StPO-intensiv: Inbegriffsrüge beim Urkundsbeweis

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 30.09.2012

"Ein Klassiker": Die Inbegriffsrüge ist eine Form der Verfahrensrüge im Revisions- und Rechtsbeschwerdeverfahren, wenn es um Urkunden geht. Gerügt wird stets, dass eine Urkunde, die dem Urteil zugrundegelegt wurde nicht in die Hauptverhandlung eingeführt wurde. Hierzu gibt es eine sehr plastische Entscheidung des OLG Hamm, Beschl. v. 24.11.2009 - 3 Ss OWi 882/09 aus dem Bereich des Verkehrsrechts. Es ging dabei um einen Eichschein, der nicht verlesen worden war:

"...Das Urteil unterliegt bereits aufgrund der Rüge der Verletzung des § 261 StPO der Aufhebung; soweit der Betroffene geltend macht, der Eichschein für das verwendeten Messgerät sei weder durch Verlesung noch auf andere Weise prozessordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden, gleichwohl habe die Tatrichterin die Verurteilung u.a. auf die sich daraus ergebenden Erkenntnisse gestützt.

Diese in Form der Verfahrensrüge geltend zu machende Rechtsverletzung ist in der gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1, 344 Abs. 2 StPO erforderlichen Form erhoben worden. Danach müssen, um die Zulässigkeit der Rüge zu begründen, die den Mangel enthaltenen Tatsachen so genau bezeichnet und vollständig angegeben werden, dass das Beschwerdegericht schon anhand der Rechtsbeschwerdeschrift ohne Rückgriff auf die Akte prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, falls die behaupteten Tatsachen zutreffen (zu vgl. Göhler, OWiG, 15. Auflg., § 79 Rdn. 27 d).

In Erfüllung dieser Voraussetzungen gehört zur ordnungsgemäßen Begründung auch der Vortrag, dass der Inhalt der Urkunde auch nicht anderweitig, insbesondere durch Vorhalt oder durch Vernehmung eines Zeugen, in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist (zu vgl. Senatsbeschluss vom 20.09.2007, StRR 2007, 323 und vom 22.04.2008, VRR 2008, 243).

Diesen Anforderungen genügt die Begründung der Rechtsbeschwerde. Der Betroffene hat unter Zitierung des insoweit relevanten Wortlautes des Hauptverhandlungsprotokolls dargelegt, dass der Eichschein nicht durch Verlesung gemäß § 256 Abs. 1 StPO in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist und- erklärt, er sei auch darüber hinaus weder durch Inaugenscheinnahme, noch durch Vorhalt des Inhalts oder durch Bekanntgabe des wesentlichen Inhalts gemäß § 78 OWiG und auch nicht in anderer Weise prozessordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden. Schließlich sei der Eichschein auch nicht im: Wege des Vorhalts durch den als Zeugen vernommenen Messbeamten in die Hauptverhandlung eingeführt worden. Dieser habe lediglich Angaben zur Aufstellung und Ausrichtung des Gerätes gemacht.

Die Rüge ist auch in der Sache begründet, denn das Amtsgericht Lübbecke hat sich bei der Urteilsfindung auf ein Schriftstück gestützt, welches nicht ord-nungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist. Die Sitzungsniederschrift enthält keinerlei Angaben zu einer Einführung des Eichscheins in die Hauptverhandlung. Bei der Verlesung einer Urkunde handelt es sich um eine wesentliche Förmlichkeit der Hauptverhandlung, so dass der Nachweis hierüber nur durch das Protokoll geführt werden kann. Schweigt das Hauptverhandlungsprotokoll über die Verlesung, so gilt diese als nicht erfolgt (zu vgl. Senatsbeschluss vorn 22.04.2008 a.a.O.). Anhaltspunkte für eine Einführung des Inhalts des Eichscheins auf andere Art und Weise fehlen und ergeben sich insbesondere nicht aus der Sitzungsniederschrift.

Das angefochtene Urteil beruht auch auf dem Verfahrensfehler. Denn das Amtsgericht hat den Eichschein zum Beweis dafür im Urteil verwertet, dass das verwendete Gerät zum Zeitpunkt der Messung gültig geeicht gewesen ist. Das Amtsgericht hat daher seine Überzeugung nicht ausschließlich aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gebildet, sodass das angefochtene Urteil der Aufhebung unterliegen muss.

Da bereits die vorstehend erörterte Verfahrensrüge zur Aufhebung des Urteils insgesamt führt, bedarf es eines weiteren Eingehens auf die außerdem geltend gemachten Verfahrensrügen der Verletzung der Aufklärungspflicht und der Verletzung des § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG sowie auf die ebenfalls erhobene allgemeine Sachrüge nicht."

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.

Ergänzend bemerkt der Senat, dass die oben behandelte Verfahrensrüge nicht deswegen unzulässig wegen Verstoßes gegen § 344 Abs. 2 StPO ist, weil die Rechtsbeschwerdebegrünclung nicht den Inhalt der in dem wiedergegebenen Protokollabschnitt genannten BI. 34, 35, 36 und Lind 56 d. A. wiedergibt, Dies wäre nur dann der Fall, wenn ohne die Wiedergabe des Inhalts dieser Seiten dem Senat eine Prüfung der Verfahrensrüge nicht möglich gewesen wäre, etwa weil nicht auszuschließen gewesen wäre, dass gerade diese in die Hauptverhandlung eingeführten Schriftstücke den von der Rechtsbeschwerde vermissten Eichschein enthalten. Indes ist in dem wiedergegebenen Protokollabschnitt jeweils auch stichwortartig der Inhalt des jeweiligen Blattes vermerkt und es ergeben sich daraus keine Anhaltspunkte, dass eines der Blätter den Eichschein betrifft.

Das Urteil beruht auf der nicht ordnungsgemäßen Einführung des Eichscheins in die Hauptverhandlung, da die Feststellung und Überzeugung von der ordnungsgemäßen Eichung des Messgerätes bei einem standardisierten Messverfahren —'wie hier— erforderlich ist (vgl. nur OLG Hamm NZV 2002, 198)...."


 

Ansonsten zur Rechtsbeschwerde in OWi-Sachen: Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, 2. Aufl. 2010, § 19.

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