Ausnehmen des vom Gericht nicht angewandten § 64 StGB vom Rechtsmittelangriff – BGH-Rechtsprechung wieder einheitlich

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 10.08.2012

 

Die Situation findet sich in der Praxis häufig: Der zu einer Freiheitsstrafe verurteilte Angeklagte, bei dem ein Hang i.S. des § 64 StGB in Betracht kommt, greift seine Verurteilung mit der Revision an – und bedenkt dabei nicht, dass das angefochtene Urteil im Rahmen der Sachrüge auch daraufhin überprüft wird, ob von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu Recht abgesehen wurde; das Verschlechterungsverbot nach § 358 StPO steht einer solchen Überprüfung nicht entgegen (BGHSt 37, 5 = NJW 1990, 2143). Das kann „böse“ enden, wenn nicht das Revisionsgericht mit Blick auf die geschilderte Rechtslage anregt, das Rechtsmittel zurückzunehmen.

 

Will in einem solchen Fall der Angeklagte zwar seine Verurteilung überprüfen lassen, nicht aber das Risiko eingehen, dass sein Rechtsmittel zum Schuld- und Strafausspruch scheitert, aber die unterbliebene Anordnung der Unterbringung beanstandet wird, konnte er nach früher einheitlicher BGH-Rechtsprechung die Nichtanwendung des § 64 StGB von Rechtsmittelangriff ausnehmen, sofern im Einzelfall der Strafausspruch unabhängig von der Unterbringung beurteilt werden kann (BGHSt 38, 362 = NJW 1993, 477). In zwei Entscheidungen vom 15.6.2011 – 2 StR 140/11 – und vom 22.6.2011 – 2 StR 139/11 – scherte der 2. Strafsenat aus, in dem generalisierte, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt regelmäßig nicht losgelöst vom Strafausspruch überprüfbar sei.

 

Die dadurch entstandene Rechtssicherheit hat der2. Strafsenat mit Urteil vom 2.11.2011 – 2 StR 251/11 – beseitigt und „klarstellend“ betont, dass es bei der bisherigen Rechtsprechung verbleibe.

 

Auch wenn damit die Einheitlichkeit der BGH-Rechtsprechung wiederhergestellt ist, sollte kein Verteidiger übersehen, dass es durchaus Konstellationen bei Nichtanwendung des § 64 StGB gibt, bei denen Strafausspruch und Maßregelentscheidung untrennbar miteinander verbunden sind, z.B. wenn die Entscheidung über eine Strafrahmenmilderung wegen alkoholbedingter Enthemmung gemäß § 21 StGB und das Versagen der Unterbringung nach § 64 StGB auf denselben Gesichtspunkten beruhen (BGH Beschluss vom 14.7.1993 – 2 StR 352/93 = BeckRS 1993, 31090245) 

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