Lehrer war Hand ausgerutscht – fristlose Kündigung gleichwohl unwirksam

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 13.07.2012

 

Tätlichkeiten von Lehrern gegenüber Schülern können nicht nur strafrechtliche Folgen nach sich ziehen. Sie stellen vor allem auch einen Verstoß gegen die Dienstpflichten des Lehrers dar. Angestellte Lehrer müssen daher mit arbeitsrechtlichen Sanktionen rechnen, die von der Abmahnung bis zur fristlosen Kündigung reichen können. Allerdings gibt es auch hier keinen absoluten Kündigungsgrund, der unter allen Umständen die fristlose Kündigung rechtfertigt. Für § 626 BGB ist eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles erforderlich. So hat das LAG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 22.9.2011 – Az. 4 Sa 404/10) hat vor kurzem einem von fristloser Kündigung betroffenen Lehrer in zweiter Instanz recht gegeben. Dem Lehrer war von seinem Arbeitgeber, dem Land Sachsen-Anhalt, vorgeworfen worden, eine Schülerin geschlagen zu haben. Die Einlassung des Pädagogen, die Schülerin habe ihn nach vorherigen Beschimpfungen auf seine erkrankte Schulter geschlagen, so dass seine Handlung sich als Abwehrreflex dargestellt habe, hatte der Arbeitgeber im Hinblick auf den Beruf des Pädagogen, der eine Lösung von Disziplinproblemen durch Handgreiflichkeiten ausschließe, nicht akzeptiert. Das beklagte Land hat am zunächst eine fristlose Kündigung und einige Monate später hilfsweise eine ordentliche fristgerechte Kündigung ausgesprochen. In dem daraufhin von den Lehrer angestrebten beiden Kündigungsschutzverfahren gegen die fristlose Kündigung vom 08.03.2010 und gegen die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 27.08.2010 hatte das Arbeitsgericht Magdeburg festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen L. und dem Land Sachsen-Anhalt durch keine der beiden Kündigungen aufgelöst worden sei. Gegen beide Urteile ist das beklagte Land in Berufung gegangen. In dem Berufungsverfahren über die fristlose Kündigung hat das LAG nach umfangreicher Beweisaufnahme - 11 Lehrer und Schüler wurden als Zeugen vernommen - festgestellt, dass eine besondere Situation vorgelegen habe, in welcher das Handeln des Lehrers im Zusammenhang mit eskalierenden Verhaltensweisen von Schülern gestanden habe. Auch der Personalrat hatte hatte bereits in seiner Stellungnahme zur fristlosen Kündigung auf die besondere Situation der Auseinandersetzung hingewiesen. Zudem konnte letztendlich nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei der Handlung des Lehrers um einen Reflex handelte. Über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 27.08.2010 ist noch keine Berufungsentscheidung ergangen. Auch insoweit dürfte die Chancen des gekündigten Lehrers wohl nicht schlecht stehen.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

1 Kommentar

Kommentare als Feed abonnieren

Früher gab es das Züchtigungsrecht der Pädagogen, heute gibt es offensichtlich das Züchtigungsrecht der Schüler. Nicht alle Lehrer sind katholisch und halten auch die andere Wange hin. Wenn die Reaktion aber noch nicht einmal bewußt gesteuert war, soll dies trotzdem arbeitsrechtliche Konsequenzen haben? Vegetative Reaktion als bewußte grobe Verletzung des Arbeitsvertrages? Warum dann nicht auch Niesen als bakterieller Angriff oder die Abgase des eigenen Autos als Vergiftung der Schulluft? Ein bißchen mehr Aufklärungsarbeit und Rückendeckung würde man sich von seinem Arbeitgeber schon wünschen. Aber das Land hat natürlich Angst, seinerseits auf Schadensersatz verklagt zu werden, denn in den Augen der Eltern sind ja ihre Kinder immer Engel. Dann also lieber den Weg des geringsten Widerstandes? Ob das dem Arbeitsklima förderlich ist?

3

Kommentar hinzufügen