Verdient die Ex-Frau des belgischen Kinderschänders Marc Dutroux, auf Bewährung vorzeitig entlassen zu werden?

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 29.08.2012

Zur Erinnerung: Michelle Martin, die frühere Ehefrau und Komplizin des belgischen Kinderschänders Marc Dutroux, war 1996 nach der Entdeckung des Verließes für die Entführungsopfer im gemeinsam bewohnten Haus in Charleroi festgenommen und 2004 zu einer Freiheitstrafe von 30 Jahren verurteilt worden. Nach dem Urteilsspruch hatte sie ihrem damaligen Mann bei der Entführung und Vergewaltigung von sechs Mädchen geholfen, von denen er zwei tötete und zwei in einem Kellerverlies verhungern ließ. Frau Martin wurde vorgeworfen, dass sie die beiden acht Jahre alten Mädchen Julie Lejeune und Mélissa Russo in ihrem Verlies hatte verhungern lassen, während Dutroux eine Freistrafe von vier Monaten wegen Diebstahls absaß. Stets hatte sie sich als willenloses Werkzeug ihres Mannes dargestellt.

Am Dienstagabend ist  die nun 52-jährige Frau, nachdem sie 16 Jahre in Haft saß, aus dem Frauengefängnis in Brüssel entlassen. Sie will künftig in einem katholischen Kloster leben. Begleitet war die Entlassung von massiven Protesten, nachdem die Staatsanwaltschaft und die Angehörigen der Opfer mit ihrem Bemühen gescheitert waren , die Entlassung auf Bewährung zu verhindern.

Nach belgischem Recht ist eine Freilassung nach Verbüßung eines Drittels der Haftstrafe möglich. Der Anwalt von Dutroux teilte unterdessen mit, nun hoffe auch sein zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilter Mandant auf vorzeitige Entlassung.

Verdient jemand wie Michelle Martin, Marc Dutroux oder  in einigen Jahren  auch Anders Behring Breivik (hier im Blog tauchte diese Frage schon auf) wirklich eine zweite Chance? In der heutigen SZ diskutiert die Philosophin Hannah-Barbara Gerl-Falkovitz über das böse im Menschen, göttliche Vergebung und den Umzug von Frau Martin in ein katholisches Kloster. 

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12 Kommentare

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Ob sie eine zweite Chance "verdient"? Sonderbare Formulierung für einen Strafrechtler.  Ich kenne zwar das belgische Bewährungsrecht nicht. Aber nach dem StGB liegt es nicht im Ermessen des Richters, ob jemand auf Bewährung zu entlassen ist.  Unter den Voraussetzungen des § 57 StGB muß das Gericht eine Strafe zur Bewährung aussetzen, wenn dies unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit verantwortet werden kann, so schrecklich die abgeurteilten Taten auch gewesen sein mögen.

 

Nach ständiger Rechtsprechung der deutschen Obergerichte kommt es im Falle von Tötungsdelikten darauf an, ob die Gefahr besteht, daß der Verurteilte erneut töten oder schwere Gewalttaten verüben wird. Das Risiko anderer Straftaten ist danach hinzunehmen.  Eine Wiederholung von Mordtaten ist jedoch nur in den wenigsten Fällen zu erwarten, da es sich um singuläre Ereignisse unter ganz bestimmten Umständen gehandelt hat. In einem Kloster dürfte sich das nicht wiederholen.

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Für mich ist die Justiz unglaubwürdig und inkonsequent wenn ein Schwerverbrecher eine Strafe von 30 Jahren bekommt und vorzeitig nach 16 Jahren entlassen wird.

Völlig außeracht gelassen wird bei vorzeitigen Begnadigungen, dass lebenlange schwere Leiden der "Überlebenden oder Angehörigen" nach Morden oder anderen Schwerverbrechen.

In anderen Ländern gibt es zum Teil Urteile mit mehrfachen lebenlänglich und die Täter werden dann auch vorzeitig entlassen. Auch unbegreiflich.

Gibt es Auswertungen wie oft Mörder oder andere Schwerverbrecher vorzeitig entlassen wurden ?

Die Krönung ist, dass ein Generalstaatsanwalt im Fernsehen sagte, er würde seiner Tochter nach Sexualverbrechen abraten , überhaupt Anzeige zu erstatten, da Gerichtsverfahren zusätzlich belastend sind.  

Das ist meiner Meinung nach wie bei den Politikern, die viel versprechen und nicht einhalten. Eine Folge ist , dass immer weniger Menschen zum Wählen gehen.

 

 

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"Eine Wiederholung von Mordtaten ist jedoch nur in den wenigsten Fällen zu erwarten, da es sich um singuläre Ereignisse unter ganz bestimmten Umständen gehandelt hat. In einem Kloster dürfte sich das nicht wiederholen."

 

Den Teil kann ich nicht nachvollziehen. Wenn eine Person zu derartigen Taten fähig ist, wieso soll das zukünftig nicht mehr passieren. Was waren denn die Umstände, die so besonders waren, dass zukünfitge Fälle ausgeschlossen sind?

 

Zumal möglicherweise - ich kenne das belgische Recht nicht - Ihr Ex-Mann vielleicht auch rauskommt. Und wenn sie auch "einfach nur" hörig war, warum soll das nicht bei einem anderne Mann genauso sein. Das dürfte wohl mehr eine Charakterfrage sein und die ist eher nicht einmalig. Ist denn gewährleistet, dass sie immer im Kloster bleibt?

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@ RA Gerbracht

Meine Frage stellte ich zunächst einmal mit Blick auf die massiven Proteste in Belgien und nicht mit Blick auf die Rechtslage in Belgien oder auch Deutschland. Der Link auf das Interview in der SZ sollte aus meiner Sicht eine (rechtsphilosophische) Diskussion zu Schuld und Gerechtigkeit in einem solchen Fall anstoßen.

Wenn Sie meine Fragestellung auf die Rechtslage in Deutschland beziehen, dann klingt sie allerdigs „sonderbar“. Denn diese gibt, soweit ersichtlich, seit längerem zu keiner Diskussionen Anlass: In Deutschland war die Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe früher eine Domäne der Gnade. Erst mit Einfügen des § 57a StGB (der sich im Übrigen an die entsprechende Regelung bei zeitiger Freiheitsstrafe nach § 57 StGB anlehnt) im Jahr 1981 (solange ist es also noch gar nicht her) kam der Gesetzgeber der Forderung des BVerfG nach, dass ein zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilter die gesetzlich geregelte Möglichkeit haben muss, vor seinem Tod wieder in Freiheit zu gelangen. Damit konkretisiert die Vorschrift eine Forderung der Menschenwürde in der Strafvollstreckung und schafft einen Ausgleich zwischen dem Resozialisierungsanspruch und dem Freiheitsgrundrecht des zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten einerseits und dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit andererseits (BVerfG NJW 2009, 1941 Rn. 23).

Erwähnt sei noch für die  Nichtstrafrechtler: die Vollstreckung des Rests einer lebenslangen Freiheitsstrafe kann frühestens  zur Bewährung ausgesetzt werden , wenn 15 Jahre der Strafe verbüßt sind. Mit der Mindestverbüßungszeit tritt aber kein "Entlassungsautomatismus" ein. Zudem verlangt die Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe, dass diese unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. - Hat das Gericht die besondere Schwere der Schuld im Urteil festgestellt, scheidet trotz Mindestverbüßungszeit die Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe aus. Diese Schuldschwereklausel trägt dem Umstand Rechnung, dass eine lebenslange Freiheitsstrafe auf höchst unterschiedliche Schuldmaße gegründet ist und es demzufolge sachwidrig wäre, für alle zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten ohne Rücksicht auf ihre Schuld den Aussetzungszeitpunkt schematisch festzusetzen.

..ein zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilter die gesetzlich geregelte Möglichkeit haben muss, vor seinem Tod wieder in Freiheit zu gelangen.

 

Das bezieht sich auf den Täter.

 

Weshalb interessiert den Gesetzgeber / Juristen so gut wie nicht das lebenslange Leid der Überlebenden und Angehörigen ?

 

Ich finde es schlimm, dass überlebende Opfer teilweise  bis zu 10 Jahre klagen müssen, damit sie nach dem Opferenstschädigungsgesetz Leistungen erhalten. Das ist Menschen unwürdig.

 

Wieviel ist ein Mensch dem Staat überhaupt wert ?

 

 

 

 

 

 

 

 

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Jetzt ist endlich genau das passiert worauf ich hinwies.

 

ttp://www.focus.de/politik/ausland/terror-in-norwegen/nach-verurteilung-von-massenmoerder-breivik-familie-von-amok-opfer-verklagt-norwegens-polizei_aid_809265.html 

 

Die Familie eines Opfers von Anders Breivik hat die norwegische Polizei verklagt. Die Einsatzkräfte hätten den Rechtsextremisten viel früher aufhalten müssen. Tatsächlich reagierten die Beamten zu spät auf den Amoklauf .

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Wenn man dazu die Pannen im Fall in Belgien sich anschaut, ist es unbegreiflich, dass die Dame auch noch vorzeitig entlassen wird. Kann die Polizei überhaupt gewährleisten, dass die Dame keine neue ähnliche Straftat begeht und wieder die Behörden nicht rechtzeitig reagieren.

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Ein anderer Fall ist der der Sekte Colonia Dignidat wo auch viele Pannen anscheinend passierten. 

http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Sch%C3%A4fer_(Colonia_Dignidad) 

Heute kämpft eine Operinitiative immer noch bezüglich weiterer Aufklärung weiterer Täter.

http://www.taz.de/Colonia-Dignidad/!100308/ 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Rein nach den Emotionen lautet die Antwort natürlich Lebenslänglich.

Aber wenn man einen Vergleich zieht zu der US-Amerikanischen Prinzip der absoluten Härte und das mit den Mordzahlen vergleicht, dann ist das europäisch- und kanadische System der Resozialisierung wesentlich erfolgreicher. Also verbunden mit deutlich geringerer Kriminalität.

Im Endeffekt hinterlässt die vorzeitige Entlassung zwar einen bitteren Nachgeschmack, ist aber letzten ende doch richtig.

 

Entschuldigung für diesen unjuristische Gedankensalat.

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Tourix schrieb:
Im Endeffekt hinterlässt die vorzeitige Entlassung zwar einen bitteren Nachgeschmack, ist aber letzten Endes doch richtig.
Der Zweck heiligt hier nicht unbedingt die Mittel, d.h. auch wenn das Ergebnis (Freilassung) aus Sicht der Menschenrechte der Täterin wünschenswert ist, kollidiert es doch massiv mit dem Weg zu diesem Ergebnis, nämlich dem Übergehen der Opfer und ihrer Angehörigen. Dass diese ihre Menschenrechte mit Füßen getreten sehen, kann nicht verwundern.

Wenn das belgische Recht schon eine Möglichkeit sieht, die Opfer an diesem Verfahren zu beteiligen, dann fragt man sich schon, warum ausgerechnet im spektakulärsten Kriminalfall des Landes darauf verzichtet wird. Und wenn das belgische Recht einen Resozialisierungsplan als Voraussetzung für eine vorzeitige Haftentlassung vorschreibt, kann man durchaus bezweifeln, ob eine Resozialisierung (also Wiedereingliederung in die Gesellschaft) a) in einem Kloster überhaupt möglich ist, wo sich doch Kloster durch ihre Abgrenzung von der restlichen Gesellschaft auszeichnen und Klausurorden wie die Klarissen erst recht, b) dort überhaupt stattfindet, da sie nicht in die Gemeinschaft innerhalb des Klosters eingebunden ist, sondern in ihrer Zeit dort mehr oder weniger tun und lassen kann, was sie will und c) durch ein paar greise Nonnen ausgerechnet der Klarissen, die in Klausur, also entrückt von der Welt leben, mangels Gemeinsamkeiten mit der in die Gesellschaft wieder Einzugliedernden überhaupt geleistet werden kann.

Ein Prüfungs- oder zumindest Einsichtsrecht der Opfer in die Unterlagen zur Strafaussetzung wäre angebracht, ein Einspruchsrecht als Korrektiv zum Verwaltungsermessen (von am Vorgang Unbeteiligten als Willkür empfunden) würde ihnen viel bedeuten - mehr als so manche Täter-Opfer-Ausgleichs-"Kuschelei", die bei derart monströsen Taten einfach versagen muss. Dass die belgische Politik nicht glücklich ist mit dieser klammheimlichen und quasi automatischen Entscheidung, zeigt ja die Absichtserklärung, die Regelungen zur vorzeitigen Freilassung zu verschärfen.

Auch dem Bestreben der katholischen Kirche, ihr Image als Sammelbecken Pädophiler loszuwerden, kommt diese Entscheidung nicht gerade entgegen ... "Der Vorsitzende der belgischen Bischofkonferenz, Erzbischof Leonard, kritisierte die elf Ordensschwestern, wenn auch verhalten. "Der Empfang, den die Schwestern womöglich Michelle Martin bereiten werden, kann für den Beschluss der Bischöfe, bei Kindesmissbrauch immer auf der Seite der Opfer und ihrer Familien zu stehen, nur schädlich sein", sagte er."

Frau Martin ist zumindest schlau genug um zu wissen, dass sie "draußen" nicht willkommen ist. Die Nonnen werden sie aber aufnehmen und alles andere wäre mit der christlichen Lehre auch nicht vereinbar. Eigentlich sollte man den Nonnen dankbar sein, sie lösen ein Problem, dass alle anderen nicht lösen wollen oder können. Die Nonnen haben meinen Respekt.

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@Susi: Genau so sehe ich das auch. Und wenn erst einmal etwas Grass über die Sache gewachsen ist, kümmert die Diskussion keinen mehr. Im hinblick auf deutsches StGB kann auch ich die diskussion nicht nachvollziehen.

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Blicke über den nationalen Tellerrand hinaus gefährden sowieso die juristische Gesundheit ... *Ironie aus*

 

http://www.123recht.net/Belgiens-Ministerpraesident-will-Strafgesetze-verschaerfen-__a126084.html 

 

Angesichts heftiger Kritik an der Freilassung der Komplizin und Ex-Frau des Kindermörders Marc Dutroux, Michelle Martin, hat die belgische Regierung eine Verschärfung der Strafgesetze angekündigt. Ministerpräsident Elio Di Rupo sagte mehreren belgischen Zeitungen, er wolle gegen "Straffreiheit" für Verbrecher vorgehen. In Malonne, wo Martin in einem Kloster untergebracht ist, demonstrierten etwa hundert Menschen.

"Unser Ziel muss sein: Nein zur Straffreiheit", sagte Di Rupo. "Wir müssen eine ganze Reihe eingeleiteter Reformen im Justizwesen weiterverfolgen sowie Reformen im Bereich Polizeiwesen."

Di Rupo zufolge ist eine Verschärfung der Regeln für vorzeitige Haftentlassungen unter Auflagen bereits in Vorbereitung. Demnach soll beispielsweise jeder, der zu einer 30-jährigen Haftstrafe verurteilt ist, mindestens drei Viertel davon im Gefängnis verbüßen. Außerdem kündigte der Regierungschef die Einstellung hunderter weiterer Polizisten an. 

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