Erst Cannabisfahrt, dann nicht zum HVT wegen Studienaufenthaltes in Neuseeland?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 24.03.2012

Wann ist ein Betroffener ausreichend entschuldigt, wenn er sich wegen anderweitiger Pflichten/Termine lange im Ausland aufhält? Diese Frage war jetzt Gegenstand einer Entscheidung des OLG Hamm. Der Betroffene war nach Cannabis-Konsum gefahren und wird somit sicher/hoffentlich im verwaltungsrechtlichen Wege seine Fahrerlaubnis loswerden. Das OWi-Verfahren beim AG jedenfalls lief nicht so glatt, da der Betroffene zum HVT wegen eines langen Auslandsaufenthaltes in Neuseeland und AUstralien nicht erschienen ist. Das AG hat den Einspruch daher verworfen. Die Rechtsbeschwerde hiergegen hatte Erfolg:

 

Das Rechtsmittel hat mit der sich bei verständiger Auslegung (§§ 46 Abs. 1, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 300 StPO) aus dem Rechtsbeschwerdevorbringen ergebenden Verfahrensrüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG (vorläufig) Erfolg. Die weiteren Rügen bedürfen daher keiner Erörterung.

Der Betroffene rügt unter Wahrung der Begründungsanforderungen nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO mit Erfolg, dass das Amtsgericht zu Unrecht vom Fehlen einer genügenden Entschuldigung im Sinne des § 74 Abs. 2 OWiG für sein Ausbleiben in der Hauptverhandlung ausgegangen ist.

1. Der Verteidiger des Betroffenen hatte dem Amtsgericht vor und in der Hauptverhandlung dargelegt, dass sich der Betroffene seit dem 29. November 2010 bis voraussichtlich November 2011 ununterbrochen im Rahmen eines "Studienförderprogrammes" ("Working Holiday") zunächst in Neuseeland und seit dem 6. Mai 2011 in Australien aufhalte, und Dokumente (Ausdruck des elektronischen Einreisevisums des Königreichs Neuseeland, Passkopie mit neuseeländischem und australischem Einreisestempel) zum Beweis seines Vorbringens vorgelegt.

2. Dieses Vorbringen, an dessen Richtigkeit der Senat aufgrund der von dem Verteidiger vorgelegten Unterlagen keinen Zweifel hat, stellt in der vorliegenden Fallkon-stellation – entgegen der in den Gründen des angefochtenen Urteils nur mit dem Satz "ein langfristiger Aufenthalt von einem Jahr Dauer in Australien/Neuseeland stellt keinen Entschuldigungsgrund dar" begründeten Auffassung des Amtsgerichts – eine genügende Entschuldigung im Sinne des § 74 Abs. 2 OWiG dar.

a) Eine genügende Entschuldigung liegt vor, wenn dem Betroffenen das Erscheinen in der Hauptverhandlung unter Berücksichtigung der Umstände und der Bedeutung der Sache nicht zumutbar oder nicht möglich ist (OLG Hamm, VRS 56, 156; Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 15. Aufl. [2009], § 74 Rdnr. 29). Bei der Beurteilung des vorliegenden Falles ist zu berücksichtigen, dass der Betroffene sich nicht nur zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung, sondern bereits am Tag des Erlasses des Bußgeldbescheides in Neuseeland bzw. Australien aufhielt. Für die Prüfung der Möglichkeit oder Zumutbarkeit des Erscheinens in der Hauptverhandlung kommt es damit nicht – wie in den häufig vorkommenden Fällen einer Terminskollision zwischen der Hauptverhandlung und einer (kurzen) Urlaubsreise (vgl. hierzu OLG Hamm, BeckRS 2005, 07058) – primär darauf an, ob für den Betroffenen eine Verlegung seiner Reise möglich oder zumutbar gewesen wäre; entscheidend ist vielmehr, ob dem Betroffenen die kurzzeitige Unterbrechung seines Auslandsaufenthaltes und die vorübergehende Rückkehr nach Deutschland vor dem eigentlich geplanten Rückkehrtermin zum Zwecke der Teilnahme an der Hauptverhandlung hätten zugemutet werden können (OLG Celle, BeckRS 2011, 26738). Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn der – vor allem finanzielle – Aufwand für eine Rückreise außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht und weder unter dem Gesichtspunkt eines drohenden Verlustes von Beweismitteln noch unter dem Gesichtspunkt einer drohenden Verfolgungsverjährung eine Hauptverhandlung vor dem geplanten Termin der Rückkehr nach Deutschland erforderlich ist. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts, NJW 1994, 1748. Dort war der Grund für das Fernbleiben nicht – wie hier – ein von vornherein befristeter Auslandsaufenthalt, sondern ein Auslandsaufenthalt von ungewisser Dauer.

b) Die vorstehend skizzierten Voraussetzungen für eine genügende Entschuldigung liegen vor.

Der finanzielle Aufwand für eine kurzzeitige Rückkehr aus Australien nach Deutschland hätte in keinem Verhältnis zur Bedeutung der Sache gestanden. Gegenstand des Verfahrens ist lediglich eine Ordnungswidrigkeit im Straßenverkehr mit einem überschaubaren Sachverhalt und einem ebenfalls überschaubaren Sanktionsrahmen. Eine Hauptverhandlung vor der geplanten Rückkehr des Betroffenen nach Deutschland im November 2011 war auch nicht erforderlich, um dem drohenden Verlust von Beweismitteln oder dem Eintritt der Verfolgungsverjährung zu begegnen. Die Verjährungsfrist beträgt im vorliegenden Fall nach § 31 Abs. 2 Nr. 3 OWiG ein Jahr. Das Amtsgericht hätte am Tage der Hauptverhandlung ohne Weiteres eine Unterbrechung der Verjährung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 OWiG durch die vorläufige Einstellung des Verfahrens wegen der Abwesenheit des Betroffenen nach § 46 Abs. 1 OWiG iVm § 205 StPO herbeiführen können.

3. Wegen des aufgezeigten Mangels ist das angefochtene Urteil nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG iVm § 353 StPO mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG iVm § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an einen anderen Jugendrichter des Amtsgerichts Lübbecke zurückzuverweisen.

 

OLG Hamm, Beschluss v. 21.2.2012 - III-3 RBs 365/11

 

Alles zur Drogenfahrt und dem Fahrverbot hiernach: Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, 2. Aufl. § 6.

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4 Kommentare

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"Der Betroffene war nach Cannabis-Konsum gefahren und wird somit sicher/hoffentlich im verwaltungsrechtlichen Wege seine Fahrerlaubnis loswerden."

Sind Sie gegenüber bestimmten "Kunden" voreingenommen? Befangenheit, ick hör dir rufen...

Ich nehme an, der Betroffene wurde am Steuer eines PKW kontrolliert und ein Test auf Cannabis Abbauprodukte hat sich positiv bestätigt. Wie hoch war die Konzentration der Abbauprodukte und was sagt diese über den Zeitpunkt des Cannabis Konsums aus?

Warum darf ich in Deutschland unmittelbar nach Alkoholkonsum fahren solange ich nur wenig trinke aber ein Joint von vorgestern soll mich den Führerschein kosten?

 

2

Nachdem Herr Krumm nicht die Fahrerlaubnisbehörde ist, liegt das mit der Befangenheit etwas daneben. ME dürfte es im Interesse der Mehrzahl der Verkehrsteilnehmer liegen,dass weder bekiffte, bekokste, betrunkene oder mit Novalgin u.ä. narkotisierte Personen Auto fahren.

 

Und zu Ihrer letzten Frage:

1. Tut der Joint nicht zwingend

2. Im Übrigen: Darum.

BVerfG 1 BvR 2652/03

4

Wenn ich aber gegen eine diesbezügliche Entscheidung klage, die Verkehrsbehörde handelt von Amts wegen, treffe ich meist auf einen Richter. Aber das nur am Rande. Viel lieber hätte ich herausgestellt warum man nach Alkoholkonsum noch fahren darf? Eine Herabsenkung der Promillegrenze lässt sich eben auch so auslegen, dass es im Interesse der Bevölkerung liegt nach dem Alkoholkonsum am Straßenverkehr teilzunehmen. Wäre eine Unterscheidung nach Substanz nicht gewünscht hätte man seinerzeit 0 Promille festlegen können. Hat man aber nicht. Prost

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