BAG zur zweimonatigen Ausschlussfrist nach § 15 Abs. 4 AGG

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 18.03.2012

 

Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche wegen Diskriminierung müssen Beschäftigte nach § 15 Abs. 4 S. 1 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten geltend machen. In der Entscheidung Bulicke hat der EuGH (8.7.2010, NZA 2010, 869) allerdings insoweit eine Einschränkung gemacht, als nach dem Wortlaut von § 15 Abs. 4 S. 2 AGG die Frist im Fall einer Bewerbung oder Beförderung unabhängig von der Kenntnis des Kandidaten von einer möglichen Benachteiligung mit dem Zugang der Ablehnung beginnt. Die Vorschrift sei richtlinienkonform so auszulegen, dass die Geltendmachungsfrist auch in diesen Fällen erst zu dem Zeitpunkt beginnt, zu dem der Arbeitnehmer von der behaupteten Diskriminierung Kenntnis erlangt. Für Arbeitgeber kann das sehr misslich sein. Denn dieser Zeitpunkt kann u.U. deutlich nach dem Zugang der Ablehnung liegen, wenn der Kandidat zB erst nachträglich von der Einstellung oder Beförderung eines anderen Bewerbers erfährt. In nicht wenigen Fällen wird es allerdings doch der Zeitpunkt der Ablehnung sein, wie eine neuere Entscheidung des BAG (Urteil vom 15. März 2012 - 8 AZR 160/11) verdeutlicht. In dieser Entscheidung bestätigt das BAG zunächst die grundsätzliche Richtlinienkonformität der Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG. Das ist besonders hervorhebenswert, waren doch gewisse Restzweifel nach der EuGH-Entscheidung verblieben. Sodann geht es um den genauen Zeitpunkt, zu dem die Frist zu laufen beginnt. Zu beurteilen war das für folgenden Fall: Das beklagte Land schrieb zur Jahresmitte 2008 drei Stellen für Lehrkräfte an einer Justizvollzugsanstalt aus. Der Kläger bewarb sich dafür, wobei er auf seine anerkannte Schwerbehinderteneigenschaft hinwies. Mit Schreiben vom 29. August 2008 lehnte das beklagte Land die Bewerbung des Klägers ab. Dieses Schreiben erhielt der Kläger am 2. September 2008. Mit einem beim beklagten Land am 4. November 2008 eingegangenen Schreiben meldete der Kläger Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche an, weil er nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden war. Das BAG bestätigte die klageabweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen. Denn mit Erhalt des Ablehnungsschreibens habe der Kläger Kenntnis von den Indizien seiner Benachteiligung erhalten, da er bei der Bewerbung auf seine Schwerbehinderung hingewiesen hatte und er abgelehnt worden war, ohne nach § 82 SGB IX von dem öffentlichen Arbeitgeber zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden zu sein. Damit sei der Kläger mit Erhalt des Ablehnungsschreibens am 2. September 2008 in der Lage gewesen, seine Benachteiligung geltend zu machen. Sein dazu gefertigtes Schreiben erreichte das beklagte Land jedoch erst am 4. November 2008, also zu spät. In anderen Fällen wird man hingegen nicht ohne weiteres an das Ablehnungsschreiben anknüpfen können, etwa bei einer Geschlechtsdiskriminierung, wenn der/die abgelehnte Bewerber/in erst später erfährt, auf wen die Wahl gefallen ist. 

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

2 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Als m. E. ebenfalls sehr interessant anmerken ließe sich noch, dass der Kläger (jedenfalls in den Vorinstanzen) hilfsweise auch geltend gemacht hatte, wegen §§ 6 Abs. 1 S. 2, 15 Abs. 4 AGG gelte für ihn als Bewerber eines mit dem Saarland angebahnten Arbeitsverhältnisses die längere, 6-monatige tarifvertragliche Verfallsfrist gemäß TV-L. Jedenfalls die habe er eingehalten.

Der Kläger blieb damit in der 2. Instanz vor dem Saarländischen LAG (Urteil vom 17.11.2010 - 1 Sa 23/10 -, in: BeckRS 69655) erfolglos, wo man ihm mit feinsten Formalismus erklärte, dass

- ... die Gleichstellung von Bewerbern in § 6 AGG sich nur auf das AGG selbst beziehe, nicht auf den Inhalt des angebahnten Arbeitsverhältnisses (Naja, damit auch einen Bewerber und nicht nur den bereits Beschäftigten effektiv der Segen des Diskriminierungsverbots ereilt, muss ich eigentlich immer auch auf den Inhalt des angebahnten Vertrages schauen, warum also nicht auf auf die Fristen in einem anwendbaren Tarifvertrag?)

- ... die Verfallsfrist im TV-L nur für bereits Beschäftigte gelte, nicht für Bewerber (Womit sich die Katze in den Schwanz beißt.)

- ... es unklar sei, ob er überhaupt Gewerkschaftsmitglied sei (Sancta simplicitas! Als ob bei Zustandekommen des Arbeitsvertrages der TV-L nicht durch Individualverweisung gegolten hätte! Ich wette, die Stelle war sogar als TV-L-mäßige ausgeschrieben.)

Diese Art "Begriffsjurisprudenz" stimuliert einen ja regelrecht, auch insoweit wieder europarechtliche Bedenken zu hegen.

Bin gespannt, ob der Kläger sein Hilfsargument auch in Erfurt weiterverfolgte und ob das BAG dazu auch was gesagt hat. Bis jetzt liegt ja nur die Pressemitteilung vor.

Hallo Herr Bender,

ich fand Ihren Eintrag bemerkenswert, da Sie genau den Punkt angesprochen haben, der mir nicht in den Kopf will (ich bin der Kläger). Das Urteil (im Parallelfall) liegt nun vor: Der persönliche Anwendungsbereich des AGG sei eröffnet Der Kläger sei als Bewerber "Beschäftigter" iS des AGG (§ 6). Jedoch sei die Zwei-Monats-Frist einzuhalten. Die tarifliche Ausschlussfrist § 37 TV-L mit sechs Monaten sei nicht einschlägig. Es komme nicht auf die Ausschlussfrist im angestrebten Arbeitsverhältnis an. Der Gesetzgeber habe die Regelung des § 611a Abs. 4, der eine solche vorgesehen habe, nicht in § 15 Abs. 4 AGG übernommen. Der Gesetzgeber habe damit eine inhaltliche Änderung bezüglich der Ausschlusfrist beabsichtigt. Komme es mangels Vertragsabschluss zu keinem Arbeitsverhältnis, finde der TV-L keine Anwendung.

Nun bin ich platt. Der Gesetzgeber brauchte die Regelung des 611a nicht in den § 15 Abs. 4 übernehmen, weil in § 6 bereits geregelt ist, wer Beschäftigter ist und ohnehin der Halbsatz 'sofern ein Tarifvertrag nichts anderes vorsieht' aufgenommen ist, meine ich.

Was kann ich nun machen? Außer einer Verfassungsbeschwerde nach Art. 3 GG (im Vergleich zu den "richtig Beschäftigten"), die ohnehin nichts bingt, fällt mir nichts ein.

Freundliche Grüße

Robert Gramer

Kommentar hinzufügen