Der Krieg findet nicht statt

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 23.03.2012
Rechtsgebiete: VaterschaftsanfechtungFamilienrecht4|4242 Aufrufe

 

so untertitelt Heribert Prantl in der SZ seinen Kommentar zu dem jüngsten Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR).

Die Fälle:

1. Eine Frau lebt mit einem Partner in nichtehelicher Lebensgemeinschaft. Nebenbei unterhält sie ein Verhältnis mit dem späteren Kläger. Sie wird schwanger. Noch in der Schwangerschaft erkennt Partner 1 mit Zustimmung der Mutter die Vaterschaft an.

 

2. Vier Monate nach der Scheidung wird ein Kind geboren. Der neue Partner erkennt die Vaterschaft an und heiratet die Mutter.

In beiden Fällen ist eine Vaterschaftsanfechtung des biologischen Vaters nach deutschem Recht ausgeschlossen, denn nach § 1600 II BGB setzt dessen Anfechtung voraus, dass zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater keine sozial-familiäre Beziehung besteht oder im Zeitpunkt seines Todes bestanden hat.

Aus der Pressemitteilung des EGMR

 

In beiden Fällen kam der Gerichtshof zu der Auffassung, dass die Entscheidungen der deutschen Gerichte, die Anträge der Beschwerdeführer auf Feststellung der rechtlichen Vaterschaft für ihr leibliches bzw. mutmaßlich leibliches Kind zurückzuweisen, einen Eingriff in ihr Recht auf Achtung des Privatlebens nach Artikel 8 darstellten. Gleichzeitigbefand der Gerichtshof, dass diese Entscheidungen keinen Eingriff in ihr Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne von Artikel 8 bedeuteten, da niemals eine enge persönliche Bindung zwischen den Beschwerdeführern und den Kindern bestanden hatte. Der Gerichtshof stellte fest, dass einer von ihm durchgeführten rechtsvergleichenden Untersuchung zufolge mutmaßliche biologische Väter in einer Mehrheit der Mitgliedstaaten des Europarats die Möglichkeit haben, die – durch Vaterschaftsanerkennung festgestellte - Vaterschaft eines anderen Mannes anzufechten, selbst wenn der rechtliche Vater in einer sozial-familiären Beziehung mit dem Kind lebt. In einer signifikanten Minderheit von neun Mitgliedstaaten hingegen hat der mutmaßliche biologische Vater keine Möglichkeit, die Vaterschaft des rechtlichen Vaters anzufechten. Folglich besteht kein gefestigter Konsens und die Mitgliedstaaten verfügen daher über einen weiten Beurteilungsspielraum im Hinblick auf die Festlegung des rechtlichen Status eines Kindes in einer entsprechenden Situation.

Zwar hatten die Beschwerdeführer Anspruch auf Schutz ihres Interesses an der Feststellung eines wesentlichen Gesichtspunktes ihres Privatlebens und an dessen rechtlicher Anerkennung. Die Entscheidungen der deutschen Gerichte hatten aber darauf abgezielt, dem Willen des Gesetzgebers zu entsprechen, einem bestehenden Familienverband zwischen dem betroffenen Kind und seinem rechtlichen Vater, der sich regelmäßig um das Kind kümmert, Vorrang einzuräumen gegenüber der Beziehung zwischen dem (angeblichen) leiblichen Vater und seinem Kind. Aus dem Urteil im Fall Anayo gegen Deutschland ließ sich ableiten, dass die Mitgliedstaaten nach Artikel 8 verpflichtet sind zu prüfen, ob es im Kindeswohlinteresse liegt, dem leiblichen Vater die Möglichkeit zu geben, eine Beziehung zu seinem Kind aufzubauen, etwa durch Gewährung des Umgangsrechts. Daraus folgt aber nicht notwendigerweise eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach der Konvention, biologischen Vätern die Möglichkeit einzuräumen, den Status des rechtlichen Vaters anzufechten.

Im Hinblick auf den Fall Kautzor stellte der Gerichtshof fest, dass keiner der 26 Mitgliedstaaten, die er in seiner rechtsvergleichenden Untersuchung berücksichtigt hatte, ein Verfahren vorsieht, um die biologische Vaterschaft festzustellen, ohne gleichzeitig die Vaterschaft des rechtlichen Vaters anzufechten. Die Entscheidung, die Möglichkeit einer solchen separaten Prüfung vorzusehen oder nicht, fiel folglich auch in den Beurteilungsspielraum des Staates.

Der Gerichtshof zeigte sich darüber hinaus überzeugt, dass die deutschen Gerichte die jeweilige Situation in beiden Fällen sorgfältig geprüft hatten. Folglich lag in beiden Fällen keine Verletzung von Artikel 8 vor.

Der Gerichtshof stellte fest, dass der Hauptgrund für die Ungleichbehandlung der Beschwerdeführer im Vergleich zur Mutter, zum rechtlichen Vater und zum Kind hinsichtlich der Möglichkeit, die Vaterschaft anzufechten – und im Fall Kautzor hinsichtlich der Möglichkeit, einen Gentest zu verlangen – in der Absicht lag, das jeweilige Kind und seine soziale Familie vor äußerer Beeinträchtigung zu schützen. In Erwägung seiner Schlussfolgerungen hinsichtlich Artikel 8 kam der Gerichtshof zu derAuffassung, dass die Entscheidung, einem bestehen Familienverband zwischen dem betroffenen Kind und seinen rechtlichen Eltern Vorrang einzuräumen gegenüber der Beziehung zu seinem biologischen Vater, soweit dessen rechtlicher Status betroffen war, in den Beurteilungsspielraum des Staates fiel. Folglich lag in beiden Fällen keine Verletzung von Artikel 8 in Verbindung mit Artikel 14 vor.

 

 

 

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4 Kommentare

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Dann müssten biologische Väter ohne "soziale Beziehung" zum Kind auch eine gerichtlich erzwungene Vaterschaftsanerkennung verweigern können, wenn es Mutter und ihrem neuen Partner einfällt, den biologischen Vater zum Rechtlichen zu machen, so wie es die Männer in obigem Gerichtsverfahren vorhatten.

 

Schliesslich hat die Vaterschaft auch das Umgangsrecht zur Folge. Das würde dann ja nach Lesart von SZ und Gericht seine soziale Familie beeinträchtigen und das geht offenbar gar nicht. Kann doch nicht sein, dass plötzlich ein fremder Mann vor der Tür des Kindes steht, wie die Presse schreibt.

Dass der Krieg nicht stattfindet, ist doch Unsinn.

Er hat doch längst stattgefunden und wurde nun mit der Vernichtung einer Partei entschieden.

Hier wird kein Krieg vermieden, sondern eine Friedhofsruhe geschaffen.

 

Dass der LAB der Mutter grundsätzlich eine verläßlichere Bindung an das Kind hätte ist doch Unsinn.

Auf lange Sicht sind die biologischen Wurzel viel tragfähiger als die juristischen.

 

Ich kenne z.B. einen Fall, wo sich die Eltern gleich nach der Geburt getrennt haben, sie hat bald darauf einen anderen geheiratet ist fast 800 Km zu ihm gezogen und hat mit ihm 2 weitere Kinder bekommen.

Er ist ein netter Mensch und hat sich auch um die nicht leibliche immer genauso gekümmert, wie um die eigenen. Und auch dem Kontakt zwischen leiblichem Vater und seinem Kind hat er sich nie in den Weg gestellt.

 

Dennoch ist der Kontakt zum nicht leiblichen Kind nach der Scheidung weitgehend abgebrochen.

Der zu seinen eigenen Kindern nicht und der zwischen dem Kind und seinem leiblichen vater auch nicht.

Und das obwohl sie nie zusammen gelebt haben, der andere sie 16 Jahre mit erzogen hat und der Umgang zum leiblichen Vater über die große Distanz von fast 800km auch nie sehr intensiv war.

 

Blut ist eben doch dicker als Paragraphen.

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Was ist denn überhaupt der Sinn des § 1600 Abs. 2 BGB? Sollte es tatsächlich darum gehen, die innerfamiliäre Sphäre vor einer Anfechtungsklage zu schützen, so erscheint mir dies rechtlich gesehen ziemlich fragwüdig, da es ja nicht an dem Umstand ändert, dass jemand anderes der leibliche Vater ist. Zumal dieser Schutz ja, soweit erkennbar, auch nur solange wirkt, wie der rechtliche Vater mit dem Kind unter einem Dach lebt. Sobald die Ehe mit der Mutter scheitert, wäre dann eine Klage möglich. Welcher tiefere Sinn hierin liegen soll, bleibt einem verschlossen.

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Die Prüfung, ob in dieser Behandlung der rechtlichen oder biologischen Väter gegenüber den Müttern eine willkürliche Benachteiligung des männlichen Geschlechts gesehen werden könnte, vermißt man regelmäßig.

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