Wirksame Ehe trotz Demenzerkrankung

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 02.05.2012
Rechtsgebiete: EheaufhebungFamilienrecht|9003 Aufrufe

Die späteren Eheleute (er Jahrgang 1936, sie 1950) waren schon seit 1973 partnerschaftlich verbunden, unterhielten jedoch zunächst getrennte Wohnungen. Bei ihm wurde 2003 Alzheimer diagnostiziert, sie wurde zu seiner Betreuerin bestellt.

Am 3. Februar 2004 zog er in ein von ihr aus Mitteln von ihm erworbenes Wohnhaus, in welchem beide nach wie vor gemeinsam leben und er von ihr gepflegt wird.

Am 7. April 2004 fand die standesamtliche Trauung im Schlafzimmer statt, am 5. Juni 2005 die kirchliche Trauung.

Gemäß 1304 BGB kann nicht heiraten, wer geschäftsunfähig ist. Wird die Eheschließung gleichwohl vollzogen, kann die Verwaltungsbehörde die Aufhebung der Ehe beantragen (§§ 1314 I, 1316 I BGB). Die Ehe ist nicht nichtig.

Auf Anregung seiner Nichte (die zum Kreis der gesetzlichen Erben gehört) stellte die zuständige Behörde diesen Eheaufhebungsantrag.

 

Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens hob das FamGericht die Ehe auf, das OLG bestätigte die Entscheidung.

 

Die Revision der Eheleute führte beim BGH zum Erfolg:

 

§ 1316 (3) BGB

Bei Verstoß gegen die §§ 1304, 1306, 1307 sowie in den Fällen des § 1314 Abs. 2 Nr. 1 und 5 soll die zuständige Verwaltungsbehörde den Antrag stellen, wenn nicht die Aufhebung der Ehe für einen Ehegatten oder für die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder eine so schwere Härte darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe ausnahmsweise geboten erscheint.

Der BGH vertritt die Auffassung, in einem von der Verwaltungsbehörde beantragten Eheaufhebungsverfahren sei das Eingreifen dieser Härteklausel vom Gericht eigenständig zu prüfen ist. Ist dies zu bejahen, habe das Gericht den Antrag der Verwaltungsbehörde als unzulässig abzuweisen.

Bei der Prüfung des Härtefalls sei das bestehende öffentliche Ordnungsinteresse gegen die privaten Interessen der Ehegatten und Kinder unter Beachtung der Grundrechtsgarantien des Art. 6 Abs. 1 GG abzuwägen.

Dem genannten Ordnungsinteresse der Wahrung der Eheschließungsfreiheit stehen gravierende Eheerhaltungsinteressen beider Ehegatten gegenüber.

Die Ehegatten leben seit nunmehr annähernd acht Jahren in ehelicher Gemeinschaft. Während dieser gesamten Zeit hat die Antragsgegnerin ihren Ehemann, mit dem eine Verständigung inzwischen nicht mehr möglich ist, gepflegt. Diese langjährige Aufopferung ist typischer Ausdruck gelebter ehelicher Solidarität in Verantwortungsgemeinschaft füreinander (§ 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB). Die Antragsgegnerin, die im Hinblick auf ihre Pflegetätigkeit nach wie vor keiner eigenen Erwerbstätigkeit nachgeht, bekennt sich auch weiterhin zu dieser Gemeinschaft und zu der Ehe. Durch eine Eheaufhebung würde der langjährig gewachsenen Lebensgemeinschaft der Antragsgegner die rechtliche und gesellschaftliche Grundlage entzogen.

Dieses Eheerhaltungsinteresse überwiegt das staatliche Ordnungsinteresse im vorliegenden Fall deutlich. Letzteres liegt, wie ausgeführt, hier im Wesentlichen nur in der Wahrung der Eheschließungsfreiheit an sich. Der insoweit zu schützenden Person, dem Antragsgegner, ist mit der Wiederherstellung seiner Eheschließungsfreiheit jedoch nicht gedient. Er ist nur noch auf die fortwährende fürsorgliche Pflege durch seine Ehefrau angewiesen. Hinzu kommt, dass die Standesbeamtin über die besonderen Umstände und mögliche Bedenken gegen die Ehegeschäftsfähigkeit des Antragsgegners informiert war und die Antragsgegnerin eine spätere Aufhebung der Ehe somit nicht befürchten musste. Bei diesen Gegebenheiten stellte die Aufhebung der Ehe für beide Ehegatten eine so schwere Härte dar, dass die Aufrechterhaltung der Ehe ausnahmsweise geboten erscheint. Somit fehlt es an der für die Aufhebung der Ehe notwendigen Prozessvoraussetzung.

BGH v. 11.04.2012 XII ZR 99/10

 

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