7 Jahre und 7 Monate? Tja, hat länger gedauert als normal - is`aber nicht so schlimm!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 01.04.2012
Rechtsgebiete: BGHStrafrechtVerkehrsrecht2|3490 Aufrufe

7 Jahre und 7 Monate hat ein Steuerstrafverfahren gedauert - von der Einleitung des E-Verfahrens bis zum Urteilsspruch. Der BGH stellt dies nur deklaratorisch fest (habe sowas noch nie gelesen bislang):

 

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 4. Mai 2011 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass festgestellt wird, dass das Verfahren rechtsstaatswidrig verzögert worden ist.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Die Revision ist i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO unbegründet, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung weder zum Schuld-spruch noch zum Strafausspruch Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat und auch die Verfahrensbeanstandungen keinen die Angeklagte beschwerenden Rechtsfehler aufgezeigt haben.
Zutreffend ist allerdings die Einwendung der Revision, es habe eine rechtsstaatswidrige Verzögerung des Verfahrens vorgelegen. Die "hohe Komplexität des Sachverhalts", der "ungewöhnlich hohe Schwierigkeitsgrad" der Tatvorwürfe, hinsichtlich derer es nicht zu einer Verurteilung kam, und die weiteren vom Landgericht genannten Besonderheiten des Verfahrensablaufs können letztlich auch bei einer Gesamtbetrachtung die vom Landgericht selbst als "ungewöhnlich lange Zeit" (UA S. 43) bezeichnete Verfahrensdauer zwischen Bekanntgabe der Einleitung des Steuerstrafverfahrens bis zum Urteilserlass von nahezu sieben Jahren und sieben Monaten nicht mehr rechtfertigen.
Vorliegend reicht es aber zur Kompensation der mit der Verfahrensverzögerung verbundenen Belastung der Angeklagten aus, die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung ausdrücklich festzustellen. Das Landgericht hat die Dauer des Verfahrens schon bei der Strafzumessung in besonderem Maße ausdrücklich zugunsten der Angeklagten berücksichtigt und eine angesichts des verwirklichten Unrechts äußert milde Gesamtgeldstrafe verhängt. Einer weitergehenden Kompensation bedarf es daher - worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hingewiesen hat - nicht, weil eine besondere Belastung der nicht inhaftierten Angeklagten gerade durch die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nicht ersichtlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2008 - 2 StR 467/07, NStZ 2009, 287; Beschluss vom 5. August 2009 - 1 StR 363/09, NStZ-RR 2009, 339; Beschluss vom 2. September 2010 - 2 StR 297/10; Beschluss vom 15. April 2009 - 3 StR 128/09, NStZ-RR 2009, 248). Den Umstand, dass die Angeklagte - zumal im Hinblick auf die schweren Tatvorwürfe, von denen sie freigesprochen worden ist - durch die lange Gesamtverfahrensdauer besonders belastet war, hat das Landgericht ausdrücklich strafmildernd berücksichtigt.

BGH, Beschl. v. 24.1.2012 - 1 StR 551/11 -

 

 

 

 

 

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2 Kommentare

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Ich verstehe offen gestanden den "Gag" der neuen "Vollstreckungslösung" nicht. Denn die Tatgerichte berücksichtigen Verfahrensverzögerungen weiterhin strafmildernd. Die Obergerichte, einschließlich des BGH, der die Vollstreckungslösung entwickelt hat, finden das richtig und sehen keinen Anlaß, die Vollstreckungslösung anzuwenden. Also l'art pour l'art? Oder warum nervt der BGH uns regelmäßig mit tollen neuen Ideen, wenn im Ergebnis doch immer alles beim alten bleibt?

 

Die Rechtsprechung zur Folgenlosigkeit der dem Staat zuzurechnenden Gesetzesverletzungen  droht langsam lächerlich zu werden. Die schlanken Auflagen der StPO-Kommentare früherer Jahrzehnte belegen, daß man damals einfach der Auffassung war: es ist (überwiegend) alles rechtens, was der Staat tut. Basta. Beschwerden wurden mit einem Zweizeiler zurückgewiesen. Heute muß man zwar vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BVerfG zähneknirschend in einem langem Beschluß dartun, weshalb das Vorgehen der Ermittlungsbehörden oder der Vorinstanzen rechtswidrig war, darf sich aber auf eben jene Rechtsprechung des BVerfG stützen, um festzustellen: es bleibt trotzdem alles folgenlos.

 

Die mutigen Einzelstimmen in der Rechtsprechung, die gelegentlich mal von einem Beweisverwertungsverbot ausgehen, können sich nicht allgemein durchsetzen. Im Zweifel wird sogar die Kammer/der Senat, der die Entscheidung erlassen hat, beim nächsten ähnlichen Fall mit keinem Wort auf diese Rechtsprechung eingehen, das Gegenteil entscheiden und bestenfalls erläutern, daß der Fall hier ja ganz anders liege.

 

Wenn Vorhersehbarkeit und Zuverlässigkeit der Rechtsprechung ein maßgebliches Kriterium für einen Rechtsstaat sind, wird es zunehmend schwerer, dieses Prädikat noch an deutsche Gerichte zu verleihen.

 

 

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"(habe sowas noch nie gelesen bislang): "

Ist ja auch neu, aber inzwischen nach § 199 III GVG wohl so vorgesehen.

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