Kein teures Pflaster in Berlin

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 04.07.2012
Rechtsgebiete: KindesunterhaltWohnkostenFamilienrecht4|4610 Aufrufe

Berlin. Ein Vater muss für seine Tochter Unterhalt bezahlen. Sie macht nicht einmal den Mindestunterhalt (334 €), sondern nur 218,74 € geltend.

Aber auch die will er nicht zahlen. Er wohne doch so schrecklich teuer (Miete 494 €). Der Wohnkostenanteil in der Düsseldorfer Tabelle sei zu seinen Gunsten um die Differenz von (494 € ./. 360 €) 134 € zu erhöhen mit der Folge, dass sein Selbstbehalt entsprechend höher ausfallen und nicht mehr lediglich 770 €, sondern 904 € betragen müsse.

Damit fand er in 2 Instanzen kein Gehör.

Das Kammergericht:

Zunächst einmal sind - mit dem Familiengericht - ganz erhebliche Zweifel an der Unvermeidbarkeit erhöhter Wohnkosten angezeigt: Es nicht ersichtlich, dass es für den Antragsgegners nicht möglich sein bzw. gewesen sein sollte, eine günstigere Wohnung anzumieten. Insbesondere die großen Wohnungsbaugesellschaften in Berlin bieten in fast allen Stadtteilen günstigen Wohnraum an; teilweise werden Mieter derzeit sogar regelrecht gesucht.

Der Hinweis des Antragsgegners, ihm sei seinerzeit keine andere Wahl geblieben, als die hier in Rede stehende Wohnung anzumieten, weil er aufgrund eines polizeilichen Platzverweises im Februar 2011 die bisherige Ehewohnung habe verlassen müssen und er sich damals gerade aufgrund einer akuten Phase seiner Alkoholerkrankung in stationärer Behandlung befunden habe, die es ihm nicht ermöglichte, in dem eigentlich gebotenen Maße nach einer günstigen Wohnung zu suchen, greift nicht: Zunächst einmal erscheint es bedenklich, wenn der Antragsgegner sich auf den polizeilichen Platzverweis und damit auf eigenes Fehlverhalten beruft, um zu rechtfertigen, weshalb er - angeblich - nicht in der Lage sei, seiner Tochter in ausreichendem Maße Unterhalt zu leisten.

Entscheidend ist jedoch, dass die Trennung der Ehegatten und damit die Notwendigkeit für den Antragsgegner, sich eigenen Wohnraum zu beschaffen, bereits ein Jahr zurückliegt: Es ist gerade nicht so, dass der Antragsgegner vorträgt, der Selbstbehalt sei lediglich übergangsweise zu seinen Gunsten zu modifizieren, sondern seinem Vortrag zufolge soll der Selbstbehalt praktisch auf Dauer erhöht, der Kindesunterhalt also dauerhaft gekürzt werden. Das erscheint unter Berücksichtigung der Gesamtsituation nicht hinnehmbar…..

Ganz entscheidendes Gewicht kommt schließlich dem Umstand zu, dass das Verlangen des Antragsgegners nach einer Anpassung des Selbstbehaltssatzes aufgrund erhöhter Wohnkosten gegenüber dem Unterhaltsverlangen eines minderjährigen Kindes geltend gemacht wird: Hier ist einmal zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner gehalten ist, alle verfügbaren Mittel gleichmäßig zu seinem Unterhalt und demjenigen des Kindes zu verwenden (§ 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB) und zum anderen, dass der Antragsgegner aufgrund seiner geringen Erwerbsunfähigkeitsrente noch nicht einmal in der Lage ist, den eigentlich gebotenen Mindestunterhalt, sondern lediglich einen etwa um ein Drittel niedrigeren Mangelfallunterhalt zu leisten. Bei dieser Ausgangslage erscheint offensichtlich, dass vom Antragsgegner erwartet werden kann, sich in seinen Wohnbedürfnissen im Interesse der minderjährigen Tochter - zumal diese noch für längere Zeit unterhaltsbedürftig sein wird - einzuschränken;

 

KG v. 14.02.2012 - 17 WF 25/12

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4 Kommentare

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Also ich habe da vom Berliner Wohnungsmarkt ganz anderes gehört. Gerade in letzter Zeit. Billige Wohnungen setzen auch in Berlin mittlerweile teils erhebliche Eigeninvestitionen voraus (Renovierung, die teilweise schon als Sanierung bezeichnet werden muss), die dann wiederrum vom Einkommen abzuziehen wären. Aber da wäre wohl ein Sachverständigenbeweis drüber erforderlich gewesen.

Die Argumentation hinsichtlich der Alkoholsucht ist auch etwas krude. Weil er aufgrund seiner Alkoholsucht einen Platzverweis erhielt, soll er sich nicht darauf berufen dürfen, aufgrund der Alkoholsucht nicht in der Lage gewesen zu sein, eine günstigere Wohnung zu suchen. Wäre er also deswegen nicht rausgeworfen worden, sondern wäre von selbst ausgezogen, dürfte er sich darauf berufen oder lieber gar nicht, weil sie Alkoholsucht Schuld eigene ist?

Das wird zwar durch den Umstand etwas abgemildert, dass die Wohnkosten dauerhaft erhöht haben wollte. Aber dann ist das das durchgreifende Argument.

@Malte S.

In der Entscheidung steht  gar nichts davon, dass Grund für den Platzverweis die Alkoholabhängigkeit war.

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Das sind ganz einfache Rechnungen.

 

Die Mieten für Neuvermietungen sind auf den zahlreichen grossen Immobilienportalen leicht zu recherchieren, sie liegen in Berlin kalt meistens bei 6 bis 7 EUR, wenn man bessere Wohnungen oder umgekehrt feuchte Kellerwohnungen weglässt und davon ausgeht, dass es keinen Grund gibt, in einem bestimmten Stadtteil zu wohnen.

 

Einem alleinstehenden ALG-2 Empfänger werden 45-50qm genehmigt, ein Unterhaltspflichtiger wird nicht zu viel weniger zu zwingen sein, vor allem wenn regelmässig Nachwuchs mit übernachtet. Die Nebenkosten kann man sich auch ausrechnen: Heizkosten (Grundlage: 150kwh pro qm, da sicherlich nur Altbau), Wasser, Müllentsorgung, Schornsteinfeger, auf Mieter umgelegte Versicherungen und Steuern, Hauskosten. Warmwasser mit 18% der Heizkosten. Strom nicht. Somit wird schnell klar, dass die pauschalen 360 EUR Gesamt-Wohnkosten selbst im billigen Berlin kaum haltbar sind. In welcher Höhe genau, bliebe nach Vorlage der konkreten Kosten zu beurteilen. 

 

Dabei ist die Argumentation mit einem lange zurückliegenden Platzverweis genauso wie die angeblich so mässige geforderte Unterhaltshöhe eine Finte ohne Relevanz. Müsste der Pflichtige etwa weniger bezahlen, wenn stattdessen viel mehr gefordert worden wäre? Absurd.

Warum wohl die Jobcenter, die sich vermutlich wesentlich intensiver über die sogenannten KdU informiert haben, diese differenziert und zumeist deutlich höher einschätzen als die Familiengerichte.

 

Wie weltfremd die Annahmen der Familiengerichte sind, kann man schon daraus schließen, dass die Annahme von 360,-€ seit Jahren nicht erhöht wurde, während die Mieten, gerade in den letzten Jahren sehr deutlich gestiegen sind.

Ebenso wie die Unterhaltssätze.

So als wenn die Mieten nur für Unterhaltsempfänger steigen würden nicht aber für Unterhaltspflichtige.

 

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