LAG Hamm: Frage nach Ermittlungsverfahren bei Einstellung nur eingeschränkt zulässig

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 29.09.2012

 

Das Fragerecht des Arbeitgebers im Vorfeld einer Einstellung ist ein Klassiker, dem in der Praxis allerdings immer wieder neue Facetten abgewonnen werden. Zuletzt wurde darüber diskutiert, welche Auswirkungen das AGG und das Datenschutzrecht auf das Fragerecht haben. Aber auch bei den hiervon nicht betroffenen Bewerberfragen sind bei weitem noch nicht alle Punkte geklärt. Eine sehr häufig gestellte Frage geht dahin, ob gegen den Bewerber in den letzten (z.B. drei) Jahren staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sind. Meist wird diese Frage mit derjenigen nach Vorstrafen kombiniert. Das LAG Hamm (Urteil vom 10.03.2011, BeckRS 2011, 72485) hatte sich jetzt mit der Frage nach den staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren näher auseinandergesetzt und auch hier Einschränkungen formuliert. Ein 48-jähriger Diplomingenieur hatte sich als Seiteneinsteiger an einer Hauptschule beworben und bekam eine Lehrerstelle im September 2009. Bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst musste er eine Erklärung unterzeichnen, in der es unter anderem hieß: „Ich versichere, dass gegen mich kein gerichtliches Strafverfahren und kein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wegen eines Vergehens oder Verbrechens anhängig ist oder innerhalb der letzten drei Jahre anhängig gewesen ist.“ Einen Monat später erhielten die Schule und die Bezirksregierung einen anonymen Hinweis, dass der Lehrer "unter Verdacht des Kindesmissbrauchs" stehe. Die Staatsanwaltschaft teilte daraufhin mit, dass es gegen den Ingenieur in den drei Jahren zuvor fünf Ermittlungsverfahren gegeben hatte. Das Land Nordrhein-Westfalen kündigte dem frisch eingestellten Lehrer noch in der Probezeit. Allerdings stellte sich heraus, dass sämtliche Ermittlungsverfahren einstellt worden waren (Einstellungen nach §§ 153 I, 153 a StPO / Einstellung unter Verweisung auf Privatklage). Das Land warf ihm eine „wahrheitswidrige Erklärung“ vor und hielt die Kündigung somit für gerechtfertigt. Das LAG erklärte die (hilfsweise) ausgesprochene ordentliche Kündigung jedoch für unwirksam, da das beklagte Land den Kläger zu weitgehend nach abgeschlossenen Ermittlungsverfahren befragt habe. Denn bei der Einstellung eines Bewerbers sei die Frage nach staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren ebenso wie die Frage nach Vorstrafen nur eingeschränkt zulässig. Die Frage nach „innerhalb der letzten 3 Jahre anhängig gewesen[en]“ Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft ist – so das LAG im Leitsatz - regelmäßig unzulässig, soweit sie sich auf Ermittlungsverfahren bezieht, die im Zeitpunkt der Befragung abgeschlossen sind, ohne dass es zu einer Verurteilung gekommen ist. Das LAG lässt es offen, ob eine Ausnahme zu machen ist, wenn abgeschlossene Ermittlungsverfahren für die in Aussicht genommene Arbeitstätigkeit in spezifischer Weise einschlägig sind. Nach diesen Grundsätzen ist nach Ansicht des LAG die dem Kläger ausgesprochene ordentliche Kündigung innerhalb der Probezeit wegen Verstoßes gegen das Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB unwirksam, wenn sie damit begründet wird, der Lehrer habe bei Beantwortung der Frage nach staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren der letzten 3 Jahre mehrere eingestellte Ermittlungsverfahren nicht angegeben. Selbstverständlich – so ist zu ergänzen – kommt unter diesen Umständen auch keine Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung in Betracht. 

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"Die Hölle ist nichts im Vergleich zur Rache einer Frau" 

Aus dem Urteil:

 2006/2007 habe er im Rahmen seiner Ehescheidung wegen einer Behauptung seiner Schwiegermutter ein Verfahren bei der Staatsanwaltschaft gehabt. Die Schwiegermutter habe behauptet, er - der Kläger - habe sie geschubst oder Ähnliches, als jene sich seinem Umgang mit seinem Kind körperlich in den Weg habe stellen wollen. Auch dieses Verfahren sei ohne Bestrafung eingestellt worden. Da die Verfahren nicht zur Staatsanwaltschaft gelangt seien bzw. eingestellt gewesen seien, seien sie für die Beantwortung des Fragebogens irrelevant gewesen. Aus diesem Grund habe er sie nicht angegeben. Ihm sei eine Täuschung nicht vorzuwerfen. Es liege auch kein wesentlicher Umstand vor, der in irgendeiner Form zu einem Irrtum über eine wesentliche Eigenschaft geführt habe. Es sei vielmehr so, dass hier eine Saat aufgehe, die von anderer Seite gelegt sei. Seine ehemalige Ehefrau habe sich bereits im Zusammenhang mit dem Umgangsrecht der Kinder auf die Aussage zurückgezogen, sie könne nicht ausschließen, dass sich der Kläger an seinen eigenen Töchtern vergreife. Dies sei unzutreffend und weder die Frauen-Beratungsstelle L2 e.V. in P2 noch das Jugendamt hätten eine entsprechende Feststellung machen können (hierzu vorgelegtes Schreiben der Diplom-Sozialpädagogin E. R2 vom 27.11.2009, Bl. 81, 82 GA).

Und nun die Preisfrage: vom wem mag der anonyme Hinweis gekommen sein?

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