Anmerkungen zum kollektiven Rechtsschutz im Kartellrecht

von Dr. Rolf Hempel, veröffentlicht am 25.06.2012

Der kollektive Rechtsschutz gehört zu den Themen, die mich sehr interessieren (vgl. zuletzt hier). Deswegen muss ich doch auch noch meinen Senf zu den (Fehl-) Vorstellungen im aktuellen Gesetzgebungsverfahren für eine 8. GWB-Novelle dazugeben. Über die Eckpunkte und den Referentenentwurf für eine 8. GWB-Novelle aus dem letzten Jahr hatte ich ja schon berichtet (hier und hier).

Der Regierungsentwurf sieht – wie schon der Referentenentwurf – zum Thema des kollektiven Rechtsschutzes vor, dass die Klagebefugnis für die (subsidiäre) Vorteilabschöpfung nach § 34 a GWB auf Verbraucherschutzverbände und Verbände der Marktgegenseite ausgedehnt werden soll.

Im Mai hat sich der Bundesrat zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung geäußert (vgl. Stellungnahme vom 11.05.2012, Bundesrats-Drucksache 176/12 (Beschluss)).

Der bisherige § 34 a GWB soll "geschärft" werden. Das Vorsatzerfordernis und das "Streuschadens"-Erfordernis sollen entfallen. Die Verbände werden aber weiterhin nicht direkt am Erstrittenen beteiligt. Der abgeschöpfte wirtschaftliche Vorteil soll nicht mehr in den allgemeinen Bundeshaushalt fließen, sondern in ein Sondervermögen des Bundes zur Finanzierung der Verbraucherarbeit. Das Sondervermögen soll auch zur Erstattung von erforderlichen Aufwendungen für die Geltendmachung verwendet werden. Dies dient der Verringerung des Prozesskostenrisikos für die Verbände, um Klagehemmnisse abzubauen. Etwas missverständlich drückt sich der Bundesrat aus, wenn er formuliert: "Klagebefugte Verbände und Einrichtungen solltenwie die Kartellbehörde bei der Vorteilsabschöpfung berechtigt sein, die Höhe des wirtschaftlichen Vorteils zu schätzen". Gemeint sein kann damit wohl nur, dass das Gericht, das von den Verbänden angerufen wird, berechtigt ist, den wirtschaftlichen Vorteil zu schätzen. Man wird diese Einschätzung kaum den Verbänden überlassen können. Wollte man dies machen, müsste man jedenfalls – wie bei § 287 ZPO – verlangen, dass geeignete Schätzgrundlagen vorgetragen werden.

Zum neuen § 34 a GWB soll sich nach den Vorstellungen des Bundesrates ein § 34 b hinzugesellen. Dieser behandelt das schon in § 34 a genannte Sondervermögen des Bundes. Interessanterweise soll es unter der Obhut des BMELV stehen.

Was ist von den Vorschlägen zu halten? Nichts.

Die besondere Problematik des kollektiven Rechtsschutzes besteht ja darin, dass der richtige Weg zwischen einer Skylla eines wirkungslosen Instruments (Papiertiger) und der Charybdis eines zu Zwecken der Erpressung einsetzbaren Instruments (Frankenstein-Monster) gewählt werden muss. Dazu dürfte es erforderlich sein, den Organisator des kollektiven Instruments am Erstrittenen zu beteiligen, weil nur auf diese Weise ein Interessengleichklang zwischen Organisator und Geschädigten hergestellt werden kann. Zugleich darf der Klageanreiz nicht so groß werden, dass die Klage zu Erpressungszwecken eingesetzt wird. Angesichts dessen sollte man also lieber bleiben lassen.

Das vom Bundesrat vorgeschlagene Instrument ist von der in Deutschland üblichen Naivität geprägt, die Verbände würden schon objektive Interessen wahrnehmen. Dabei ist die Anreizstruktur von Verbänden bislang ziemlich unerforscht. Wer kann ausschließen, dass strukturell die gleichen Interessendivergenzen bestehen, wie sie bei der US-amerikanischen class action zwischen Anwalt und Klasse gesehen werden?

Letztlich wird es von der Großzügigkeit der Kostenerstattung aus dem Sondervermögen abhängen, wie wirksam das vorgeschlagene Instrument und wie groß die damit verbundene Missbrauchsgefahr ist.

Zur Idee, den Verbraucherschutz aus den abgeschöpften Vorteilen zu fördern (wie im Übrigen - nach den Vorstellungen des Bundesrats - aus den eingenommenen Bußgeldern, vgl. § 82 a GWB) kann aus Sicht eines Kartellrechtlers nur folgendes angemerkt werden. Es ist Vorsicht geboten. Verbraucherschutz ist – etwas vereinfacht gesagt - dort gut, sinnvoll und erforderlich, wo Informationsasymmetrien zwischen dem Verbraucher einerseits und dem Anbieter der Ware oder Dienstleistung andererseits bestehen und zu hohen Transaktionskosten seitens der Verbraucher zu Überwindung der Asymmetrien führen würden. Verbraucherschutz kann aber kein Selbstzweck sein. Zu viel Verbraucherschutz ist schädlich und führt zu einer Verteuerung der Produkte, ohne dass ein entsprechender Nutzen damit verbunden ist.

Das weitere Gesetzgebungsverfahren bleibt spannend.

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