in den Gesetzes seinen Niederschlag findet. Wenn man Gewalt im allgemeinen ablehnt und man nun auch mehrheitlich der Ansicht ist, dass diese in der Erziehung nichts zu suchen hat, würde das Rechtssystem möglicherweise einen Akzeptanzverlust erleiden, wenn das Gesetz hier eine Lücke offen ließe (ähnlich: Vergewaltigung in der Ehe). Hier hat die oft verachtete symbolische Wirkung strafrechtlicher Normen durchaus einen Platz.

Eine Mehrheit, deren Auffassung Gesetz geworden ist, vertritt einen besonderen aus der Demokratie sich speisenden Richtigkeitsanspruch. Einigen, die nach wie vor die Gewalt in der Erziehung für richtig halten (und es sind ja immer weniger), ist das Gesetz ein guter Grund, einmal nachzudenken. Oder vielleicht achten sie das Gesetz auch einfach nur so, selbst wenn sie es inhaltlich für verfehlt halten.

Explizite Strafandrohungen können aber auch deshalb an Bedeutung verlieren und/oder  unnötig werden, weil ihre Einhaltung völlig selbstverständlich geworden ist. Sie verweisen zu Recht auf § 1300 BGB, im Strafrecht  kann man auch auf die Regelungen gegen den Zweikampf in §§ 201 ff. RStGB hinweisen, die im Jahr 1969 gestrichen wurden.

Eine solche "Selbstverständlichkeit" ist freilich hinsichtlich der "Klapse auf den Po" noch nicht erreicht.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

 

Kommentar hinzufügen