Keine Abmahnung bei erstmaliger Verletzung der Anzeige- und Nachweispflichten bei Krankheit?

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 20.08.2012

Nach Auffassung des ArbG Berlin soll die erstmalige Verletzung der Anzeige- und Nachweispflichten bei Krankheit den Arbeitgeber nicht zu einer Abmahnung berechtigen (ArbG Berlin, Urt. vom 08.06.2012 - 28 Ca 6569/12, BeckRS 2012 71305).

Enthalte der Arbeitsvertrag keine Regelung, die dem Arbeitnehmer die Rechtslage, insbesondere seine Pflicht, eine Verlängerung der ursprünglich angezeigten Arbeitsunfähigkeit erneut mitzuteilen, verdeutlicht, so könne der Arbeitgeber nicht schon den ersten Verstoß zum Gegenstand förmlicher Missbilligung in Form einer Abmahnung machen. Er habe den betreffenden Pflichtenkreis des Arbeitnehmers vielmehr zunächst erst klarzustellen, ehe er ggf. im Wiederholungsfall abmahnen könne.

Das Gericht ist also offenbar der Überzeugung, dass der Arbeitgeber im Arbeitsvertrag Pflichten, die den Arbeitnehmer bereits kraft Gesetzes treffen, nochmals wiederholen muss. Die dahinter stehende Annahme, dem Arbeitnehmer sei die Kenntnis des Gesetzes nicht zuzumuten, wohl aber die Lektüre seines Arbeitsvertrages, erscheint indessen nicht unangreifbar.

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10 Kommentare

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Zu erwägen ist dabei:

- § 5 (1) S.4 EntgFG nennt - im Gegensatz zur AU-Anzeige, die unverzüglich erfolgen muss - keine Frist, innerhalb derer eine Folgebescheinigung des Arztes vorzulegen ist.

- enthält der Arbeitsvertrag keine Regelung, innerhalb welcher Frist eine Folgebescheinigung vorgelegt werden muss, gibt es auch keine Rechtsgrundlage für eine Abmahnung.

Das Gericht ist also offenbar der Überzeugung, dass der Arbeitgeber nur dann abmahnen darf, wenn arbeitsvertraglich vereinbarte oder gesetzlich eindeutig definierte Pflichten verletzt sind. Die Gegenposition, der Arbeitgeber dürfe abmahnen, wenn ihm etwas nicht passt, erscheint indessen nicht unangreifbar.

Mein Name schrieb:

Zu erwägen ist dabei:

- § 5 (1) S.4 EntgFG nennt - im Gegensatz zur AU-Anzeige, die unverzüglich erfolgen muss - keine Frist, innerhalb derer eine Folgebescheinigung des Arztes vorzulegen ist.

Das glaubt übrigens nichtmal das ArbG Berlin:

 

ArbG Berlin: Urteil vom 08.06.2012 - 28 Ca 6569/12

Leitsätze:

1. Dauert erkrankungsbedingte Arbeitsunfähigkeit über den zunächst bescheinigten Zeitraum hinaus an, so trifft den erkrankten Arbeitnehmer entsprechend § 5 I 1 EFZG die Pflicht, dem Arbeitgeber die Fortdauer unverzüglich anzuzeigen (wie Hessisches LAG 1.12.2006 - 12 Sa 737/06 - EEK 3289). (amtlicher Leitsatz)[...]

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Satz 4 spricht nicht von einer "Folgebescheinigung", die möglicherweise anderen Regelungen unterfallen könnte, sondern bestimmt, dass "eine neue ärztliche Bescheinigung" vorzulegen ist. Es handelt sich also bei der sog. Folgebescheinigung rechtlich um eine ganz normale AU-Bescheinigung, auf die auch Satz 1-3 anwendbar sind.

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Bleibt trotzdem die Frage, welche Rechte der Arbeitgeber aus dem Verstoß gegen § 5 EntgFG direkt herleiten kann, wenn keine weitergehenden Regelungen im Arbeitsvertrag stehen.

Da es um die Entgeltfortzahlung geht, hat der AG nach § 7 EntgFG das Recht, die Entgeltfortzahlung zu verweigern.

Eine Gesetzesvorschrift wird nicht automatisch ein Bestandteil eines privatrechtlichen Vertrags, aus dem sich das Recht zur privatrechtlichen Sanktion wie einer Abmahnung herleiten lässt. Dazu bedarf es schon einer gesonderten Vereinbarung oder, wie es das AG formuliert hat, eine Klarstellung des Pflichtenkreises des Arbeitnehmers.

Der Arbeitgeber darf den Arbeitnehmer also darüber informieren, dass er gegen seine Pflichten verstoßen hat, soll ihm aber den Hinweis vorenthalten, dass ein solcher Pflichtverstoß im Wiederholungsfall zu Kündigung führen kann? Sehr seltsam!

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rasmus schrieb:
soll ihm aber den Hinweis vorenthalten, dass ein solcher Pflichtverstoß im Wiederholungsfall zu Kündigung führen kann? Sehr seltsam!
Wie kommen Sie denn darauf?

Man kann auf einen Pflichtverstoß auch hinweisen, ohne gleich eine Abmahnung auszusprechen und in diesem Hinweis die weiteren arbeitsrechtlichen Konsequenzen darlegen.

Ist die Differenzierung denn so schwierig zu verstehen?

Versäumnis des Arbeitnehmers nach EntgFG -> Recht des Arbeitgebers aus dem EntgFG (= keine Entgeltzahlung)

Versäumnis des Arbeitnehmers nach Arbeitsvertrag -> Recht des Arbeitgebers nach Arbeitsrecht (Abmahnung, Kündigung)

Keine Vereinbarung im Arbeitsvertrag zu AU-Bescheinigungen -> kein Recht, sofort abzumahnen

Mein Name schrieb:

Man kann auf einen Pflichtverstoß auch hinweisen, ohne gleich eine Abmahnung auszusprechen und in diesem Hinweis die weiteren arbeitsrechtlichen Konsequenzen darlegen.

Wodurch unterscheidet sich das von einer Abmahnung?

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rasmus schrieb:

Wodurch unterscheidet sich das von einer Abmahnung?

Dass es nicht in der Personalakte landet z.B.?

Wenn ein Hinweis auf einen Pflichtenverstoß verbunden mit einem Hinweis auf mögliche arbeitsrechtliche Konsequenzen Ihrer Auffassung nach zulässig ist, müsste man diesen, oder wenn die Hinweise mündlich erfolgen einen Vermerk hierüber, doch auch in die Personalakte aufnehmen können? Mir kommt die Argumentation ehrlich gesagt etwas surreal vor. Ein Hinweis, der alle Bestandteile einer Abmahnung enthält, aber keine sein soll?

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Mein Name schrieb:

rasmus schrieb:
soll ihm aber den Hinweis vorenthalten, dass ein solcher Pflichtverstoß im Wiederholungsfall zu Kündigung führen kann? Sehr seltsam!
Wie kommen Sie denn darauf?

Man kann auf einen Pflichtverstoß auch hinweisen, ohne gleich eine Abmahnung auszusprechen und in diesem Hinweis die weiteren arbeitsrechtlichen Konsequenzen darlegen.

Ist die Differenzierung denn so schwierig zu verstehen?

Versäumnis des Arbeitnehmers nach EntgFG -> Recht des Arbeitgebers aus dem EntgFG (= keine Entgeltzahlung)

Versäumnis des Arbeitnehmers nach Arbeitsvertrag -> Recht des Arbeitgebers nach Arbeitsrecht (Abmahnung, Kündigung)

Keine Vereinbarung im Arbeitsvertrag zu AU-Bescheinigungen -> kein Recht, sofort abzumahnen

 

Der alleinige Hinweis auf Pflichtverstöße ohne Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen/Warnfunktion wird auch als Ermahnung bezeichnet. Ist doch gängige Praxis, ohne gleich zur "Keule" der Abmahnung zu greifen. Das im Wiederholungsfall nach solch einem eindeutigen Hinweis auf eine Pflichtverletzung dann sicher eine Abmahnung fällig ist, ist häufig die Konsequenz. Insoweit ist die Auffassung des ArbG Berlin nachvollziehbar.

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