BGH: Bewusstes Auffahrenlassen - hohe Anforderungen an die Feststellung der "konkreten Gefährdung"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 28.06.2012
Rechtsgebiete: konkrete GefährdungStrafrechtVerkehrsrecht|3250 Aufrufe

Meines Erachtens hat der BGH hier die Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen, die für eine Verurteilung nach § 315b StGB notwendig sind, ganz schön hochgeschraubt. Verteidiger wird`s freuen:

 

 

1. a) Nach den zu diesem Fall getroffenen Feststellungen verursachte der Angeklagte mit seinem Pkw Audi am 27. März 2005 in der Absicht, seine eigenen unberechtigten Schadensersatzansprüche zu Lasten der Versicherung des Unfallgegners abzurechnen, auf einer mehrspurigen Straße in der Innenstadt von G. einen Auffahrunfall. Er bremste sein Fahrzeug ohne äuße ren Anlass auf der Rechtsabbiegerspur bis zum Stillstand ab, so dass der hinter ihm fahrende Zeuge F. , der damit nicht gerechnet hatte, trotz sofort eingelei- teten Bremsmanövers nicht mehr rechtzeitig anhalten konnte und auf den Pkw
des Angeklagten auffuhr. Die Kfz-Haftpflichtversicherung zahlte an den Angeklagten Versicherungsleistungen in Höhe von insgesamt 1428,68 Euro, die sich aus Reparaturkosten in Höhe von 1138,40 Euro, Gutachterkosten in Höhe von 270,28 Euro und einer Kostenpauschale von 20 Euro zusammensetzten. An dem vom Zeugen F. gefahrenen Pkw entstand ein Schaden in Höhe von 160 bis 170 Euro.
b) Das Landgericht hat die Voraussetzungen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 2 und 3, Abs. 3 in Verb. mit § 315 Abs. 3 Nr. 1 a und b StGB als erfüllt angesehen; der Angeklagte habe gehandelt, um einen Unglücksfall herbeizuführen und eine andere Straftat zu ermöglichen. Für den Zeugen F. und seine Beifahrerin habe die konkrete Ge- fahr nicht unerheblicher Verletzungen infolge des Aufpralls vor allem im Kopf- und Halswirbelsäulenbereich bestanden; an dem Fahrzeug des Zeugen, das jedenfalls über 1300 Euro wert gewesen sei, hätte es zu weiteren, erheblichen Schäden kommen können, was der Angeklagte erkannt und billigend in Kauf genommen habe.
2. Das hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
a) Zutreffend ist das Landgericht allerdings davon ausgegangen, dass die absichtliche Herbeiführung eines Auffahrunfalls nach der ständigen Recht-sprechung des Bundesgerichtshofs das Bereiten eines Hindernisses im Sinne des § 315b Abs. 1 Nr. 2 bzw. des § 315 Abs. 1 Nr. 2 StGB darstellt (Senatsur-teile vom 18. März 1976 – 4 StR 701/75, VRS 53, 355, und vom 12. Dezember 1991 – 4 StR 488/91, BGHR StGB § 315b Abs. 1 Nr. 2 Hindernisbereiten 1; Senatsbeschluss vom 25. Januar 2012 – 4 StR 507/11, Tz. 9). Mit der allgemein gehaltenen Erwägung, wegen des plötzlichen Aufpralls des Fahrzeugs des Zeugen F. auf den Pkw des Angeklagten habe die konkrete Gefahr erheblicher Verletzungen des Zeugen und der Beifahrerin insbesondere im Kopf- und Halswirbelsäulenbereich bestanden, ist die erforderliche konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB jedoch nicht hinreichend belegt. Vielmehr sind regelmäßig genaue Feststellungen insbesondere zu den Geschwindigkeiten der Pkws im Zeitpunkt der Kollision und der Intensität des Aufpralls zwischen den beteiligten Fahrzeu-gen erforderlich (Senatsbeschlüsse vom 20. Oktober 2009 – 4 StR 408/09, NStZ 2010, 216; vom 25. Januar 2012 – 4 StR 507/11, Tz. 11). Solche Feststellungen fehlen im Urteil, das Angaben zur Geschwindigkeit des vom Angeklagten geführten Fahrzeugs lediglich für den Zeitraum vor Einleitung des plötzlichen Bremsmanövers enthält; der Zeuge F. gab an, er sei mit "mäßiger Geschwindigkeit" gefahren (UA S. 35). Auch das festgestellte Schadensbild erlaubt hier keinen sicheren Schluss auf eine konkrete Leibesgefahr. Angesichts des tatsächlich eingetretenen geringen Fremdschadens und der Tatsache, dass es zu keinen Verletzungen gekommen ist, liegt sie eher fern.

 

b) Entsprechendes gilt, soweit das Landgericht eine Gefährdung fremder Sachen von bedeutendem Wert angenommen hat. Nach den Feststellungen ist an dem vom Zeugen F. geführten Fahrzeug ein Sachschaden in Höhe von lediglich 160 bis 170 Euro entstanden. Die konkrete Gefahr weiterer Schäden ist nicht mit Tatsachen belegt. Dass das Landgericht mit 1300 Euro von einer höheren als der nach der Rechtsprechung des Senats maßgeblichen Wertgren-ze von 750 Euro ausgegangen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 28. September 2010 – 4 StR 245/10, NStZ 2011, 215), beschwert den Angeklagten nicht.

 

c) Die getroffenen Feststellungen rechtfertigen daher lediglich eine Verurteilung wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, § 315 Abs. 2, 3 Nr. 1 StGB).

 

 

BGH, Beschluss  vom 25.4.2012 - 4 StR 667/11

 

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